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"Vorhaut" am Ballhaus Naunynstraße: Der letzte Schutzwall

Es ist ein Streit um wenige Zentimeter: Die grelle, groteske Beschneidungssatire „Vorhaut“ am Ballhaus Naunynstraße.

Es reicht. Christian, Repräsentant der unterdrückten deutschen Mehrheitsgesellschaft, mag die Beschneidung seiner Rechte nicht länger hinnehmen: „Die Vorhaut meines Sohnes ist der letzte Schutzwall Europas!“ Und den ist der Mann aus Niederpierscheid im Eifelkreis Bitburg- Prüm gegen alle blutrünstigen religiöse Bräuche und notfalls sogar gegen die eigene türkische Schwiegermutter zu verteidigen bereit. Das Preputium bleibt unser. Da können ihn die Moslems, Juden und sonstigen Zirkumzisions-Fanatiker mal gernhaben. Obwohl das Angebot seines konvertierten jüdischen Schwagers Abraham irgendwo doch verlockend ist: „Wenn du deinen Sohn beschneiden lässt, verzeih ich dir den Holocaust.“

Klingt absurd? Ist es auch. „Vorhaut“ heißt das Stück von Necati Öziri, das am Ballhaus Naunynstraße an den ideologisch aufgeheizten Zentimeter-Streit über das Beschneidungsverbot erinnert. Der entlud sich hierzulande ja, nach Urteil eines Kölner Gerichts, in einem schrillen Empörungskonzert aus christlichen, jüdischen und muslimischen Stimmen. Vorhaut-Fundis gegen -Realos. Plus Redebeitrag von Alice Schwarzer. Stoff genug für eine Realsatire.

Öziri erzählt in „Vorhaut“ nun die Geschichte eines Silvesterabends in einem Berliner Krankenhaus. Oberschwester Jasmin (Melek Erenay) versieht einen ruhigen Dienst beim Sektchen. Bis die schwangere Ela (Lodi Doumit) mit verfrühten Wehen eingeliefert wird. Im Schlepptau ihre illustre Familie Bülükoglu. Mutter Elif (Sema Poyraz) ist mit gefüllten Weinblättern zur Stelle. Bruder Abraham (Timur Isik), philosophisch belesener Bodybuilder und Religionsnomade, nutzt die Gelegenheit zum Flirt mit Krankenschwester Schwenzer (Katharina Koch). Schwager Mohammed (Eray Egilmez), Immobilienmakler im spanisch dominierten Reuterkiez, hat vor dem Kreißsaal sein Coming-out und träumt vom ersten Christopher-Street- Day in Ramallah. Und Kindsvater Christian (Michael Wenzlaff) sorgt sich vor allem um – siehe oben.

In der Regie von Miraz Bezar wird daraus ein sehr komischer Beschneidungs-Boulevard, der ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten oder Schamgrenzen die Vorhaut-Frage aufrollt. Der Abend ist grell, grotesk. Und garantiert nicht peinlicher als das, was die bundesdeutsche Debattenkultur so zu bieten hat. Patrick Wildermann

Wieder am 27., 29. und 30. Dezember (20 Uhr) und am 28. Dezember (19 Uhr)

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