zum Hauptinhalt
Das ehemalige Magazingebäude der Staatsoper wird für 33,7 Millionen Euro ausgebaut.

© Barenboim-Said Akademie

Barenboim-Said-Akademie in Berlin: Das Charakterbildungsprogramm des Stardirigenten

Das frühere Magazingebäude der Berliner Staatsoper wird für 33,7 Millionen Euro zur Barenboim-Said-Akademie umgebaut. Ab 2016 sollen hier Musiker aus dem Nahen Osten nicht nur Musik studieren, sondern auch Philosophie.

Die Stimmung ist wie bei einem Staatsakt. Dutzende Kameraleute und Fotografen drängen sich vor dem Rednerpult, die internationale Presse ist versammelt, bis hin zur „New York Times“. Kulturstaatsministerin Monika Grütters dankt den beiden Bundestags-Haushaltspolitikern Rüdiger Kruse und Jürgen Koppelin, ohne die dies alles nicht möglich gewesen sei, Staatsopern-Maestro Daniel Barenboim dankt Grütters Vorvorvorvorgänger Michael Naumann, ohne den dies alles nicht möglich gewesen sei. Hochfliegende Hoffnungen knüpfen sich an die Barenboim-Said-Akademie, deren Bau offiziell an diesem Dienstagmorgen beginnt. Wenn im Herbst 2016 dann der Unterrichts- und Konzertbetrieb anläuft, wenn junge Musiker aus allen Ländern des Nahen Ostens ihren zweijährigen Stipendienaufenthalt beginnen, dann soll das hier auch ein Zeichen setzten für die deutsch-jüdische Aussöhnung. Darum unterstützt der Bundestag das Projekt mit 20 Millionen Euro.

Nicht allein die perfekte Beherrschung ihrer Instrumente sollen die Hochtalentierten hier lernen. Daniel Barenboim sagt der Spezialisierung ausdrücklich den Kampf an. Spezialisten nämlich, so hat es Barenboims Freund, der plästinensische Literaturwissenschaftler Edward Said formuliert, sind Leute, die immer mehr von immer weniger wissen. Der Maestro aber will seine Akademisten am Ende ihrer Berliner Zeit als Menschen entlassen, die die Kunst des Denkens beherrschen. Da nämlich liegt das Grundübel im Konflikt von Israelis und Plästinensern, sagt der Dirigent: dass auf beiden Seiten nicht genug nachgedacht werde.

Pro bono: Frank Gehry lieferte den Entwurf für den Konzertsaal im Ostflügel des Baus

Darum wird es in der Barenboim-Said-Akademie viel um Philosophie gehen. 13,7 Millionen Euro, alles, was neben dem Bundesgeld noch zur Bausumme fehlte, haben Stiftungen und Privatleute aufgebracht, die an Barenboims Charakterbildungsprogramm glauben. Ein einzelner Privatmann, der nicht genannt werden will, hat allein sieben Millionen beigesteuert. Nur wenige Meter entfernt von der Staatsopernbaustelle – für die es weiterhin kein Fertigstellungsdatum gibt – startet im hinteren Teil des Intendanzgebäudes, im ehemaligen Magazin neben der Hedwigskathedrale, ein Projekt von internationaler Relevanz und, hoffentlich, friedensstiftender Wirkung.

Da passt es ganz gut, dass Frank Gehry den Entwurf für den Konzertsaal im Ostflügel des Baus geliefert hat, und zwar pro bono, als Freundschaftsdienst.

21 Probenräume werden geschaffen

Nur zwei Fünftel des 1951 - 55 von Richard Paulick im Neorokoko-Stil errichteten Magazingebäudes sind für die 21 Probenräume und die Büros der Barenboim- Said-Akademie reserviert. Mehr als die Hälfte der 6500 Quadratmeter Nutzfläche werden der Öffentlichkeit zugänglich sein. Durch einen neuen Eingang an der Französischen Straße können die Besucher ab Herbst 2016 in eine hohe Halle treten, die einst als Rangierfläche für die Kulissenteile genutzt wurde und künftig Foyer heißen wird.

Die Computeranimation zeigt den Konzertsaal der geplanten Barenboim-Said Akademie in Berlin. Ab Herbst 2016 sollen begabte junge Stipendiaten in der Musikhochschule ihren Studiengang beginnen können.

