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Opfer werden auf ein Boot der griechischen Küstenwache gebracht.

© Reuters/Stelios Misinas

Schiffsunglück mit hunderten Toten: Brachte die griechische Küstenwache das Migranten-Boot fahrlässig zum Kentern?

Vermutlich starben bei der Tragödie im Mittelmeer mehr als 500 Migranten, nur 104 Menschen konnten gerettet werden. Überlebende erheben nun einem Bericht zufolge schwere Vorwürfe.

Es war eines der schwersten Schiffsunglücke im Mittelmeer überhaupt: In internationalen Gewässern etwa 47 Seemeilen vor der Küste der Halbinsel Peloponnes sank in der Nacht auf den 14. Juni ein mit Migranten völlig überfüllter Fischkutter.

Nur 104 Menschen konnten gerettet werden, 82 Menschen wurden tot geborgen, die anderen riss das Unglücksboot mit sich in die Tiefe. Vermutlich starben mehr als 500 Menschen. Das Schiff war von Libyen aus in See gestochen und hatte als Ziel offenbar Italien.

Nun gibt es schwere Vorwürfe gegen die griechische Küstenwache. Diese habe das Boot mindestens fahrlässig zum Kentern gebracht, berichtet die „Welt am Sonntag“ (WamS) unter Berufung auf Überlebende der Tragödie und deren Anwälte nach Gesprächen im Flüchtlingslager Malakasa nahe Athen.

Übereinstimmenden Zeugenaussagen zufolge habe die griechische Küstenwache in der Nacht des Schiffbruchs Seile an dem überladenen Fischerboot angebracht, dessen Motor Stunden zuvor ausgefallen war, heißt es in dem WamS-Bericht. Bei dem Versuch, das Boot zu ziehen, sei dieses aus dem Gleichgewicht geraten und gekentert.

Als wir gesunken sind, haben sie das Seil durchgeschnitten und sind weggefahren.

Ein Überlebender des Unglücks aus Syrien

„Als wir gesunken sind, haben sie das Seil durchgeschnitten und sind weggefahren“, sagte ein 30-jähriger Syrer. Das Blatt schreibt, die Identität des Mannes sei bekannt.

Seine Aussage decke sich mit Schilderungen anderer Betroffener. Die Anwältin Eleni Spathana, die Dutzende Überlebende vertritt, sagte: „Wir haben ernsthafte Anhaltspunkte, dass die griechische Küstenwache im Fall des gekenterten Fischkutters in mehreren Punkten nicht die nach internationalem Recht vorgeschriebenen Verhaltensregeln befolgt hat.“

Sie fordert die Offenlegung „aller Funksprüche und der Einträge in die Logbücher der alarmierten Besatzungen von Frachtschiffen und Yachten“ in der Nähe des Unglücks.

Auch ein Sprecher der EU-Grenzschutzagentur Frontex zeigte sich im Gespräch mit der Zeitung irritiert über den Ablauf des Rettungseinsatzes. Frontex habe Griechenland vor dem Schiffbruch zweimal angeboten, ein in Italien stationiertes Flugzeug sowie eine in der Ägäis stationierte Drohne einzusetzen. „Beide Male gab es keine Reaktion“, so der Sprecher. Stattdessen habe Athen darum gebeten, die Drohne zu einem anderen Rettungsfall nahe Kreta zu schicken.

Aus dem Auswärtigen Amt hieß es, es müsse zunächst schnell untersucht werden, was die Ursachen für die Tragödie waren und welche Möglichkeiten es gab, diesen Schiffbruch zu verhindern. Die Bundesregierung setze sich für eine europäisch koordinierte, staatlich getragene Seenotrettung ein. Auch private Seenotrettungsschiffe dürften nicht behindert werden.

Nach dem schweren Bootsunglück wurden inzwischen neun mutmaßliche Schleuser in Untersuchungshaft genommen. Dies entschied ein Gericht in der griechischen Hafenstadt Kalamata, wie die Nachrichtenagentur dpa unter Berufung auf den Staatssender ERT berichtete.

5000
Euro soll jeder Migrant für die Überfahrt bezahlt haben.

Den Ägyptern im Alter zwischen 20 und 40 Jahren werde Bildung einer kriminellen Vereinigung und Gefährdung auf hoher See vorgeworfen. Vermutet werde, dass sie einer international agierenden Bande angehören.

Die Anklage basiere auf Aussagen Überlebender, die die neun Männer als Besatzung des untergegangenen Fischkutters identifiziert hätten. Die Ägypter seien zusammen mit 95 anderen Menschen von Bord gerettet worden. Nach Angaben Überlebender hatten die Flüchtlinge für die Überfahrt rund 5000 Euro pro Kopf gezahlt.

Überlebende des Schiffsunglücks warten in einer Unterkunft in der griechischen Stadt Kalamata.
Überlebende des Schiffsunglücks warten in einer Unterkunft in der griechischen Stadt Kalamata.

© Reuters/Stelios Misinas

Weil Griechenland die Kontrollen in der Ägäis massiv verschärft habe, so lautet der Vorwurf linker Parteien im Land, nutzten die Schleuser nun die viel weitere und gefährlichere Route um Griechenland herum direkt nach Italien. 2022 kamen nach Angaben der UN in dieser Region 326 Menschen ums Leben.

An Bord des Bootes befanden sich nach Einschätzung des pakistanischen Innenministers allein rund 350 Menschen aus Pakistan. Ein Großteil davon sei nach wie vor unter den Vermissten und habe die Tragödie wahrscheinlich nicht überlebt, sagte Rana Sanaullah der dpa zufolge in einer Parlamentsrede.

Bisher seien 82 Tote Pakistani identifiziert worden, zwölf Menschen aus dem südasiatischen Land seien nach aktuellem Stand unter den Überlebenden. Insgesamt hätten 281 pakistanische Familien Angehörige als vermisst gemeldet. DNA-Tests sollen Ranaullah zufolge weitere Aufschlüsse liefern. (lem)

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