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Zwei Kinder sitzen auf einer Schaukel und blicken auf ein durch russische Militärangriffe ausgebranntes mehrstöckiges Wohngebäude.

© dpa/-

Ukraine-Invasion Tag 712: Sorge um die entführten ukrainischen Kinder wächst

Selenskyj erwägt Ablösung führender Vertreter von Staat und Militär. Polen bereitet sich laut Minister auf drohenden Krieg mit Russland vor. Der Nachrichtenüberlick am Abend.

Nach Schätzungen der ukrainischen Behörden wurden seit Kriegsbeginn etwa 20.000 Kinder nach Russland verschleppt. Aus diesem Grund hatte der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag im März vergangenen Jahres einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und die russische Kinderbeauftragte Maria Lvova-Belova erlassen. Je länger der Krieg dauert, umso größer wird die Sorge vor den Folgen einer „Umerziehung“ durch Russland, wie der britische „Guardian“ schreibt (Quelle hier).

So habe erst am Donnerstag der lettische Präsident Edgars Rinkēvičs auf einer Konferenz zu dem Thema gesagt: „Russland löscht aktiv ihre ukrainische Identität aus und fügt ihnen unglaublichen emotionalen und psychologischen Schaden zu.“ Und Olena Selenska, die Frau des ukrainischen Präsidenten, sagte in Riga: „Russland sagt ihnen, dass sie nicht erwünscht sind, dass niemand nach ihnen sucht, ändert ihre Namen und versucht, ihnen russische Pässe auszustellen.“

Von den 19.500 Fällen, die namentlich bekannt seien, seien gerade einmal 400 Kinder zurück in die Ukraine gekehrt, schreibt der „Guardian“. Eine davon ist Veronika. Sie gehört zu den Kindern, die nicht direkt aus der Ukraine verschleppt wurden. Kurz nach Beginn der Invasion war ihre Tante mit ihr, damals zwölf Jahre alt, nach Russland gegangen. Sie hatten in Flüchtlingslagern gelebt, dann wurde das Mädchen von ihrer Tante getrennt und kam in ein Kinderheim. Ihre Mutter konnte sie nicht holen, weil sie als ehemalige ukrainische Soldatin Angst vor einer Verhaftung in Russland hatte. 

14 Monate ging Veronika also in Russland zur Schule. Regelmäßig sei ihr von Lehrern und Mitschülern gesagt worden, dass sie nicht in ihre Heimat zurückkehren könne. „Sie sagten mir, dass es die Ukraine nicht gibt, dass sie nie existiert hat, dass wir alle Russen sind (...) Manchmal schlugen mich die anderen Kinder, weil ich pro-ukrainisch war“, sagte sie der Zeitung.

Nach einiger Zeit sei sie so traumatisiert gewesen, schreibt der „Guardian“, dass sie viel Gewicht verloren habe und ihr die Haare ausgefallen seien. „Es war so schwer, allein in dieser Umgebung zu sein, wo mir alle schreckliche Dinge über die Ukraine erzählten“, berichtet sie. Erst ihre Großmutter schaffte es, sie zurück in ihre Heimat zu bringen. Und heute will sie nur noch eines: „Anderen ukrainischen Kindern helfen, ebenfalls nach Hause zu kommen.“

Die wichtigsten Nachrichten des Tages im Überblick:

