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Als Newcomerin schon in Klagenfurt prämiert. Dana Vowinckel, Jahrgang 1996, ist in Kreuzberg aufgewachsen, wo sie auch heute lebt.

© Rowohlt Verlag/Dorothea Tuch

Dana Vowinckels Romandebüt „Gewässer im Ziplock“: Deutschland, dein Ernst?

Wüten und glauben. Beim Bachmann-Wettbewerb wurde vor zwei Jahren ein Auszug ihrer Geschichte über den jüdischen Teenager Margarita prämiert. Jetzt ist das differenzierte Familiendrama vollendet.

Ungewöhnlich das. Nicht, dass ein wütender Teenager wie die 15-jährige Margarita die Hauptfigur und Zentralperspektive eines Romans bildet. Sondern, dass ein tiefgläubiger Kantor namens Avi mit seiner Erzählperspektive den Widerpart bildet, dessen innerer Gedankenstrom zeitweise sogar den von Margarita dominiert. Glaubensleben, egal welcher Religion, gehört eher selten zum Themeninventar von literarischen Debütantinnen.

Bei Dana Vowinckel schon. Die 1996 geborene Kreuzbergerin hat für ihre perspektivische Vielfalt, die erzählerische Dichte der in ihrem Romanerstling „Gewässer im Ziplock“ geschilderten jüdischen Lebenswelten in Berlin, Chicago, Jerusalem, die starken Figuren und den sensualistischen Stil schon Lob eingeheimst, bevor das Buch überhaupt vorlag. 2021, beim Bachmachmann-Wettbewerb in Klagenfurt, wo sie mit einem Auszug daraus den Deutschlandfunk-Preis gewann. Nun lässt sich auch auf die lange Lesestrecke sagen: zu Recht.

„Ich will jüdisches Leben erzählen, nicht erklären“, sagte Vorwinckel vor zwei Jahren bei einem Treffen nach ihrem Klagenfurt-Erfolg. Entsprechend selbstbewusst hantiert sie mit dem Vokabular des Kantors, einem Israeli, der Vorbeter in Berliner Synagogen ist. Vowinckel beschreibt Liturgie, Gebete, Judaika, ohne einen Beipackzettel für jeden Begriff beizulegen. Ein kurzes Glossar am Buchende immerhin gibt es. Beim Verstehen von Avis liturgischer Funktion helfen andere Sätze besser: „Es ist Schabbat. Er sang ihnen die Ruhe herbei.“

Margarita und Avi sind Tochter und Vater. Margarita besucht das Jüdische Gymnasium und verbringt die Sommerferien bei ihren Großeltern in Chicago. Ein trotziges und belesenes Mädchen, das sich so hingebungsvoll ekelt und empört, wie das nur Pubertisten können, die auf die Beobachtung des eigenen und anderer Körper fixiert sind, und das die eigene Sexualität ebenso ungestüm austestet wie ihre Machtspielchen mit Vater und Mutter.

Mit der in Margaritas Leben bisher abwesenden Mutter. Marsha, die die Familie aus Abscheu vor dem Leben in Deutschland verlassen hat, als Margarita noch klein war, arbeitet als Linguistikprofessorin in Jerusalem. Widerwillig fährt Margarita auf Wunsch von Vater und Großeltern zum ersten Mal nach Israel, sie besuchen, was eine Kette familiärer Dramen auslöst.

Gedenkrituale und Gemeindeleben

Dana Vowinckel erzählt von der Lebenswirklichkeit wohlhabender Intellektueller an der South Side von Chicago (Großvater Dan ist Professor an der Universität), den von Sicherheitsschleusen, Ausgrenzung und Holocaust-Gedenkritualen gezeichneten Berliner Gemeinden (Oranienburger Straße und mutmaßlich Fraenkelufer) und von Marshas areligiöser Liberalität, die sie der Tochter auf einer gemeinsamen Israel-Tour ans Tote Meer um die Ohren haut. All diese unterschiedlichen Milieus und Sichtweisen fängt die Autorin ebenso glaubwürdig ein, wie die Seelennöte von Margarita.

Deren Identitätssuche ist eng verzahnt mit der Frage, ob und wie Juden in Deutschland nach dem Holocaust leben können, oder besser: ob sie hier nicht nur Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch Zukunft haben. In einem Land, wo längst nicht nur Ereignisse wie der 2019 knapp missglückte Anschlag auf die Synagoge in Halle am Feiertag Jom Kippur auf einen gewaltbereiten Antisemitismus hinweisen, kann eine junge Jüdin kaum selbstverständlich glücklich werden. Oder vielleicht doch?

Avis und Marshas Ehe scheiterte immerhin an dieser erbitterten innerjüdischen Debatte, die in den dialogischen Schlammschlachten des letzten Romandrittels erneut auflebt. Deren enervierende Länge ist ein Abzug in der stilistischen B-Note, die sich „Gewässer im Ziplock“ ankreiden lässt. Den Namen von Dana Vowinckel, die in diesem Jahr das Arbeitsstipendium des Berliner Senats für Literatur zugesprochen bekam, merkt man sich besser trotzdem.

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