© Barenboim-Said Akademie

Auch wenn die prächtige Fassade etwas anderes verspricht – im Inneren des Baus befand sich nichts weiter als ein profanes Hochregallager, wie man es aus der Selbstbedienungsabteilung von Ikea kennt: Die Dekorationselemente wurden hier auf bewegliche Brücken verladen, vor eines der metallischen Rolltore gefahren und dann in fensterlosen, garagenhaften Räumen verstaut. Den Industriecharme des 20 Meter hohen Raums mit seiner beeindruckenden Stahlträgerkonstruktion zu erhalten, war Vorgabe der Denkmalschutzbehörde. Dafür wurde die vollständige Entkernung des östlichen Gebäudeflügels für den Konzertsaal gestattet.

Vom Foyer, in dem es auch ein ganztätig betriebenes Café geben soll, werden die Besucher ein Auditorium betreten, das Staunen macht: 620 Sitzplätze gruppieren sich dort in zwei gegeneinander verschobenen Ellipsen um das mittig platzierte Musikerpodium. Wobei die Galerie stützenfrei über dem Parkett schwebt, wie eine Brücke lediglich an den Außenmauern aufgehängt. Um ideale akustische Bedingungen kümmert sich Yasuhisa Toyota, der schon oft mit Frank Gehry zusammengearbeitet hat, beispielsweise bei der unter Disney-Hall in Los Angeles.

Der Konzertsaal wird den Namen von Pierre Boulez tragen

So soll der von Frank Gehry entworfene Saal aussehen.

© Akademie

Der komplett mit Holz vertäfelte Saal soll den Namen des Komponisten und Dirigenten Pierre Boulez tragen – denn Barenboim plant, mit einem aus Mitgliedern der Staatskapelle wie seines West Eastern Divan Orchestra zusammengesetzten Ensemble vor allem Musik unserer Zeit zu spielen. Außerdem träumt er davon, hier auch ein Zentrum für die Erforschung und Aufführung arabischer Musik einzurichten. Der Saal soll aber ebenso auch von anderen Klassikveranstaltern angemietet werden können. Um das Management des Saales wie der Akademie kümmert sich Michael Naumann als Geschäftsführender Direktor.

Daniel Barenboim selber will sich ebenfalls intensiv einbringen: Die Zeit, die er gewinnt, wenn er zum Jahresende seinen Posten als Musikchef der Mailänder Scala aufgibt, wird er künftig in die Entwicklung der Akademie investieren, die er als logische Weiterentwicklung des West Eastern Divan Orchestra versteht.

Bereits 2007, so erzählt der Dirigent am Dienstag, habe er mit dem 1999 auf Anregung von Bernd Kaufmann in der Europäischen Kulturhauptstadt Weimar gegründete Ensemble selbst die allerschwersten Stücke des Repertoires spielen können. Doch einfach nur ein weiteres gutes Orchester auf dem Weltmarkt zu sein, war dem Maestro zu wenig.

Daniel Barenboim und Kulturstaatsministerin Monika Grütters am Dienstag beim offiziellen Baubeginn.

© dpa

„Das denkende Ohr“ überschreibt Barenboim seinen Entwurf für das Curriculum

So wurde jene Idee geboren, die sich nun in der Akademie materialisieren soll. „Das denkende Ohr“ überschreibt Barenboim seinen Entwurf für das Curriculum. Ein Stundenplan mit strenger Regelmäßigkeit schwebt ihm vor: Zwei Doppelstunden pro Woche werden die Stipendiaten in ihrem Instrument unterrichtet, hinzu kommt eine Stunde Klavier sowie zwei Stunden Musiktheorie. Ebenfalls zwei Doppelstunden sind für das studium generale vorgesehen, bei dem sich jeweils alle Teilnehmer im Plenum versammeln, um in die Grundlagen der Philosophie eingeführt zu werden.

„Meine Aufgabe wird es dann sein, die Verbindung dieser Gedankenwelten zur Musik herzustellen“, erklärt Barenboim. Eine Atmosphäre der Neugier wünscht er sich für die Akademie – und als Studierende junge Menschen, die keine Angst davor haben, zuzugeben, dass sie nicht sofort alles können. Wenn diese Vision Wirklichkeit wird, wenn es tatsächlich gelingen sollte, dass sich auf dem neutralen Boden Berlins Israelis und Araber über die Brücke der Musik näher kommen, dann wird diese Denkerschmiede nach altgriechischen Vorbild in die Geschichte eingehen: als Schule von Spreeathen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false