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Kultur: Der Stahl und die Stadt

Berlin, ein Skulpturenboulevard: Metallplastiken bei Nymphius Projekte

Berlin ist groß: nahezu acht Meter hoch, man kann hindurchspazieren. Vier Rohre aus organisch gebogenem Chromnickelstahl, die einander umwinden, aber an keinem Punkt berühren. Die Skulptur „Berlin“, einst Symbol der Teilung und nun Wahrzeichen der zusammenwachsenden Stadt, ist berühmter als ihre Schöpfer. Dabei haben die Metallbildhauer Brigitte und Martin Matschinsky-Denninghoff Berlins Stadtbild geprägt.

Eine Kleinskulptur mit den für das Künstlerpaar typischen Tentakeln sowie je eine Arbeit von Bernhard Heiliger und Hans Uhlmann bilden die historische Seite einer Ausstellung bei Nymphius Projekte. „Es ist frappierend, wie viele solcher Werke es hier im öffentlichen Raum gibt“, meint Friederike Nymphius und zählt ein paar auf. Heiligers bronzene „Flamme“ auf dem Ernst-Reuter-Platz, Uhlmanns schwarz getönte Chromnickelstahlskulptur vor der Deutschen Oper, Richard Serras Korridor aus rostigem Stahl an der Philharmonie, Bernar Venets „Arc de 124,5°“ vor der Urania, Eduardo Chillidas „Berlin“ am Eingang des Bundeskanzleramts. Berlin, ein Skulpturenboulevard. Gute öffentliche Kunst ist wie Mobiliar, das so perfekt in die Wohnung passt, dass man es leicht aus dem Blick verliert. Die Ausstellung „Berliner Metallplastik“ ist nicht nur ein Memento an die Gattung, sie zeigt vor allem, dass der Werkstoff in der aktuellen Kunst eine zunehmende Rolle spielt (alle Preise auf Anfrage).

Den Klassikern stellt Friederike Nymphius jüngere Berliner Bildhauer gegenüber. Der Dialog gelingt fabelhaft. Über eine These kann man allerdings streiten: In den kleinen Arbeiten spiegele sich das Urbane, meint Nymphius. Gilt im Kleinen wirklich das, was für Stadtskulpturen wesentlich ist? Am ehesten trifft das noch auf Manfred Pernice zu, der für seine architektonischen Anmutungen bekannt ist. Eigens für die Ausstellung hat Pernice die grazile Figur „Verklemmung III“ angefertigt, die auf einem Betonfuß steht.

Abgesehen vom Materialaspekt – muss man einen gemeinsamen Nenner suchen? Nein. Trotzdem fällt an den neueren Arbeiten auf, dass die Jungen mit der wuchtigen Geste wenig anfangen können. Hier wird nicht geklotzt. Knut Henrik Henriksens weiß lackiertes „Monument of doubt XII“ besteht aus flächigen, skandinavisches Design zitierenden Elementen und wagt sich nur zaghaft in den Raum. Als eine Art shaped canvas hängt Gerold Millers „total object 234“ an der Wand, mit verzinkter, schimmernder Oberfläche.

Auch Katja Strunz schuf mit ihrem „Faltentuch“ aus pulverbeschichtetem Stahl ein Wandobjekt, das seine Präsenz durch Zurückhaltung und einen beinahe resignativen Charakter gewinnt. In Gedanken versucht man, die Skulptur auseinanderzufalten, und meint, das Objekt auf Malewitschs Rechteck zurückführen zu können. Ein Trugschluss. Allerdings ist das Spiel mit der Tradition typisch für Strunz. Auch Prozess und Zeit sind ihr wichtig. „Etwas zu falten, bedeutet eine Unterbrechung im Kontinuum“, sagt die Künstlerin und fügt hinzu: „Wenn man an Altersfalten denkt oder daran, dass Obst schrumpelt, wird einem klar, dass ‚Zeit’ mit ‚Falte’ zusammenhängt.“ Von Hans Uhlmann (1900–1975), dessen Werk Strunz sehr schätzt, ist die „Gruppierung“ von 1948 zu sehen. Die zur ungegenständlichen Skizze gebogene Eisendrahtskulptur ist ein Meisterstück an Dynamik und flirrenden Linien. Sie stammt aus Privatbesitz.

Ursprünglich wollte Friederike Nymphius Uhlmanns „Drahtkopf“ von der Berlinischen Galerie leihen. „Uhlmann war der Erste, der das Schweißgerät als Kunstinstrument benutzt hat“, bemerkt der scheidende Direktor Jörn Merkert, langjähriger Leiter eines Schattenmuseums, das erst 2004 in ein eigenes Haus ziehen durfte. Er habe immer von einer großen Ausstellung mit Plastiken von Uhlmann neben Arbeiten von Naum Gabo, Antoine Pevsner und George Rickey geträumt. Auf Metallskulpturen hätte sich Merkert indes nicht beschränkt. Kein Fokus auf das Material also, eher die geistige Orientierung an Gabos „Realistischem Manifest“ – und seiner Forderung nach einer Auflösung der Skulptur im Raum.

Ein wichtiges Skulpturenmuseum ist die Berlinische Galerie allemal. Man darf gespannt sein, in welcher Form Merkerts Nachfolger Thomas Köhler klassische und junge Kunst miteinander ins Spiel bringt. Friederike Nymphius schafft es jedenfalls, Lust auf derlei Begegnungen zu machen. Und Katja Strunz bereitet sich auf das nächste Zusammentreffen mit der Kunst von Matschinsky-Denninghoff vor, denn im Skulpturengarten des Saarlandmuseums windet sich eine dieser charakteristischen Chromnickelstahlröhren. Für Strunz wird die eigene Saarbrücker Soloschau „Im Geviert“ im Juli die erste sein, für die sie größere Außenskulpturen vorbereitet. Metall, so scheint es, liebt den freien Himmel.

Nymphius Projekte, Potsdamer Straße 70; bis 3.7., Mi–Sa 12–18 Uhr.

Jens Hinrichsen

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