zum Hauptinhalt
Hitler Mitte der 30er Jahre auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden.

© picture alliance/dpa/ZDF

Als die Demokratie starb: Das deutsche Unheil

Vor 90 Jahren wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Warum es falsch ist, von einer „Machtergreifung“ zu sprechen.

Ein Kommentar von Bernhard Schulz

Vor 100 Jahren stand die junge, ungefestigte deutsche Republik, nach dem Ort ihrer Verfassungsgebung die „Weimarer“ genannt, am Abgrund. Die raketengleich dahinrasende Inflation präsentierte die Rechnung für den knapp fünf Jahre zurückliegenden Krieg.

Die Mittelschicht zwischen Großbürgertum und Arbeiterschaft verlor ihr angespartes Hab und Gut – und wünschte die Republik zum Teufel, ohne je zu begreifen, welchen Geschehnissen sie den Verlust zu verdanken hatte.

Dennoch fiel die Republik 1923 nicht in die Hände der Putschisten, die in München nach italofaschistischem Beispiel durch die Stadt marschierten, während im französisch besetzten Ruhrgebiet Terror und Straßenkämpfe an der Tagesordnung waren. Knapp über neun Jahre blieben der Republik nach dem Schreckensjahr 1923, und in der kurzen Blütezeit ab etwa 1925 deutete nichts auf ein jähes Ende hin.

Das kam dann doch. Der 30. Januar 1933 ist der deutschen Geschichte eingeschrieben als derjenige Schicksalstag, an dem das Unheil der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft seinen Lauf nahm. Obwohl: Schicksal? Unheil?

Hinter solchen Begriffen hat sich die deutsche Öffentlichkeit nach 1945 gern verschanzt. Hitlers Aufstieg zum Reichskanzler firmierte als „Machtergreifung“. Erst Ende der 1960er Jahre setzte ein Bewusstseinswandel ein, auf der Ebene der Geschichtswissenschaft markiert durch Karl Dietrich Brachers epochales Buch „Die deutsche Diktatur“ von 1969.

Allmählich setzte sich die Einsicht durch, es habe Anfang 1933 eine Machtübergabe, eine Machtüberlassung gegeben – die Auslieferung der brüchig gewordenen, von rechts wie links drangsalierten demokratischen Republik an die Nazis. Bis heute viel zu wenig beachtet ist der Staatsstreich der Ultrarechten gegen das republikanische Preußen vom Juli 1932.

Das war bereits der entscheidende Bruch. Hitler, Vabanquespieler durch und durch, erntete mit dem Coup vom 30. Januar, was er monatelang vorbereitet hatte, willkommen geheißen von der nationalistischen Rechten, von Militärs, Junkern und Großbourgeoisie.

Das also war die Macht-„Ergreifung“. Hitler konnte nur ergreifen, was ihm ohnehin bereitwillig übergeben wurde. Das deutsche Unheil kam nicht von Ungefähr. Es kam aus den Teilen der Gesellschaft, die sich mit den 1918/19 eingetretenen Umständen, mit Kriegsniederlage und Republikgründung, niemals hatten abfinden wollen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false