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Geld wurde 1923 so wertlos, dass die Menschen es zum Anfeuern von Öfen verwendeten.

© A. Engelhardt/picture alliance / ZB

Bücher über das Krisenjahr 1923: Höllenritt und Höhenrausch

Die Zeitgenossen nannten 1923 ein „tolles Jahr“. Warum die Demokratie damals nicht unterging, erzählen nun gleich mehrere Bücher.

Ein Kommentar von Christian Schröder

Die amerikanische Historikerin Barbara Tuchman prägte das Bild von der Geschichte als einem „fernen Spiegel“. Ihr gleichnamiges Buch handelt vom 14. Jahrhundert, das in Europa vom Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich bestimmt wurde.

Tuchman konnte fesselnd und elegant erzählen, aber ein Bestseller wurde ihr 1978 erschienenes Buch vermutlich auch deshalb, weil sich viele Leser an die militärisch hochgerüstete Gegenwart des Kalten Kriegs erinnert fühlten.

Seit einiger Zeit boomt auf dem Buchmarkt das Genre von Sachbüchern, die in ihrem Titel eine Jahreszahl tragen. Dabei geht es nur noch selten ums Mittelalter und seine Ritter und später heiliggesprochenen Rebellinnen wie Jeanne d’Arc. Die Aufmerksamkeit gilt unseren näheren Verwandten aus der Generation der Großmütter und Urgroßväter.

Den Anlass, in den Spiegel der Zeitgeschichte zu blicken, liefern gerne hundertjährige Jubiläen. Besonders clever tat das Florian Illies 2013 mit seinem Buch „1913“, das eben nicht vom Ersten Weltkrieg handelt, sondern kaleidoskopartig von dessen unmittelbarer Vorgeschichte, dem - so der Untertitel - „Sommer des Jahrhunderts“.

Die Weimarer Republik ging 1933 unter, sie hätte aber schon zehn Jahre zuvor scheitern können. Hyperinflation, vier Millionen Arbeitslose, das Rheinland wird besetzt, Hitler putscht in München, in Berlin planen Generäle einen Staatsstreich.

Wie sich die Lage zuspitzt und die Demokratie dann doch noch einmal davonkommt, davon erzählen aktuell Bücher, die „Ein deutsches Trauma“ (Mark Jones), „Das Jahr am Abgrund“ (Volker Ullrich) oder „Außer Kontrolle“ (Peter Longerich) heißen.

Etwas freundlicher klingt Christian Bommarius, der seinem Buch den Titel „Im Rausch des Aufruhrs“ gab. Und Peter Süß nannte seine monatsweise gegliederte Chronik schlicht „Endstation“, bittet aber: „Alles einsteigen!“. Denn 1923 war auch das Jahr, in dem der Dramatiker Brecht den Durchbruch schaffte und die erste Bauhausausstellung stattfand.

Höllenritt und Höhenrausch. Zeitgenossen hielten 1923 für ein „tolles Jahr“. Im Vergleich zu den damaligen Kalamitäten erscheinen die multiplen Krisen unserer Gegenwart beinahe harmlos.

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