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Die Ermittlungen richten sich gegen zwei Journalisten der Europa-Ausgabe der regierungstreuen türkischen Zeitung „Sabah“.

© Kitty Kleist-Heinrich TSP

Razzia gegen Journalisten verärgert Türkei: „So nimmt man einen Terroristen oder Agenten fest“

Ankara wirft Berlin „Doppelmoral“ wegen des Vorgehens gegen zwei Journalisten der regierungstreuen Zeitung „Sabah“ vor. Der deutsche Botschafter wurde einbestellt.

Als die deutsche Polizei um sechs Uhr morgens vor seiner Tür stand, dachte Cemil Albay an eine Razzia gegen Terroristen. Die Beamten durchsuchten die Wohnung des türkischen Journalisten in Mörfelden-Walldorf, einer Kleinstadt zwischen Darmstadt und Frankfurt.

„Sie haben alles auf den Kopf gestellt“, sagte Albay später der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu. Albay, Nachrichtenchef der Europa-Ausgabe der regierungstreuen türkischen Zeitung „Sabah“, wurde zur Polizeiwache in Darmstadt gebracht und nach fünf Stunden wieder freigelassen. Auch „Sabah“-Deutschlandkorrespondent Ismail Erel wurde festgenommen. Die Türkei macht Deutschland schwere Vorwürfe.

Erel sagte Anadolu, er sei am Mittwoch früh von seiner verängstigten Tochter geweckt worden. Die Polizei stehe vor der Tür, habe sie gesagt. „Als ich aus dem Fenster schaute, sah ich mindestens 20 Polizisten“, sagte Erel.

Wohnort eines Oppositionellen veröffentlicht

Auch seine Wohnung wurde durchsucht. Handys und Computer der Journalisten wurden beschlagnahmt. Albay berichtete, ihm und Erel seien auf der Polizeiwache die Fingerabdrücke abgenommen worden. Die Polizei habe sogar sein Auto zur Wache gebracht und untersucht: „So nimmt man einen Terroristen oder Agenten fest.“

Die Staatsanwaltschaft Darmstadt erklärte lediglich, sie sei dem Verdacht „des gefährdenden Verbreitens personenbezogener Daten“ nachgegangen. Nach türkischen Regierungsangaben rückten die Polizisten nach einer Beschwerde von Cevheri Güven an, einem türkischen Journalisten, der nach dem Putschversuch von 2016 zu einer langen Haftstrafe verurteilt wurde und nach Deutschland floh.

Güven, der seine Kritik an der türkischen Regierung über die sozialen Medien verbreitet, wird der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen zugerechnet, die von Präsident Recep Tayyip Erdogan für den Putschversuch verantwortlich gemacht wird. „Sabah“ hatte im vergangenen September den Wohnort von Güven in Hessen publik gemacht. Laut Medienberichten hat Güven deutschen Polizeischutz.

Normalerweise muss sich die Türkei internationale Kritik wegen Unterdrückung der Medien anhören; im Pressefreiheits-Index der Organisation „Reporter Ohne Grenzen“ steht das Land auf Rang 165 von 180 erfassten Staaten.

Türkei kritisiert auch Zeitpunkt der Polizeiaktion

Doch nach der Polizeiaktion von Mörfelden-Walldorf stellte die türkische Regierung die deutschen Behörden an den Pranger. Ausgerechnet Deutschland, das „die ganze Welt über die Presse- und Meinungsfreiheit belehren“ wolle, setze Journalisten unter Druck, erklärte das türkische Außenministerium. Die Polizeiaktion sei ein Beispiel für deutsche „Doppelmoral“.

Das Ministerium kritisierte auch den Zeitpunkt der Festnahmen unmittelbar nach der ersten Runde der türkischen Präsidentschaftswahl am vorigen Sonntag: Das sei Absicht gewesen.

Der deutsche Botschafter in Ankara, Jürgen Schulz, wurde ins Ministerium zitiert. Auch Fahrettin Altun, der Leiter des türkischen Kommunikationsamtes, nannte es inakzeptabel, wie Deutschland mit Journalisten umspringe. Die beiden „Sabah“-Mitarbeiter seien wegen ihrer Berichte über die Gülen-Bewegung festgenommen worden.

Die türkische Regierung beschwert sich seit Jahren darüber, dass westliche Staaten den Mitgliedern der Gülen-Bewegung Unterschlupf gewähren. Umgekehrt wirft der deutsche Verfassungsschutz dem türkischen Geheimdienst MIT vor, türkische Regierungsgegner in Deutschland auszuspionieren. Der MIT hat in den vergangenen Jahren mehr als hundert Gülen-Anhänger im Ausland entführt und in die Türkei verschleppt.

Ankara hatte im vergangenen Jahr von Deutschland die Auslieferung Güvens verlangt. Vorige Woche erging in der Türkei ein neuer Haftbefehl gegen ihn, weil er an einer Hetzkampagne gegen den Präsidentschaftskandidaten Muharrem Ince beteiligt gewesen sein soll; Ince zog seine Bewerbung kurz vor der Wahl am Sonntag zurück. Auf Antrag der türkischen Behörden sperrte Twitter das Konto von Güven.

Ob es einen Zusammenhang zwischen den neuen Vorwürfen gegen Güven in der Türkei und den Festnahmen der „Sabah“-Journalisten gibt, ist nicht bekannt. Das türkische Außenamt kritisierte, die deutschen Behörden hätten sofort zugeschlagen, ohne Albay und Erel vorzuladen, um ihre Aussagen aufzunehmen. Polizei und Staatsanwaltschaft in Darmstadt waren am Donnerstag nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

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