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Kunst und Film: An der Schnittstelle

Kunst und Film bewegen sich aufeinander zu, wie Berlinale Forum Expanded und Transmediale zeigen.

Es ist derzeit ein heißer Flirt zwischen bildender Kunst und Film. Wenn Tom Tykwer in seinem Berlinale-Eröffnungsfilm „The International“ den Babelsberger Nachbau des Guggenheim -Museums mit Videokunst des Berliners Julian Rosefeldt ausstatten lässt, wenn sich Caroline Link für die Ölbilder in „Im Winter ein Jahr“ den Münchner Künstler Florian Süssmayr wählt, liegt das noch im gewöhnlichen Ausstattungsbereich. Filme über Kunst und Künstler zeigen eben Kunst, und dass sich Regisseure zur Umsetzung visueller Fantasien an bildende Künstler wenden, ist üblich, seit Alfred Hitchcock sich seine Traumsequenzen von Salvador Dali gestalten ließ. Das Berliner Galeriehaus Kunst-Werke zeigt, pünktlich zur Ber linale, eine Ausstellung zu Film vorspännen. Die waren, gerade in den psychedelischen 70ern, oft kleine Kunstwerke für sich.

Doch die deutlicheren Avancen kommen von der anderen Seite. Verstärkt seit den späten Neunzigern zeigen sich bildende Künstler deutlich vom Film fasziniert. Keren Cytter oder Douglas Gordon, John Bock, William Doherty oder Guy Ben-Ner arbeiten in der Grauzone zwischen Kino und Kunst. „Kino ist in“, bestätigt Stefanie Schulte-Strathaus, die seit vier Jahren das der Schnittstelle zwischen Film und Kunst gewidmete Forum Expanded der Berlinale kuratiert. Auch Festivals wie die heute endende Transmediale und die Kunstfilmbiennale in Köln zeigen immer mehr Zwitterwerke.

Was lockt die Kunst am Kino? Die Sehnsucht nach Popularität zunächst, die Künstler gern auf Filmikonen zurückgreifen lässt. Sei es, dass Douglas Gordon den Film „Psycho“ auf 24 Stunden dehnt oder Candice Breitz gerade in der Temporären Kunsthalle eine Installation zeigte, die aus verschiedenen Jack-Nicholson-Filmen gesampelt ist, sei es, dass Ayse Erkmen im Hamburger Bahnhof einen aus Sequenzen von Vittorio de Sica, Fred Zinneman, Jim Jarmusch und Bernardo Bertolucci zusammengestellten Film zeigt oder Christoph Girardet und Markus Müller in „Kristall“ bekannte Filmszenen zusammenschneiden, die alle einen Spiegel zeigen – immer arbeitet diese Form der Kunst mit dem Wiedererkennungswert, dem Populärgedächtnis des Zuschauers. Auch Künstler können Filmfans sein.

Ein visuell denkender Filmwissenschaftler arbeitet nicht viel anders: Wenn Hans- Helmut Prinzler und Michael Althen in „Auge in Auge“ 100 Jahre deutsche Filmgeschichte resümieren, ist das, in der intelligenten Collagetechnik, ein ganz ähnliches Vorgehen. Der Belgier Johan Grimonprez, dessen hochintelligente Hitchcock-Hommage „Double Take“ im Forum Expanded läuft, zeigt, mit deutlichen Anleihen an Magritte, eine mit dem Doppelgängermotiv spielende film- und zeitgeschichtliche Etüde, die Hitchcocks Thriller mit der Politgeschichte der Kalten Kriegs parallel führt.

Grundlegender ist die Auseinandersetzung, wenn sie sich mit dem Kino als Raum und mit den Wahrnehmungsverhalten des Publikums befasst. Nostalgiker wie Janet Cardiff und George Bures Miller, die für die Biennale in Venedig 2001 ein kleines Kino in den kanadischen Pavillon bauten, liefern eine Hommage an den klassischen Kinoraum – ebenso der Fotograf Hiroshi Sugimoto, der amerikanische Autokinos per Langzeitbelichtung zur idealen Assoziationsfläche, der weißen Leinwand, reduziert.

