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© Illustration: Sacco/Edition Moderne

Comic-Reportagen: Krieg in der ersten Person

Eine Arte-Dokumentation analysiert die Möglichkeiten dokumentarischer Bildgeschichten – und ihre Grenzen.

Darauf war er nicht vorbereitet. Als der Comiczeichner Joe Sacco vor bald 20 Jahren eine Reise durch die von Israel besetzten palästinensischen Gebieten unternahm, traf ihn die alltägliche Gewalt dort völlig unerwartet. Was er damals erlebte, ließ ihn nicht mehr los. Der heute 49-Jährige hatte seine Bestimmung gefunden – erstmals zum Ausdruck gebracht im heute als Meilenstein des Comic-Journalismus gefeierten Buch „Palästina“, das kürzlich im Verlag Edition Moderne neu aufgelegt wurde. Seitdem hat sich der Amerikaner auch in anderen Krisenregionen umgeschaut, so in Bosnien und zuletzt im Irak. Die dabei entstandenen, zum Teil auf Deutsch erhältlichen gezeichneten Reportagen versuchen gar nicht erst, sachlich oder gar neutral daherzukommen. Sie sind persönlich, subjektiv und bewegend. Das ist Saccos Absicht, wie er in der Arte-Dokumentation „Comics ziehen in den Krieg“ beschreibt, die am Montag Abend ausgestrahlt wird.

In gut 60 Minuten gibt Arte-Autor Mark Daniels einen umfassenden Einblick in das in den vergangenen 20 Jahren gewachsene Genre, welches den öffentlichen Blick auf Krieg, Revolution und Völkermord um wichtige neue Perspektiven bereichert. Es ist ein betont subjektiver Blick, den Chronisten wie Sacco, Marjane Satrapi („Persepolis“) oder Keiji Nakazawa („Barfuß durch Hiroshima“) einnehmen. Statt von Heerführern oder heldenhaften Soldaten, von Politikern und abstrakten Volksgruppen erzählen sie vom Leben und vom Leiden einzelner Zivilisten, aus der Perspektive der Individuen, die von politisch motivierter Gewalt betroffen sind.

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Durchs wilde Afghanistan. Die Comic-Reportage »Der Fotograf« des Zeichners Emmanuel Guibert schildert die Erlebnisse des Fotoreporters Didier Lefèvre.

© Illustration: Guibert/Lefèvre/Edition Moderne

Der französische Comic-Autor Emmanuel Guibert, der in seinen nach und nach auch auf Deutsch erhältlichen Büchern von individuellen Erlebnisse in Afghanistan („Der Fotograf“) und vom Zweiten Weltkrieg („Alans Krieg“) berichtet, fasst das in einem Satz zusammen: „Ich erzähle immer in der ersten Person.“

Welchen Gewinn die Auseinandersetzung mit Krieg und Trauma im Comic bringen kann, macht Daniels in diesem Film ebenso deutlich wie die Grenzen des Genres. Der Vorteil: Nur wenige Medien schaffen es, dem Leser den subjektiven Blick von einzelnen Betroffenen so nahe zu bringen wie diese Bildgeschichten. In der Verbindung aus Bild und Text lassen sich Schock, Emotion, Trauer kraftvoll sehr direkt und doch künstlerisch reflektiert vermitteln – auch deswegen, weil es in den klassischen Nachrichten und auch in Film und Literatur zu vielen Opfergeschichten, die man erzählen könnte, weder die passenden Fotos oder Videos noch authentische Wortberichte gibt. Der Comic-Reporter hingegen schafft mit seiner Verbindung von selbst Erlebtem oder Gehörtem und den dazu nachträglich geschaffenen Bildern erst ein umfassendes Abbild der Realität – zumindest seiner Realität oder der seiner Gesprächspartner.

Und hier liegt auch die Beschränkung des Ansatzes, die die Arte-Dokumentation nicht verschweigt: Den alle denkbaren Perspektiven vereinenden Bericht, die Wahrheit gar, wird man unter den Dutzenden von Comicreportagen der vergangenen Jahre vergebens suchen.

Comics ziehen in den Krieg
Persönlich, subjektiv, bewegend. Joe Sacco hat nicht den Anspruch, sachlich oder neutral zu berichten.

