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Indiana Jones (Harrison Ford) tritt seine letzte Reise an. Hier mit seinem neuen Sidekick Teddy (Ethann Isidore).

© Lucasfilm Ltd./Lucasfilm Ltd.

Der neue „Indiana Jones“ in Cannes: Das Kino dreht am Rad der Zeit

Der achtzigjährige Harrison Ford kehrt ein letztes Mal in der Rolle des ikonischen Abenteurers zurück. Über „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ und Hollywoods Nostalgie.

Von Andreas Busche

Es gibt kaum bessere Orte, um die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Kinos kompakter zu erleben als Filmfestivals. Das Kino war immer schon ein nostalgischer Ort, der am besten aus der Vergangenheit heraus zu verstehen ist und im Idealfall aus den Traditionen neue Wege des Sehens und Erzählens hervorbringt. Das gilt gerade für Cannes, der zweiten Kinohauptstadt Frankreichs, wo die Cinephilie so ausgeprägt ist, dass die Grenzen von Kunst und Unterhaltung, von Autorenkino und Handwerk immer durchlässiger waren als in anderen Filmkulturen.

Filmfestivals als Schutzpatron des Kinos

Und insbesondere trifft das in Cannes auf die Zeit nach der Pandemie zu, in der die Festivals, auch um der eigenen Rechtfertigung willen, gewissermaßen das Schutzpatronat des Kinos übernommen haben. Filmfestivals, so hat es Cannes-Chef Thierry Frémaux in den vergangenen Jahren immer wieder betont, sind die letzte Bastion des Kinos gegenüber den Streamern.

Harrison Ford erhält bei der Weltpremiere von „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ die Ehrenpalme.
Harrison Ford erhält bei der Weltpremiere von „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ die Ehrenpalme.

© AFP/LOIC VENANCE

In Cannes versuchte man zuletzt, die Zeit zurückzudrehen, um wieder in eine rosigere Zukunft schauen zu können. In diesem Jahr ist die junge Catherine Deneuve auf dem offiziellen Festivalplakat zu sehen, ein Szenefoto aus „La Chamade“ des heute 91-jährigen Alain Cavalier. Das hat hier Tradition. Jedes Jahr zieren die Plakatmotive die Promenade entlang der Côte d’Azur. Das Festival versichert sich selbst in der Geschichte, während der offizielle Partner TikTok dieses Jahr zum zweiten Mal einen Handyfilm-Wettbewerb präsentiert.

Und dann läuft am Donnerstagabend der 80-jährige Harrison Ford über den roten Teppich. Mitgebracht hat er noch einmal seinen Hut und die mehr als halb so alte Phoebe Waller-Bridge, die die Patentochter des heroischen Archäologen im Pensionsalter spielt: sozusagen Vergangenheit und Zukunft eines der beliebtesten Franchises der Kinogeschichte.

„Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ landet zu einem Zeitpunkt in Cannes, der fast etwas Metaphorisches hat. In Hollywood regieren heute die Studios mit den wertvollsten IPs: „Intellectual Properties“ wie Star Wars, Marvel oder Indiana Jones, deren Rechte alle bei Disney liegen. Marken sind eine Lizenz zum Gelddrucken, man muss das Material nur frisch halten – während die Eigentümer, die Milliarden dafür hingeblättert haben, am liebsten die Zeit stillstellen wollen.

Indiana Jones (Harrison Ford) tritt seine letzte Reise an. Hier mitHelena (Phoebe Waller-Bridge).
Indiana Jones (Harrison Ford) tritt seine letzte Reise an. Hier mitHelena (Phoebe Waller-Bridge).

© Jonathan Olley / Lucasfilm Ltd./Jonathan Olley

Für diese Form der Retromanie ist der fünfte „Indiana Jones“ geradezu sinnbildlich. Amerika ist soeben auf dem Mond gelandet; und ein paar Altnazis, angeführt von Mads Mikkelsen, jagen in der Alten Welt den vermutlich von Archimedes entworfenen Antikythera-Mechanismus, um ins Jahr 1939 zu reisen und den Zweiten Weltkrieg doch noch zu gewinnen. Klingt beknackt? Ist es auch.

