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Werber, Texter, DJ, Buchautor: Shahak Shapira, 27

© Sebsatian Hänel/Verlag

Shahak Shapira und sein Buch: Der Witz der Wirklichkeit

Von Israel über Laucha nach Berlin und ins Berghain: Der Werber und DJ Shahak Shapira erzählt, wie er "zum deutschesten Juden der Welt wurde".

Shahak Shapira, 27, ist einer der vielen jungen Israelis, die heute in Berlin leben. Vor anderthalb Jahren wurde er bekannt, als betrunkene Muslime ihn in der Silvesternacht auf dem U-Bahnhof Friedrichstraße angriffen. Er hatte sie gefilmt, während sie antisemitische Parolen skandierten, und schnell nahmen Islamgegner das zum Anlass, um ihr Feuer zu schüren.
Shapira ließ sich da nicht einspannen. Sein Fall dürfe nicht zur Vorlage für Islamhass, nicht für antimuslimische Propaganda missbraucht werden, sagte er nach dem Vorfall zu Reportern. Das mag dazu beigetragen haben, dass er seither oft interviewt wird, wenn es um jüdische Befindlichkeiten geht. Doch im Hauptberuf ist Shapira Kreativdirektor, nachdem er die Miami Ad School in Berlin absolviert hat. Seine Lebensgeschichte, die er jetzt unter dem Titel „Das wird man ja wohl noch schreiben dürfen!“ geschrieben hat, macht deutlich, dass der junge Werber eine Ausnahme unter den Israelis in Berlin ist. Er kam nicht als Erwachsener nach Deutschland, sondern schon im Alter von 14 Jahren, zudem nicht freiwillig. Seine geschiedene Mutter folgte ihrem deutschen Freund nach Laucha, einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt, in der die Neonazis im Stadtrat sitzen.

Ein NPD-Mitglied war sein Fußballtrainer in Laucha

In Shapiras Alltag blieb das nicht folgenlos. Den Neonazi Lutz Battke, der im Stadtrat die NPD vertrat, lernte der Junge in Lauchas Fußballverein kennen. Battke war hier Trainer. Shapira beschreibt ihn so: „Braunes Moped, braune Ansichten, braune Zähne – Battkes konsistentes Branding durch alle Lebenslagen ist schon fast zu bewundern. Als wäre er eine fiktive Persönlichkeit, die der wilden Phantasie der Kreativ-Abteilung einer Marketingagentur entstammt.“ Das ist ironisch gemeint: Der Neonazi erfindet sich selbst als Marke. Aber die Ironie macht stutzig. Noch vor seinem Studium an der Miami Ad School war Shapira in Werbeagenturen erfolgreich. „Anstatt Flyer für Sonnenstudios zu gestalten, konzipierte ich plötzlich Webseiten für Porsche oder Hugo Boss“, schreibt er über seine Anfänge in der Branche. Verwechselt er selbst den großen Trick seiner Profession – das Schaffen von Illusionen – mit der Wirklichkeit?

Amitzur Shapira war 1972 Leichtathletiktrainer in der israelischen Olympiamannschaft

Sucht man nach dem Kern in seinem Leben, wächst der Verdacht. Seine Mutter, ohne deren Liebesgeschichte das Leben ihres Sohnes anders verlaufen wäre, bleibt dem Leser so gut wie unbekannt; über ihren Freund –

einen gewissen Olaf – erfahren wir fast nichts; und seinen in Israel zurückgebliebenen Vater zeichnet Shapira als hemmungslosen Egoisten, zu dem er jeden Kontakt verloren hat. Schilderungen eines Innenlebens gehören nicht zu seinen stärksten Seiten. Nach der Arbeit für Porsche und Hugo Boss sitzt Shapira weiter am Rechner und geht seinem „neuen, extrem urbanen Hobby nach: House Beats schrauben“. Er bastelt „unangenehme Geräusche in einen Viervierteltakt zusammen, bis sie zu siebenminütigen Kompositionen von der phonischen Raffinesse eines Tornados in einer Mülltonnenfabrik ausgereift waren". So erzählt uns Shapira, wie er die elektronische Musik entdeckt hat. Sie ist zu einem Teil seines Lebens geworden, er tritt viel als DJ auf.

Shapiras Witz ist oft frech und stets unterhaltsam

Aber wer nun glaubt, er würde seine Leidenschaft für Clubmusik erläutern und reflektieren, wird enttäuscht. Wie dem Neonazi in Laucha steht er der eigenen Musik ironisch gegenüber und hält seine Leser auf Distanz. Shapira führt ins Berghain, in „die Kirche des Techno“, ohne dem Techno-Zirkus Neues abzugewinnen. „Deo, Kaugummis, elektrische Zahnbürste, Konfetti und eine kleine Plastiktüte mit Speed oder MDMA“, damit müsse man ausgerüstet sein, denn „Vorbereitung ist alles – sonst kommt man langsam wieder zu sich und steht nach 14 Stunden unter verschwitzten Langzeitstudenten plötzlich ganz nüchtern da.“ Ist das auch ein Selbstporträt? Schreibt Shapira nicht, um sich gewisse Dinge bewusst zu machen, sondern im Gegenteil: um sie aus dem Bewusstsein zu löschen? Shapiras Witz ist oft frech und stets unterhaltsam. Wer sein Buch jedoch durch eine israelische Brille liest, weiß früh, was hier alles nicht gesagt wird.

Die ergreifendsten Geschichten erzählt er nicht über sich selbst oder seine Eltern, sondern über seine Großväter. Der eine, mütterlicherseits, hat die Schoa in Polen nur überlebt, weil Christen ihn gerettet haben. Der andere, väterlicherseits, war ein bekannter Sportler. „Mein Großvater, Amitzur Shapira, war einer der besten Kurzstreckenläufer Israels.“ Der Satz findet sich auf Seite 27, und schon früh im Buch weiß man, was der Enkel erzählen wird: Der Name Shapira ist ein geradezu mythologischer. Amitzur Shapira war Leichtathletiktrainer in der israelischen Olympiamannschaft, die 1972 in München von palästinensischen Terroristen ermordet wurde.

Aber wen will Shahak Shapira auf seine Seite ziehen?

Shapiras Buch beginnt und endet mit dem Überfall auf ihn am U-Bahnhof Friedrichstraße. Es beschreibt die Neonazis in Laucha, blendet nach Polen im Zweiten Weltkrieg zurück, ins Jahr 1972, zu den mörderischen Ereignissen während der olympischen Spiele in München. Eine Spur der Gewalt zieht sich durch diesen Text, und deutlich wird die Rolle, die Witz und Ironie hier spielen: Sie schützen den Autor vor der Hintergründigkeit seiner eigenen Geschichte. Aber versteht das sein Publikum? „Wie ich der deutscheste Jude der Welt wurde“, lautet der Untertitel des Buches. Auch das ist ein Witz. Aber wer soll darüber lachen? Wen will Shahak Shapira damit auf seine Seite ziehen?

Jakob Hessing

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