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Kultur: Bella figura

Ivo Pogorelich und das Orchestra della RAI.

Um es gleich vorweg zu sagen: Sie haben durchaus eine bella figura gemacht bei ihrem Berlin-Gastspiel am Mittwoch, die Musiker vom Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI. 1994 waren die vier italienischen Radio-Orchester zu einem einzigen Ensemble mit Sitz in Turin zwangsfusioniert worden – auch schon vor der Bunga-Bunga-Ära ging man im Heimatland der Oper nicht gerade zimperlich mit den kulturellen Ressourcen um. Seit 2009 leitet der junge Slowake Juraj Valcuha als Chefdirigent die RAI-Sinfoniker. Eine Verbindung, bei der hörbar amore im Spiel ist. Kein Wunder, dass sich die Italiener im Rahmen ihrer Europa-Tournee nun unbedingt auch in der Philharmonie präsentieren wollten.

Valcuhas große Stärke ist das Stimmungsmachen, und wenn auf Seiten des Orchesters dann noch der landestypische Instinkt fürs Theatralische hinzukommt, wird Richard Strauss’ „Till Eulenspiegel“-Tondichtung unerwartet zur mitreißenden Ballettmusik, farbenprächtig, lebensprall und voll tänzerischem Elan. Ganz aus dem Atmosphärischen lebt bei Juraj Valcuha auch Rachmaninows 3. Sinfonie. Liebevoll betont der Dirigent die vielen fantasievollen Instrumentationsdetails: Da beginnt beispielsweise der zweite Satz mit einer exquisiten Verbindung von Harfe und Horn, dann übernimmt die Sologeige, aus deren Linie sich wiederum eine sirupsüße Kantilene der ganzen Streichergruppe entspinnt. Die Flöte beschwört ein ländliches Idyll, bevor Rachmaninow gestopfte Trompeten mit der Bassklarinette kombiniert – und so weiter und so fort in diesem Soundtrack für ein nie gedrehtes romantisches Leinwandmelodram.

Die meisten Besucher sind an diesem Abend allerdings wegen Ivo Pogorelich gekommen. Und der exzentrische Pianist aus Belgrad macht seine Fans mit Chopins 1. Klavierkonzert glücklich. Nichts ist bei ihm wohltemperiert, was wir über den Repertoire-Dauerbrenner zu wissen meinen, wird zur Disposition gestellt. Alles ist Absicht, Ergebnis intensiver Durchdringung und wirkt doch wie frei improvisiert. Pogorelichs Spiel ist eine Verlebendigung des Notenmaterials aus der persönlichsten Sicht, jede Partitur wird ihm zum atmenden Organ, das sich an unerwarteten Stellen auswölbt. Oder auch zurückzieht. Dann wieder stechen plötzlich Details scharfkantig hervor.

Pogorelich ist eine Art Frank O. Gehry der Klaviervirtuosen: Wie bei den Wunderbauten des amerikanischen Architekten gerät auch bei ihm vor lauter Faszination für die Formen leicht der Inhalt aus dem Blick. Frederik Hanssen

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