Die Kernfrage bleibt: Was zeichnet einen im Kino gesehenen Film aus? Und was ein im Museum oder in der Galerie gezeigtes Kunstwerk? Auch Künstler scheinen sich der Unterschiede nicht immer ganz bewusst. Stefanie Schulte -Strathaus erzählt, dass vor einigen Jahren immer mehr Künstler ihre Arbeiten beim Forum hätten einreichen wollen – und als sie dann tatsächlich eine solche Arbeit im Festivalprogramm aufgenommen hatten, sei die Künstlerin ganz nervös geworden. Ein Publikum, das ihre Arbeit im Kino sitzend von Anfang bis Ende sehen würde – das hatte sie sich nicht so vorgestellt. Ob man die Zuschauer nicht zwischendrin rein- und rausgehen lassen wollte? Aus dieser Erfahrung heraus ist dann das Forum Expanded gegründet worden, um das Bewusstsein für die Besonderheit des Kinoerlebnisses zu schärfen.

In der Tat, einer der wesentlichen Unterschiede zwischen Kunst und Film ist, dass ein Film in der Regel linear, im konzentrierten, fokussierten Dunkel des Kinosaals konsumiert wird, allein in einer (im Idealfall) schweigenden Menge. Eine Videoinstallation lässt hingegen die Freiheit, zwischendrin rauszugehen, bezieht das Publikum und sein Verhalten mit ein. Als 2002 auf der Documenta 11 Ulrike Ottingers Sechsstundenarbeit „Südostpassage“ lief, werden die wenigsten den ganzen Film gesehen haben, doch viele werden im Documenta -Trubel einige Minuten der unverhofften Konzentration erlebt haben. „Südostpassage“ kam übrigens später, in zwei Teilen, ins Kino, ebenso wie Matthew Barneys „Cremaster“-Zyklus. Ein Erfolg war es nicht.

Wenn nun im Forum Expanded zwölf Stunden das New- York-Tagebuch des Berliner Experimentalfilmers Ludwig Schönherr gezeigt wird, wenn in vergangenen Jahren Filme von Andy Warhol, Sharon Lockhart, Michael Snow oder Jonas Mekas’ Tagebuch „As I was moving ahead, occasionally I saw brief glimpses of beauty“ im Programm liefen, wird die Grenze fließend.

Dass heutige Künstler dort weitermachen, wo der Experimentalfilm sich Anfang der 90er totgelaufen hatte, dass ein Kunstpublikum filmischen Experimenten gegenüber leidensfähiger und geduldiger, kritischer und neugieriger sein kann als das klassische Filmpublikum – diese Vermutung steckt hinter Formen wie dem Forum Expanded. Die Berlinale versucht damit auch, vom Potsdamer Platz weg in die Stadt zu diffundieren und ein neues Publikum zu locken. In diesem Jahr wirken erstmals neun Berliner Galerien mit, die mittels Bustouren erreicht werden.

Vor allem aber beobachtet Schulte Strathaus, gerade jetzt, da die Berlinale ihre meisten Kinos auf digitale Projektion umstellt, eine Rückkehr der Kunst zum klassischen Film. Super 8, 16 Millimeter, ja selbst die Videokassette kommen wieder zu Ehren. Mag sein, dass für eine Experimentalfilm-Veteranin wie Barbara Hemmer das fragile Material ihrer in „A Horse is not a Metaphor“ thematisierten bedrohten Körperlichkeit entspricht – der 30-Minüter handelt vom Kampf mit dem Krebs. Mag sein, dass für Erinnerungs-Künstler wie Tacita Dean die nostalgische Konnotation der ratternden Projektoren entscheidend ist. Bill Viola hingegen hatte schon in den 80ern mit Digitalaufnahmen experimentiert, die sich damals jedoch noch nicht abspielen ließen. Seine Arbeit „Hatsu-Yume“ hat erst jetzt bei Haunch of Venison Premiere.

Dass es gerade die Künstler sind, die sich mit erneutem Interesse dem Trägermaterial und seinen ästhetischen Qualitäten zuwenden, ist nur konsequent. Film ist die Leinwand der Medienkunst. Auch Julian Rosefeldt, der für seine Arbeiten ebenfalls auf klassischem Filmmaterial besteht und mit „Lonely Planet“ gerade auf der Kunstfilmbiennale zu sehen war, träumt übrigens davon, einen richtigen Spielfilm zu drehen.

Christina Tilmann

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