© Arte/ZDF

Aber anders als die vermeintlich sachlichen und doch zwangsläufig immer auch subjektiven und unausgewogenen klassischen Kriegsberichte versuchen die Comic-Chronisten in ihren Werken gar nicht erst, Objektivität vorzutäuschen. Es ist kein Zufall, dass sich viele von ihnen als Akteure in ihren Geschichten selbst auftauchen lassen, um deutlich zu machen: So habe ich das erlebt.

In der Beschränkung auf die individuelle Perspektive kann man dann erneut eine Stärke sehen, so wie es Art Spiegelman tut, seit seiner Holocaust-Aufarbeitung im Comic „Maus“ Mitte der 1980er Jahre der Grandseigneur dieses Genres und in diesem Film mit folgender Selbsteinschätzung vertreten: „In einer Welt, in der ,Photoshop’ die Fotografie als Lügnerei entlarvt hat, können Künstler nun wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung als Reporter nachgehen.“ Comic-Veteran Joe Kubert, der aus seiner Subjektivität keinen Hehl macht, sieht das ähnlich: „Als Geschichtenerzähler bediene ich mich meiner Gefühle, meiner Intuition“, sagt der 83-jährige Zeichner, von dem einerseits auf die Soldatenperspektive konzentrierte Actionklassiker wie „Sergeant Rock“ stammen, andererseits aber auch die Comic-Erzählung „Fax from Sarajevo“, die die ganz persönlichen Erlebnisse einer mit Kubert befreundeten Familie in der besetzten, bombardierten Stadt wiedergibt.

Dokumentarfilmer Daniels verbindet in seinem Beitrag gut ausgewählte Interview-Passagen mit einem Dutzend Zeichnern und Autoren mit anschaulich montierten Passagen aus deren Werken.

Comics ziehen in den Krieg
Erlebte Geschichte. Marjane Satrapi wurde mit ihrem biografischen Comic »Persepolis« weltberühmt.

© Arte/ZDF

Dabei können deutsche Zuschauer lesenswerte Comic-Reportagen entdecken, die es bislang nur auf Englisch oder Französisch gibt. Dazu gehören die Afghanistan-Erlebnisse des von seinen Erfahrungen im Kriegsgebiet traumatisierten Berichterstatters Ted Rall, die in französischen Zeitungen erstmals veröffentlichten, sehr emotionalen Palästina-Reportagen des Franzosen Patrick Chappatte oder die schwarz-weißen Kriegsgeschichten des Amerikaners Greg Cook, der Veteranen der US-Armee interviewt hat und ihre teils grauenhaften Erzählungen in schematischen, an Scherenschnitte erinnernden Bildfolgen verdichtete.

„Comics sind für alle Menschen leicht zugänglich, deswegen können sie das Grauen besonders gut vermitteln“, begründet der Japaner Keiji Nakazawa seine Entscheidung, die alptraumhaften Erlebnisse seiner Familie nach den amerikanischen Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki als Comic zu erzählen. „Ich will erzählen, wie ich es erlebt habe und einen Gegenpunkt zum Mainstream-Journalismus setzen“, sagt der Amerikaner Rall. Und der Franzose Emmanuel Guibert glaubt, dass die subjektive, nur ausgewählte Bilder und Worte verbindende Darstellungsform der

Comics ziehen in den Krieg
Barfuß durch Hiroshima. Der Japaner Keiji Nakazawa schildert die alptraumhaften Erlebnisse seiner Familie nach den Atombombenabwürfen, für den Arte-Beitrag wurden seine Bilder teilanimiert.

© Illustration: Nakazawa/Arte

– ebenfalls niemals objektiven – menschlichen Erinnerung am ehesten gerecht wird: „Man erreicht etwas, das an Authentizität grenzt.“

Dank der Ernsthaftigkeit und dem Reflexionsvermögen seiner zeichnenden Gesprächspartner ist dem Dokumentaristen Mark Daniels in diesen 64 Minuten weit mehr gelungen als ein Film nur über das Potenzial gezeichneter Zeitgeschichte: „Comics ziehen in den Krieg“ ist auch eine nachdenklich stimmende Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit es überhaupt irgendeinem Medium möglich ist, dem gerecht zu werden, was Menschen in Kriegen und Gewaltsituationen erleiden.

„Comics ziehen in den Krieg“, Montag (25. Januar), 22 Uhr 55, Arte.
Wiederholungen 26.Januar, 1.25 Uhr und 31.Januar, 1.40 Uhr.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 24.01.2010)

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