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Eine Szene aus „Boys Run the Riot“.

© Carlsen Manga

Diversität im Manga „Boys Run the Riot“: Stilsicherer Befreiungsschlag

Der trans Künstler Keito Gaku verarbeitet eigene Erfahrungen in der Manga-Reihe „Boys Run the Riot“. Jetzt sind die ersten Folgen auf Deutsch erschienen.

Von Sabine Scholz

Ryo kommt fast nur noch in seinem Trainingsanzug zur Schule. Den Rock der normalen Schuluniform erträgt er einfach nicht. Ihm wurde nach der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen, aber er ist ein Junge.

Während Ryo dies in der Schule geheim hält und immer neue Ausreden für sein Auftreten erfindet, wirft er sich in seiner Freizeit in Schale. Er genießt es, coole Klamotten zu tragen und als Junge wahrgenommen zu werden.

Der Traum vom eigenen Modelabel

Bei einem dieser Ausflüge begegnet er Jin, einem neuen Mitschüler. Mit seinem selbstbewussten, unbekümmerten Auftreten reizt dieser Wiederholer den von seinen eigenen Anpassungsbemühungen erschöpften Ryo.

Jin wiederum sieht in Ryo einen Seelenverwandten, der gleichsam modeaffin ist und schlägt ihm vor, ein gemeinsames Label zu gründen. Er hätte schon immer Kleidung kreieren wollen und zwar mit jemandem, der denselben Geschmack hat. Ryo ist unsicher, ob er annehmen oder ablehnen soll. Mut zum Anderssein kommt eben nicht über Nacht.

Basierend auf eigenen Erfahrungen kreiert der japanische Zeichner Keito Gaku mit „Boys Run the Riot“ (Übersetzung Gandalf Bartholomäus, Carlsen Manga, bislang zwei Bände à 226/178 S., je 10 €) einen zeitgemäßen Vertreter des Coming-of-Age-Genres, dessen edgy Artwork in dem Großformat gut zur Geltung kommt, welches Carlsen Manga für die Reihe gewählt hat.

Die Serie war 2021 in den USA in der Kategorie „Best Manga“ für den renommierten Harvey Award nominiert, musste sich aber schließlich dem Bestseller „Chainsaw Man“ geschlagen geben. Und beim Festival International de la Bande Dessinée d’Angoulême, das als Europas wichtigstes Comicfestival gilt und im Januar 2023 das nächste Mal stattfindet, wurde die Reihe für eine Auszeichnung im Bereich Jugend-Comics nominiert.

Eine Doppelseite aus „Boys Run the Riot“.

© Carlsen Manga

Ob der aufrichtige Jin, der kompromisslos seinen Traum vom eigenen Modelabel verfolgt, ein Verbündeter und Freund sein kann, enthüllt Keito Gaku recht zügig. Mit dem erlösenden wie schmerzhaften Emanzipationsprozess Ryos, der durch die zufällige Begegnung und die folgenden Ereignisse in Gang gesetzt wird, lässt er sich hingegen mehr Zeit.

Nach und nach versammeln die stilbewussten Hauptfiguren in der authentischen Geschichte über das Erwachsenwerden weitere ebenso komplexe Charaktere um sich, darunter neben diversen Cis-Protagonisten auch eine non-binäre Person.

Das Figurendesign ist dank des dichten, versierten Zeichenstils sehr individuell und gut wiedererkennbar. Dem Lesefluss kommt das geschickt arrangierte Seitenlayout entgegen.

Keito Gaku erzählte in einem Interview für die englische Buchausgabe, dass er neben der Transition Ryos, dem zunehmenden Ausdruck seiner Geschlechtsidentität, einen weiteren Wachstumsfaktor als Projektionsfläche integrieren wollte.

Besonders überzeugend war für ihn der Fakt, dass Mode identitätsstiftend sei und zudem ein Business ist, in dem auch ein Oberschüler bei ausreichender Motivation etwas erreichen könne.

Da es in „Boys Run the Riot“ also auch um Mode und Design geht, sind die realistisch gestalteten Outfits besonders detailliert und schattierungsreich umgesetzt.

Keito Gaku: Boys Run the Riot, Übersetzung Gandalf Bartholomäus, Carlsen Manga, bislang zwei Bände à 226/178 S., je 10 Euro.

© Carlsen Manga

Wer allerdings schräge Looks erwartet, wird enttäuscht. Jins und Ryos Label setzt auf schlichten Urban-Style sowie graffiti- und letteringinspirierte Typo-Prints, was sich in entspannten, tragbaren Wohlfühlklamotten für den Alltag äußert.

Aufgrund seiner eigenen Erfahrungen und Kenntnisse auf dem Gebiet Graffiti und Streetart lag es für Keito Gaku zudem nahe, für Ryos ausdrucksstarke Designs diese Kunstform zu wählen. Die Urban-Art-Anleihen gipfeln darin, dass der Manga-ka das eindrucksvolle Graffiti eines anderen Künstlers verwendet, mit Erlaubnis und Nennung des Urhebers Shintaro Wein.

Im Interview erzählte er, dass er sich überdies nicht nur von Menschen aus seiner Vergangenheit und seinem Umfeld inspirieren ließ, sondern, wenn er deren Expertise benötigte, auch Designer und Gründer von Modelabels befragte.

„Boys Run the Riot“ ist eine authentische LGBTIQ-Geschichte für erwachsene Lesende mit hohem Urban-Style-Faktor, die aufgrund der ehrlichen und auf wahren Erlebnissen beruhenden Schilderung der Gefühle eines trans Menschen diese Zielgruppe ganz besonders abholt.

Für ein jüngeres Publikum ist die in vier Bänden abgeschlossene Reihe, die in Japan von 2020 bis 2021 erschien, zudem zugänglicher als etwa Titel wie „Meine lesbische Geschichte von Einsamkeit“. Keito Gaku, dessen preisgekröntes Debüt „Akarui“ bereits einen trans Protagonisten zur Hauptfigur machte, arbeitet aktuell an einem Basketball-Manga namens „Aoba no Basket“.

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