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Strich für Strich. Die Abbildung entnehmen wir dem Prachtband „Kein Strich zu viel – 65 Jahre Peanuts“ (Baumhaus Verlag, Köln, 304 Seiten, 39 €).

© Baumhaus

Charles M. Schulz und die Peanuts: „Charlie Brown gibt die Hoffnung nie auf“

Wieviel Charlie Brown steckte in „Peanuts“-Schöpfer Charles M. Schulz? Seine Witwe Jean Schulz gibt im Tagesspiegel-Interview Auskunft.

Frau Schulz, wir würden gerne mit Ihnen über Ihren Mann Charles M. Schulz reden, dessen „Peanuts“ jetzt mit einem 3-D-Kinofilm eine Renaissance erleben

…ich nenne ihn immer Sparky, so hieß er bei jedem, der ihn kannte. Mögen Sie ihn nicht auch so nennen?

Gerne. Sparkys Jugend in St. Paul, Minnesota, gilt ja für viele als Quelle der Peanuts-Geschichten.

Ja, daher haben sich die Filmemacher bei der Gestaltung der Kulissen für den Peanuts-Film auch an realen Gebäuden und Straßen in St. Paul und seiner Zwillingsstadt Minneapolis orientiert. Die sind extra dort hingefahren, um Aufnahmen zu machen, die wiederum die Vorlage für die animierten Gebäude waren. Diese Gebäude und Straßen aus Sparkys Kindheit waren ja bereits die Kulissen für die Peanuts-Strips, nur sind sie dort nie so ausführlich zu sehen wie jetzt im Film.

Der Autor David Michaelis hat diese Bedeutung der Jugend von Charles M. Schulz für die Peanuts-Strips ja in seiner 2007 erschienenen Biografie „Schulz and Peanuts“ in den Vordergrund gestellt.

Ja. Er hat damals auch viele Menschen in St. Paul und Minnesota besucht und interviewt, die Sparky als Kind oder als jungen Mann kannten. Dabei hat er so viele Dinge über Sparky herausgefunden, die man so noch nicht gehört hatte. Und er setzte sie in einen neuen Kontext. Ich denke, wir wissen heute mehr über Sparky, als er je über sich selbst wusste.

Das Buch von David Michaelis hat ja eine ziemliche Kontroverse in den USA ausgelöst – und viel Widerspruch seitens Ihrer Familie. Liegt das daran, dass Sparky darin als trauriger, latent depressiver Mensch zu negativ porträtiert wurde?

Verschiedene Mitglieder unserer Familie haben unterschiedlich auf das Buch reagiert. David hatte vor der Veröffentlichung über viele Passagen mit mir gesprochen und sie dann auf meine Rückmeldung hin noch geändert. Aber grundsätzlich denke ich, dass er sich trotzdem zu sehr auf das konzentriert, was er Sparkys „Depression“ nennt. Ich nenne es lieber Melancholie. Denn wenn man in unserer Gesellschaft Depression sagt, dann ist das eine klinische Diagnose. Es bedeutet zum Beispiel, dass man starke körperliche Verkrampfungen hat und dass man unfähig ist, normal zu agieren. So war Sparky aber nicht.

Sondern?

Botschafterin ihres Mannes: Jean Schulz bei ihrem Berlinbesuch.
Botschafterin ihres Mannes: Jean Schulz bei ihrem Berlinbesuch.

© Lars von Törne

Nun, er war ein Künstler, der viel Inspiration aus seinen Neurosen zog, wenn man es so ausdrücken will. Das war seine Art, diese Unsicherheit loszuwerden, dieses Gefühl der Unzulänglichkeit. Er schrieb darüber, um damit fertigzuwerden.

Also die Vergangenheit eher als kreative Quelle denn als Last?

Ja, denn Sie dürfen Charlie Browns Optimismus nicht vergessen. Natürlich, er ist traurig, er fühlt sich für die Gesellschaft ungeeignet, er meint, dass ihn niemand mag. Aber er ist doch auch immer zuversichtlich, dass es besser wird. Er gibt die Hoffnung nie auf. Und diese positive Seite von Charlie Brown und auch von Sparky kommt in Davids Buch zu kurz. Sparky zeichnete sich einen Weg aus seinem Gefühl der Unzulänglichkeit heraus.

Auch im Peanuts-Film halten sich Traurigkeit und Lebensfreude, Rückschläge und Optimismus die Waage.

Ja, und das ist für einen Film von gerade mal 80 Minuten eine ziemliche Leistung. Denn wenn man die täglichen Comicstrips liest, hat man ja als Leser einen ganz anderen Zeitrahmen. Wenn ich den Strip von heute traurig finde oder er mich unglücklich macht, dann kann ich immer sagen: Morgen geht’s weiter! Der Film hingegen muss diesen Ausgleich in einem Stück hinbekommen.

Gefiel Ihnen der Film?

