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 Saleh al-Aruri, stellvertretender Vorsitzender des Hamas-Politbüros, spricht.

© dpa/Nariman El-Mofty

Update

Israel weist Verantwortung von sich: Hamas-Anführer Al-Aruri in Beirut getötet

Saleh al-Aruri ist bei einer Explosion in Beirut gestorben sein. Er ist der stellvertretende Leiter des Politbüros der Hamas. Die Hisbollah kündigte Vergeltung an.

| Update:

Die Nummer zwei der Hamas ist am Dienstag bei einem israelischen Drohnenangriff in einem Vorort von Beirut getötet worden. Das gaben die islamistische Palästinenserorganisation Hamas und zwei libanesische Sicherheitsvertreter bekannt. Es handelt sich dabei um den stellvertretenden Leiter des Politbüros der islamistischen Hamas, Saleh al-Aruri.

Bei dem Drohnen-Angriff sind auch die Kommandeure der Kassam-Brigaden, Samir Findi Abu Amer und Assam Al-Akraa Abu Ammar, getötet worden. Das berichtet der Hamas-Sender Al-Aksa TV im Kurznachrichtendienst Telegram. 

Die Explosion ereignete sich vor einem Büro der Hamas und Polizeikreisen zufolge in einem südlichen Stadtteil Beiruts, in dem die Hisbollah stark vertreten ist. Die genauen Hintergründe der Explosion blieben zunächst unklar.

Schnell kam aber der Verdacht auf, dass es sich um eine gezielte Tötung handeln könnte – möglicherweise durch Israels Armee oder im Auftrag Israels. Die israelischen Verteidigungsstreitkräfte wollten die Explosion in Beirut auf Tagesspiegel-Anfrage am Dienstagabend nicht kommentieren.

Libanesische Regierung macht Israel verantwortlich

Libanons Übergangs-Premierminister Najib Mikati machte am Dienstagabend Israel für die Explosion verantwortlich. In einem Statement verurteilte er die Explosion als „israelisches Verbrechen, das eindeutig darauf abzielt, den Libanon (…) in eine neue Phase der Konfrontation zu bringen.“

Laut der libanesischen Zeitung „L’Orient-Le Jour” soll Mikati den libanesischen Außenminister Bou Habib gebeten haben, eine Beschwerde beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einzureichen: Israel verletze die libanesische Autonomie.

Die Hisbollah-Miliz kündigte umgehend Vergeltung an. Das „Verbrechen“ in Beirut sei „eine gefährliche Attacke auf den Libanon“ und dessen Volk und Sicherheit, teilte die Miliz am Dienstagabend mit. „Dieses Verbrechen wird niemals ohne Antwort oder Strafe vorübergehen.“

Der Ort der Explosion.
Der Ort der Explosion.

© REUTERS/Mohamed Azakir

Die Hisbollah habe „den Finger am Abzug“ und ihre Kämpfer seien „in höchster Stufe der Bereitschaft“.

Israel sei nach drei Monaten Krieg unfähig, Gaza zu „unterwerfen“, und greife deshalb zu Mitteln wie Attentaten, erklärte die schiitische Bewegung. Der Tod Al-Aruris sei eine Fortsetzung der Tötung des ranghohen iranischen Generals Sejed-Rasi Mussawi, der jüngst bei einem mutmaßlich israelischen Luftangriff in Syrien ums Leben kam.

Die Hisbollah unternahm noch am Abend ihren ersten Angriff auf Israel nach dem Tod Al-Aruris. Sie habe eine Gruppe israelischer Soldaten nahe der Grenze angegriffen, teilte die Miliz mit. Dabei habe es Tote und Verletzte gegeben.

Israel versucht die Lage zu entschärfen

Der Sicherheitsberater der israelischen Regierung versuchte offensichtlich die Lage zu entschärfen. Der mutmaßliche Angriff galt allein der Hamas, betonte Mark Regev dem US-Sender MSNBC. „Wer auch immer das getan hat, es muss klar sein, das dies keine Attacke auf den libanesischen Staat war. Es war nicht einmal eine Attacke auf die Hisbollah.“

Er sagte weiterhin: „Wer auch immer diesen Angriff ausgeführt hat, ist sehr chirurgisch genau vorgegangen und hatte es auf ein Hamas-Ziel abgesehen. Denn Israel ist im Krieg“, sagte er ohne den Satz zu Ende zu führen.

Der ranghohe Berater von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu betonte, Israel habe keine Verantwortung für den Vorfall übernommen. Regev sagte zugleich, Israels Führung habe in der Vergangenheit führende, an der Tötung israelischer Zivilisten beteiligte Terroristen als legitime Ziele benannt. Dies sei aber ein genereller Grundsatz und habe nichts mit der aktuellen Situation zu tun.

Israelische Medien spekulierten, Regev habe mit dem Interview versucht, die libanesische Hisbollah von einer harschen Reaktion abzuhalten.