Zurück in die Zukunft

Aber vermutlich kann man dieses verstaubte Material, das damals schon von „Adventure Serials“ aus den 1940er Jahren inspiriert war, nur so einigermaßen sinnvoll in die Gegenwart (oder doch die Zukunft?) überführen. Der bärbeißige Ford, der schon nach „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ (der ebenfalls in Cannes lief), klagte, dass ihn die Titelmelodien von „Star Wars“ und „Indiana Jones“ bis ins Grab begleiten würden, hat nun auch das biologische Alter eines knurrigen, in die Jahre gekommenen Kinohelden erreicht.

Eine Filmkritik von „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ ist natürlich in etwa so sinnvoll wie die Besprechung einer Fahrt mit der Indiana-Jones-Achterbahn im Pariser Disneyland (die Verwertungskette ist ein weiterer Vorteil von geistigem Eigentum). Man fragt sich auch, warum es vier Drehbuchautoren für diese Geschichte brauchte. Es gilt das alte Unterhaltungsindustrie-Mantra „Du sollst nicht langweilen“, was Regisseur James Mangold über weite Strecken der zweieinhalb Stunden sogar überraschend gut gelingt. In jedem Fall deutlich besser als Steven Spielberg beim Vorgänger.

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Phoebe Waller-Bridge scheint in erster Linie gecastet worden zu sein, um dem geriatrischen Knurrer etwas „Fleabag“-Energie zur Seite zur stellen. Ihre Figur Helen ist innerhalb dieser Vorgaben gezeichnet, eine Mischung aus herzlicher Misanthropie und eigennützigem Sarkasmus. „Das ist Kapitalismus“, sagt sie über ihre Diebestouren, die alle Beteiligten zum ersten Showdown in einem Luxushotel in Tangier zusammenführen.

Nur die Lidibo ihrer Fleabag-Figur wurde Disney-bedingt etwas heruntergedimmt. In „Indiana Jones“ gibt es keinen „heißen Priester“; einmal nur wirft sie einem griechischen Matrosen an Bord des Schiffs des von Antonio Banderas gespielten Tiefseetauchers Renaldo einen anerkennenden Blick zu.

Dass selbst Cannes den Retrowahn der US-Studios inzwischen bereitwillig in das Weltkino, das an der Croisette eigentlich gefeiert wird, eingemeindet, verrät etwas über die Situation des Festivals – und des Kinos. Im vergangenen Jahr schaute bereits Tom Cruise mit „Top Gun: Maverick“ vorbei, der Film brach danach alle postpendemischen Einspielrekorde.

Indiana Jones (Harrison Ford) tritt seine letzte Reise an.
Indiana Jones (Harrison Ford) tritt seine letzte Reise an.

© Jonathan Olley / Lucasfilm Ltd./Jonathan Olley

Dasselbe dürfte auch mit „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ passieren, der die in Hollywood grassierende Achtziger-Nostalgie weiter befeuert. Mangold meistert den Brückenschlag zwischen den altmodischen Originalfilmen (Nazis! der Hut! ein jugendlicher Sidekick in Ethann Isidore!) und den atemlosen Action-Blockbustern wie „Mission Impossible“.

Und irgendwo soll er wohl auch die Hoffnung auf eine Neuerfindung der Figur wecken, vielleicht sogar in Gestalt von Phoebe Waller-Bridge, die ja bereits als Ko-Autorin von „Keine Zeit zu sterben“ das Bond-Franchise von seinem schweren Herrenduft befreite. „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ dreht das Rad der Zeit so weit zurück, wie kein Hollywood-Blockbuster zuvor – in die Epoche von, so viel sei verraten, Archimedes. Von hier aus kann das Kino tatsächlich nur eine Richtung einschlagen: die Zukunft.

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