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Im Rahmen der EU-Ausbildungsmission sollen nigrische Spezialkräfte trainiert und beraten werden.

© picture alliance/dpa

Sicherheitsvakuum in der Sahelzone: EU startet Ausbildungsmission in Niger

Die deutsche Mission endet am Freitag und geht in ein europäisches Projekt über. Doch die Regierung in Niamey kann die viele Militär- und Entwicklungshilfe womöglich gar nicht umsetzen.

Die Bundeswehr beendet am Freitag ihre Ausbildungsmission „Operation Gazelle“ im Sahelstaat Niger. Seit 2018 haben hier Soldatinnen und Soldaten nigrische Spezialkräfte ausgebildet, um sie auf den Kampf gegen Dschihadisten vorzubereiten.

Sie wird abgelöst von einer Ausbildungsmission der Europäischen Union, die ihr Engagement in Niger ausbauen will, um zu verhindern, dass nach dem Rückzug Frankreichs und Deutschlands aus Mali ein Sicherheitsvakuum in der Region entsteht.

Niger kämpft wie Mali – wo die Bundeswehr seit 2013 aktiv ist und sich bis Mai 2024 zurückziehen will – mit dschihadistischen Gruppen, die zunehmende Armut und eine schwache Staatlichkeit ausnutzen. Im Grenzgebiet von Niger, Mali und Burkina Faso breiten sich der sogenannte Islamische Staat und andere radikale Gruppen immer mehr aus und nehmen Dörfer unter ihre Kontrolle.

Die diplomatische Krise zwischen Mali und Frankreich wird in Niger als Eskalation zwischen Paris und ganz Westafrika empfunden.

Ulf Laessing, Konrad-Adenauer-Stiftung

Das Bevölkerungswachstum Nigers ist rasant – etwa sieben Kinder pro Frau, doch es gibt keine Jobs oder staatliche Dienstleistungen wie Schulen für die junge Bevölkerung. Für viele gibt es nur zwei Optionen: Man schließt sich einer dschihadistischen Gruppe an, die mit Schmuggel und Entführungen Geld verdient oder versucht zu fliehen. Niger liegt an der Hauptmigrationsroute aus Afrika Richtung Mittelmeer.

Um den Staat etwas zu stabilisieren, investieren westliche Staaten verstärkt in Niger, auch weil hier im Gegensatz zu den Nachbarstaaten Mali und Burkina keine Militärregierung an der Macht ist. Niger wird umso wichtiger, weil sich die Bundeswehr und die verbliebenen westlichen Staaten aus einer Friedensmission der UN in Nord-Mali zurückziehen.

Mali hatte den Einsatz immer schwieriger gemacht, etwa durch den Einsatz russischer Söldner direkt neben der Bundeswehr und diverser bürokratischer Hindernisse. Drohnen-Aufklärungsflüge erlaubt Mali der Bundeswehr seit zwei Monaten nicht mehr, sicherlich auch auf Druck der Russen, die nicht ihre Positionen ausgespäht haben wollen.

Mehr Militärkooperationen

In den letzten Monaten sind mehr und mehr Menschen aus Nord-Mali in Niger angekommen, die vor einem Vormarsch des sogenannten Islamischen Staates fliehen. Dort macht sich der Abzug einer französischen Anti-Terror-Mission bemerkbar, die ebenfalls im Streit mit Mali geht. Die Franzosen haben sich jetzt auf der anderen Seite der über 800 Kilometer langen Grenze durch die Wüste zu Mali positioniert, um zusammen mit der nigrischen Armee Eindringlinge aus Mali zu stoppen.

Die Bundeswehr und andere europäische Staaten trainieren Spezialkräfte an weiteren Außenposten in der Nähe der Grenze, wie im Falle der Deutschen in Tilla im Rahmen einer EU-Ausbildungsmission. Dort gab es im Vergleich zu Mali mehr Erfolge, da die nigrischen Spezialkräfte im besseren Zustand als die Malier sind.

Die Bundeswehr übte hier auch bewusst mit scharfen Waffen und sogar Mörsern unter realistischen Bedingungen im Gelände – nicht wie in Mali mit Baumästen als Gewehrattrappen auf Kasernenhöfen weit weg von der Front. Rund 30 Ausbilder sollen in Tillia bleiben, darunter neben den Deutschen auch Amerikaner, Italiener und Belgier.

