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Honoré de Balzac.

© AFP / -

100. Todestag Marcel Proust: Am Beispiel der verlorenen Illusionen

Proustbetrieb: Wie Honoré de Balzac Eingang in die „Suche nach der verlorenen Zeit“ gefunden hat.

Die Beziehung von Marcel Proust zu Balzac und dessen Werk war ambivalent. Ihm gefiel nicht, wie Balzac Leben und Fiktion nicht auseinanderhalten wollte. Er stelle, schrieb Proust in seinem Saint-Beuve-Essay, „die im Leben errungenen Triumphe völlig auf die gleiche Ebene mit denen der Literatur.“ Auch mit dem Stil Balzacs konnte er nur bedingt etwas anfangen.

Der Stil von Balzac deutet nichts an, er spiegelt nichts wider, er erklärt.

Marcel Proust in „Gegen Saint-Beuve“

„Streng genommen“, so Proust, könne man bei diesem gar nicht von einem Stil sprechen. Während er bei Flaubert eine „einheitliche Substanz mit großen Oberflächen von gleichförmigen Glanz“ spürte, konnte er bei Balzac bloß ein stilistisches Tohuwabohu erkennen, „Elemente eines zukünftigen, noch nicht vorhandenen Stils nebeneinander.“ Der Stil von Balzac deute nichts an, er spiegelt nichts wider, er erklärt.“

Anders als Flaubert und so einigen anderen Vorbildern widmete Proust dann Balzac auch keine eigene Studie – und doch spielte der Autor der „Menschlichen Komödie“ für ihn eine große Rolle im eigenen Leben und Werk. Davon zeugen nicht nur zahlreiche Balzac-Pastiches. Schon in seinem Romanversuch „Jean Santeuil“ geht es gleich im Vorwort um Balzac und seine Leser. Ähnlich ist es in „Gegen Saint-Beuve“.

Charlus und Morel gleich Vautrin und Lucien de Rubempré

Nachdem Proust sich lange an Balzac abgearbeitet und nichtsdestotrotz gegen Saint-Beuve und dessen immer biografisch motivierte Literaturkritik in Schutz genommen hat, wechselt er plötzlich vom Essayistischen ins Fiktive und berichtet von Besuchen eines Ich-Erzählers bei Monsieur und Madame de Guermantes.

Der Herr des Hauses will zwar nicht gestört werden, doch Madame de Guermantes hat ein Herz für Prousts Ich-Erzähler, der sich langweilt. Sie fragt ihn, ob er nicht raufgehen wolle zu ihrem Mann: „Sie brauchen sich nur in die Bibliothek im zweiten Stock führen zu lassen, Sie werden ihn dort bei der Lektüre Balzacs antreffen.“ Später dann, in der „Recherche“, wird Balzac häufig erwähnt: von den Guermantes, von Madame de Villeparisis, von Gilberte, die zu Beginn der „Wiedergefunden Zeit“ „Das Mädchen mit den Goldaugen“ liest.

Vor allem aber von Charlus, dem größten Balzac-Experten- und -Liebhaber in Prousts „Recherche“. Um Aristokratie und Homosexualität geht es Proust dabei stets, gerade in der Figur des Charlus. Die unglückselige Beziehung, die dieser zu Morel hat, erinnert an jene von Lucien de Rubempré zu Vautrin aka Carlos Herrera in den „Verlorenen Illusionen“ und in „Glanz und Elend der Kurtisanen“.

Überhaupt, die Namen, das Personal, „die wunderbare Erfindung Balzacs, die gleichen Personen in all seinen Romanen beizubehalten“ – ein Vorbild für Proust. Er hat reichlich Namen- und Ortsnamendiskurse geführt und nicht zuletzt hat er den Titel seiner „Recherche“ („À la recherche de temps perdu“) aus „Illusions perdues“ und „La Recherche de l'Absolu“ zusammengesetzt, einer philosophischen Studie von Balzac.

Was heißt das jetzt, da Proust nun an diesem Freitag, den 18. November, genau vor einhundert Jahren gestorben ist? Natürlich weiter Proust lesen – aber vielleicht gilt es auch, einen weiteren, riesigen literarischen Kontinent zu erobern, den von Balzac.

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