Ja, sehr. Eine der witzigsten, oder vielleicht eher: eine der stärksten Szenen ist für mich, wie Sally Profit aus der vorübergehenden Berühmtheit ihres Bruders schlagen will, die sich durch die Filmhandlung ergibt.

Aber ist das nicht gerade eine Szene, die den Grundkonflikt der kommerziellen Verwertung anspricht, den viele Fans der Peanuts-Strips als Problem empfinden und wegen dessen viele Menschen dem Film mit sehr ambivalenten Gefühlen entgegensehen?

Ja, das verstehe ich. Und ich muss sagen: Als die ersten Ideen für das Projekt bekannt wurden, bekam ich verwunderte E-Mails von Menschen, die die die Peanuts lieben und die mich kennen. Sie fragten mich: Du hast diesen Film zugelassen? Zu dem Zeitpunkt hatte ich selbst noch keine genaue Vorstellung, was das alles werden soll. Aber als ich Steve Martino dann traf und mir klar wurde, wie stark seine Hingabe nicht nur für den Film ist, sondern auch für Sparkys Kunst, da war ich davon überzeugt, dass er das Bestmögliche daraus macht. Vor knapp einem Jahr war ich dann bei den BlueSky-Studios, um eine Stunde mit den Animatoren zu sprechen, die für eine genaue Übertragung von Sparkys Zeichenstrich in die Filmästhetik zuständig sind – und von denen viele seit ihren Kindertagen Fans der Peanuts-Comics und von Sparkys Stil sind. Was die über die Figuren sagten, erinnerte mich sehr an die Zusammenarbeit von Sparky, Bill Melendez und Lee Mendelson, die ab den späten 1960er Jahren für die Adaption der Peanuts-Geschichten als Trickfilme zuständig waren.

In welcher Hinsicht?

Natürlich erfordert so eine Zusammenarbeit immer Kompromisse, aber die Filme von Sparky, Bill und Lee waren damals so erfolgreich, weil jeder die Arbeit der anderen respektierte. Und ich muss sagen, ich habe einen großen Respekt für Steve und sein Team entwickelt, weil sie den Film so nah am Comicstrip entwickelt haben, wie es möglich war. Daher ist es zutiefst befriedigend für mich zu sehen, dass der Film jetzt so gut geworden ist.

Liegt das auch daran, dass Ihr Stiefsohn, Sparkys Sohn Craig Schulz, und dessen Sohn Bryan, als Produzenten und Drehbuch-Co-Autoren beteiligt waren?

Ja, auf jeden Fall. Viele Menschen fragen mich: Wieso ein Kinofilm? Wieso jetzt? Dann sage ich immer: Das hat sich eben so entwickelt. Es begann mit einer Idee, die Craig hatte. Die hat er immer weiter verfeinert, dann ein Studio gefunden, das ihren Ansprüchen genügen würde. Das hat alles sehr lange gedauert. Aber diese lange Zeit hat sich gelohnt. Wenn mir jemand vor sechs Jahren gesagt hätte: Wir brauchen einen Peanuts-Film, um die Peanuts zurück ins öffentliche Bewusstsein zu bringen, dann wäre das irgendwie künstlich gewesen. Aber so hat es sich einfach ganz natürlich entwickelt – und ich bin ein großer Fan von Steve Martino und seinem Team geworden.

Waren Sie in irgendeiner Form an der inhaltlichen Gestaltung des Films beteiligt?

Nicht direkt. Aber ich habe mit Steve viele E-Mails hin- und hergeschrieben. Und er und sein Team sind einige Monate lang immer wieder zu uns ins Museum gekommen, um anhand der Originale Dinge zu erarbeiten – und sie haben dabei auch Sparkys altes Atelier benutzt, in dem früher die Strips zeichnete. Ich bin sicher, dass das einen Einfluss auf ihre Arbeit hatte.

Der Film soll ja auch eine neue Generation für die Peanuts erwärmen, die damit nicht mehr als Zeitungsstrip aufgewachsen sind. Sie selbst leiten das Charles-M.-Schulz-Museum in Kalifornien. Wieweit sind die Peanuts noch interessant für junge Leute, und wieweit spricht Ihr Museum auch Menschen an, die im 21. Jahrhundert geboren wurden?

Die meisten Menschen, die zu uns kommen, kennen den Strip schon seit langem. Aber immer wieder habe ich Gruppen von Schülern zu Besuch, die die Peanuts kaum noch kennen. Als ich Kind war, lag ich jeden Tag mit der Zeitung auf dem Boden unseres Wohnzimmers und las die Comicstrips. Das hat sich natürlich geändert, heute gucken die Kinder stattdessen Youtube. Daher ist es für mich immer am schönsten, wenn Eltern mit ihren Kindern zu uns kommen und ihnen zeigen, mit was sie groß geworden sind. Ich hoffe, dass auch der Kinofilm so einen Dialog zwischen den Generationen anregt.

Das Interview führte Lars von Törne

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