Israelischen Medienberichten zufolge rechnet die Armee etwa mit dem Beschuss von Raketen größerer Reichweite. In den vergangenen Monaten beschränkten sich die Konfrontationen zwischen Israels Armee und der Hisbollah auf die Grenzregion zwischen den beiden Ländern. Seit Beginn des Gaza-Kriegs gab es dort immer wieder gegenseitigen Beschuss. Die Hisbollah hat Verbindungen zur islamistischen Hamas im Gazastreifen, gilt aber als einflussreicher und schlagkräftiger.

Al-Aruri galt schon länger als Ziel

Al-Aruri, den Israel als Drahtzieher von Anschlägen im Westjordanland sah, galt schon länger als mögliches Ziel für einen Anschlag. Er galt als zuständig für die Aktivitäten des militärischen Hamas-Arms im Westjordanland.

Israel und die Hamas hatten im Sommer – schon vor Beginn ihres laufenden Kriegs – Drohungen ausgetauscht. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte dabei, Al-Aruri wisse „sehr genau, warum er und seine Freunde sich versteckt halten“.

Sorge vor Ausweitung des Konflikts

Die Explosion im Süden der libanesischen Hauptstadt lässt die Sorge vor einer Ausweitung des Nahostkonflikts zu einem größeren regionalen Konflikt wachsen. Vor allem die israelisch-libanesische Grenze, an der sich Hisbollah und israelische Streitkräfte fast täglich Gefechte liefern, gilt als riskant.

Experten waren sich am Dienstagabend zunächst uneinig, ob die Tötung des Hamas-Funktionärs ein Kipppunkt im Nahostkonflikt sein könnte.

Mohanad Hage Ali, Libanon-Experte beim Malcolm H. Kerr Carnegie Middle East Center, rechnet mit einer Reaktion der Hisbollah. „Das Attentat markiert eine neue Phase im Konflikt mit Israel, die über die geografisch begrenzten Scharmützel der vergangenen Monate hinausgeht”, sagte Hage Ali dem Tagesspiegel.

Blicke man auf die Reden des Hisbollah-Chefs Hassan Nasrallah, sei in diesen „ein Angriff auf Tel Aviv als Reaktion auf einen auf die südlichen Vororte Beiruts” impliziert. Der getötete Arouri sei zudem „nicht nur ein sehr hochrangiger Hamas-Funktionär”, sondern auch „ein wichtiger Knoten in der Beziehung zwischen Hisbollah und Hamas”.

Heiko Wimmen von der International Crisis Group hingegen erwarte keine Eskalation, sagte er dem Tagesspiegel.

Menschen sammeln sich an der Stelle der Explosion in einem Vorort von Beirut.
Menschen sammeln sich an der Stelle der Explosion in einem Vorort von Beirut.

© REUTERS/AHMAD AL-KERDI

Hamas baut ihre Präsenz im Libanon aus

Videos nach der Explosion in Beirut zeigten mindestens ein brennendes Auto nahe einer belebten Straße. Auch Sirenen von Krankenwagen waren zu hören. Über der Gegend stieg weißer Rauch auf.

Die Explosion ereignete sich am Abend vor dem 3. Jahrestag der Tötung von General Ghassem Soleimani der iranischen Revolutionswächter (IRGC). Die USA hatten ihn 2020 im Irak durch einen Drohnenangriff getötet. Kürzlich war zudem der ranghohe iranische General Sejed-Rasi Mussawi bei einem mutmaßlich israelischen Luftangriff in Syrien getötet worden.

Am Dienstagabend kam es in Reaktion auf die Explosion in mehreren palästinensischen Flüchtlingscamps im Libanon zu Demonstrationen, etwa in den Camps El-Buss sowie in Bourj el-Chemali im Südlibanon. Das berichten libanesische Medien.

Verhandlungen über neues Geisel-Abkommen sind gestoppt

Die Hamas baut ihre Präsenz im Libanon Beobachtern zufolge seit Jahren aus. Unter anderem ist sie in den zwölf palästinensischen Flüchtlingscamps im Libanon aktiv, aber auch außerhalb von ihnen. Drei der Camps befinden sich ebenfalls im Süden Beiruts, nicht weit vom Ort der Explosion. 

Nach dem Angriff in Beirut sind die Verhandlungen über ein mögliches neues Geisel-Abkommen zwischen Israel und der Hamas einem Bericht zufolge zum Stillstand gekommen. Die Gespräche konzentrierten sich nun darauf, eine Eskalation zwischen Israel und dem Libanon zu verhindern, meldete die israelische Zeitung „Haaretz“ am Dienstagabend unter Berufung auf arabische Diplomatenkreise.

Das „Attentat“ habe die Situation verändert. Fortschritte, um einen weiteren Geisel-Deal zu erreichen, seien derzeit nicht mehr möglich. (Tsp, dpa, Reuters)

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