  • Der ukrainische Präsident deutete an, grundlegende Personalwechsel in Politik und Armee durchführen zu wollen. Zuvor war viel über eine mögliche Absetzung des Oberbefehlshabers Saluschnyj spekuliert worden. Mehr hier und in unseren Leseempfehlungen.
  • Russland will dem britischen Geheimdienst zufolge seine Ausgaben in diesem Jahr um 26 Prozent erhöhen. Eine Rekordsumme soll in die Verteidigung und demnach vor allem in den Krieg gegen die Ukraine fließen. Das dürfte ohne Steuererhöhungen und neue Schulden kaum zu schaffen sein, heißt es in dem Bericht. Mehr hier.
  • Der polnische Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz hat einen drohenden Krieg mit Russland nicht ausgeschlossen. Polen müsse sich auf einen solchen Krieg vorbereiten, sagte er in einem am Montag veröffentlichten Interview mit der Tageszeitung „Super Express“. Mehr hier.
  • Russlands Zentrale Wahlkommission hat dem Oppositionellen Boris Nadeschdin nach dessen Angaben 15 Prozent seiner Unterstützerunterschriften als fehlerhaft aberkannt. Um noch registriert zu werden, müsste Nadeschdin nach eigenen Angaben ungefähr 4500 der insgesamt beanstandeten 9209 Unterschriften wieder anerkannt bekommen. Mehr hier.
  • Zum zweiten Jahrestag des Krieges in der Ukraine wird in der EU ein neues Paket mit Russland-Sanktionen vorbereitet. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur sieht es eine erhebliche Erweiterung der Liste mit Personen und Einrichtungen vor, deren in der EU vorhandene Vermögenswerte eingefroren werden müssen. Mehr hier.
  • Der US-Senat hat am Sonntag einen neuen Entwurf für ein Hilfspaket für die Ukraine und eine bessere Absicherung der US-Grenzen vorgelegt. Das sogenannte Nationale Sicherheitszusatzgesetz umfasst insgesamt 118,3 Milliarden Dollar (109,8 Milliarden Euro), darunter 60 Milliarden Dollar zur Unterstützung der Ukraine. Diese Summe entspricht der Forderung des Weißen Hauses. Mehr hier.
  • Inmitten von Spekulationen um die geplante Entlassung des ukrainischen Oberbefehlshabers Walerij Saluschnyj hat sich Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko für diesen eingesetzt. „In vielerlei Hinsicht ist es Saluschnyj zu verdanken, dass die Ukrainer wirklich an unsere Streitkräfte geglaubt haben“, schrieb Klitschko am Montag bei Telegram. Mehr in unserem Newsblog.
  • Bei einem russischen Angriff auf die südukrainische Stadt Cherson sind ukrainischen Angaben zufolge mindestens vier Menschen getötet worden. Ein weiterer Mensch sei verletzt worden, erklärte der Chef der Militärverwaltung von Cherson, Roman Mrotschko, am Montag.
  • Beim Beschuss einer Bäckerei in der von russischen Kräften annektierten Stadt Lyssytschansk im Osten der Ukraine ist Berichten nach ein Minister der Besatzungsbehörden ums Leben gekommen. Unter den Trümmern des eingestürzten Gebäudes sei die Leiche des Ministers für Zivilschutz in der Region Luhansk, gefunden worden, heiß es vonseiten Russlands.
  • Vier Tage nach dem Tod zweier Franzosen bei einem russischen Angriff in der Ukraine soll der russische Botschafter in Paris ins französische Außenministerium einbestellt werden. Paris werde den Angriff erneut verurteilen, bei dem die beiden Mitarbeiter einer protestantischen Hilfsorganisation getötet wurden, erfuhr die Nachrichtenagentur AFP am Montag aus Diplomatenkreisen. 
  • Die Ukraine hat nach eigenen Angaben wieder einen Überschuss an Energie produziert und Strom nach Polen geleitet. Auch ein Export nach Moldau sei geplant, erklärt das ukrainische Energieministerium auf dem Kurznachrichtendienst Telegram. 
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat im Interview mit dem italienischen Sender „Rai“ von einer Pattsituation an der Front mit Russland gesprochen. Als Grund gab Selenskyj verzögerte Waffen- und Munitionslieferungen an. 
  • Dem Leiter des Sonderstabes Ukraine im Bundesverteidigungsministerium, Generalmajor Christian Freuding, zufolge muss die Ukraine für militärische Erfolge weitere Soldaten rekrutieren. „Die Ukraine wird mit Sicherheit mehr Soldaten mobilisieren müssen – allein schon wegen der Verlustzahlen, soweit wir sie einsehen können“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. 

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