Die neue Ausbildungsmission für den Niger der Europäischen Union, basierend auf der Operation Gazelle, ist zunächst auf drei Jahre angelegt mit einem Finanzierungsvolumen von 27.3 Millionen Euro. Training und Beratung für Spezialkräfte stehen auf dem Programm der neuen Mission mit der Abkürzung EUMPM.

Auch vom Klimawandel ist der Niger stark betroffen und daher auf internationale Hilfe angewiesen.
Auch vom Klimawandel ist der Niger stark betroffen und daher auf internationale Hilfe angewiesen.

© Argus/ Hartmus Schwarzbach

Niger hatte sich erst nach einigem Zögern auf die neue Mission eingelassen, da das Land nur ungern multinationale Operationen akzeptiert. In der Hauptstadt Niamey fürchtete man einen Kontrollverlust und wenig Effizienz wie bei inzwischen stark reduzierten EU-Ausbildungsmission in Mali, wo Spanier, Esten und Deutsche und andere gemeinsam ausbildeten, ohne Abstimmung, gemeinsame Ausbildungspläne und zumeist ohne Französischkenntnisse.

In Tillia gab es zwar auch mehrere Nationen, die aber in geschlossenen Einheiten ausbildeten und etwas besser koordinieren. Die Deutschen bauten auch eine Ausbildungsakademie samt Unterkünften. Niger arbeitet auch gern bilateral, weil dann häufig Hilfen wie Material oder neue Kasernengebäude doppelt finanziert werden. Die Partner akzeptieren dies stillschweigend, weil Niger für die Stabilität der Region so wichtig ist. Das Land ist der letzte Stopp für Menschenschmuggler auf dem Weg nach Libyen und Europa.

Zuviel Hilfsgelder?

Doch es gib noch einen weiteren Grund, warum Niger bei multilateralen Missionen zögerlich ist. Es gibt im Land wie in der ganzen Region eine starke antifranzösische Stimmung, die angeheizt wird von russischen Trollen. Die diplomatische Krise zwischen Mali und Frankreich wird in Niger als Eskalation zwischen Paris und ganz Westafrika empfunden.

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Kinder gebären nigrische Frauen im Schnitt, wodurch die Bevölkerung extrem schnell wächst.

Viele Menschen solidarisieren sich mit der Bevölkerung Malis im Streit mit der früheren Kolonialmacht. Das hat historische Gründe, hängt aber auch mit der Politik der Franzosen zusammen. Ein Beispiel: Frankreich hat die Entwicklungszusammenarbeit in Mali gestoppt mit dem Argument, dort gebe es eine Militärregierung, mit der man nicht zusammenarbeiten könne – aber mit Burkina Faso und Tschad, wo ebenfalls Offiziere an der Macht sind, gibt es keine solche Probleme.

Der nigrische Präsident Mohamed Bazoum muss daher aus innenpolitischen Gründen Distanz zu Frankreich und Europa zeigen – ein Drahtseilakt, da das Land die westliche Ausbildungshilfe und Ausrüstung dringend braucht. Die Opposition und pro-russische Trolls kritisieren die westlichen Militärkooperationen.

Für viele gibt es nur zwei Optionen: man schließt sich einer dschihadistischen Gruppe an oder versucht zu fliehen.

Ulf Laessing

Fraglich ist, ob das bitterarme Niger die westliche Hilfe umsetzen kann. Derzeit kommen hunderte Millionen, wenn nicht gar Milliarden Euro an Entwicklungszusammenarbeit oder Militärhilfen ins Land. Die Entwicklungshelfer und Diplomaten sitzen alle aus Sicherheitsgründen in Niamey und verlassen nur selten die Hauptstadt.

Das meiste Geld fließt somit nach Niamey und hilft zumindest indirekt einer Elite, die von der Bevölkerung mit Korruption und Vetternwirtschaft identifiziert wird. Es gibt zudem nicht genügend staatlichen Stellen und örtliche NGOs, die sinnvolle Projekte für so viel Geld umsetzen können.

Unter NGOs und Regierungsvertretern herrscht eine Golfgräberstimmung ähnlich wie 2011 in Tunesien, der damals vermeintlichen demokratischen Erfolgsstory nach dem Arabischen Frühling. Die verstärkte Zusammenarbeit mit Niger ist in den Augen vieler Diplomaten sinnvoll, aber aber es geht auch die Angst um, dass Niger von der vielen Hilfe überfordert ist.

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