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Die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola (M), im Europäischen Parlament während einer Feierstunde.

© dpa/Jean-Francois Badias

Letzte Sitzung vor der Europawahl: Melancholie, eine weiße Taube und Ovationen für einen Deutschen

Viele Abgeordnete wissen, dass sie nicht wieder ins EU-Parlament einziehen. Manche hadern mit sich, andere hören freiwillig auf. So endete die Legislaturperiode für 705 Abgeordnete.

Die Stimmung erinnert an eine Abi-Abschlussfahrt. Ungewöhnlich aufgekratzt eilen die Europaabgeordneten durch die endlosen Gänge des Parlamentsgebäudes in Straßburg. Es ist die letzte Arbeitswoche des Europäischen Parlamentes vor der Europawahl im Juni.

Am Montag geht es für die meisten Politiker in den Wahlkampf. Das bedeutet Reden halten auf Marktplätzen, Flugblätter verteilen – und sich auch von Passanten beschimpfen lassen. Für andere beginnt allerdings ein neues Leben. 

Kampf um die vorderen Listenplätze

Ein älterer Mann im feinen Zwirn steht an einer der großen Glasfassaden und blickt versonnen auf die trüben Wasser des Kanals vor dem Europagebäude. Er werde „diesen Ausblick in Zukunft wohl nicht mehr genießen können“, erzählt der Herr unaufgefordert.

Er erklärt, dass er auf der Wahlliste seiner Partei ziemlich rüde nach hinten „durchgereicht“ worden sei. An seiner Stelle wird bei der Europawahl wahrscheinlich eine jüngere Frau auf dem aussichtsreichen Listenplatz ins Parlament einziehen.

Taube ins Parlament geschmuggelt

Andere versuchen, ihrer sichtbaren Frustration auf andere Weise Luft zu machen. Einer von ihnen ist der slowakisch Abgeordnete Miroslav Radačovský, der im extrem rechten Spektrum der politischen Landschaft einzuordnen ist.

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Am Ende der letzten und sehr kurzen Rede seiner Politikerkarriere im EU-Parlament zieht er plötzlich eine lebende, weiße Taube aus seiner Bauchtasche und lässt sie fliegen. Er wünsche sich Frieden, sagt er und spricht damit sicherlich allen Parlamentariern aus dem Herzen.

Nur meint Radačovský damit wohl eher, dass sich Europa der imperialen Knute Russlands unterordnen solle. Nur wenige der Parlamentarier werden dem Slowaken eine Träne nachweinen. 

Stehende Ovationen für Reinhard Bütikofer

Für einige Aufregung im Parlament sorgte am Ende auch der Abgang des Grünen-Politikers Reinhard Bütikofer. Nach 15 Jahren im Europaparlament tritt der 71-Jährige nicht mehr zur Wahl an.

Verabschiedet wurde er nach der allerletzten Rede im weiten Halbrund des Plenarsaals von seiner Fraktion mit stehenden Ovationen, bis der leitende Parlamentspräsident einschreiten und mit Nachdruck um Ruhe bitten musste.

Der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer verlässt das EU-Parlament nach 15 Jahren.

© imago/Future Image/IMAGO/Dwi Anoraganingrum

Zum ersten Mal seit vielen Jahren wird Bütikofer also nicht in den Wahlkampf ziehen und vielleicht ist er gar nicht so unglücklich darüber, denn den Grünen droht ein fürchterlicher Absturz. Mit 21 Abgeordneten ist die deutsche Öko-Partei im Moment im Parlament vertreten; doch diese Zahl der Sitze könnte sich im allerschlimmsten Fall fast halbieren.

Grüne wollen von der Leyen behalten

Allerdings ist die Stimmung bei den Grünen alles andere als verzweifelt. Sie sind zutiefst überzeugt, in ihrem Kampf gegen den Klimawandel und für mehr Umweltschutz den richtigen Weg eingeschlagen zu haben.

Mehr Sorgen bereitet ihnen, dass die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen keine zweite Amtszeit als EU-Kommissionschefin bekommen könnte. Das ist auf den ersten Blick erstaunlich. Aber von der Leyen hatte zur großen Freude der Grünen bei ihrem Amtsantritt vor fünf Jahren den Umbau Europas zu einem klimaneutralen Kontinent zu ihrem „Herzensprojekt“ erkoren.

Doch der sogenannte Green Deal hatte selbst in ihrer eigenen konservativen Parteifamilie am Ende sehr viele Gegner.

Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, wird wegen des Green Deals von der eigenen Fraktion bekämpft.

© dpa/Jean-Francois Badias

Nun ist Ursula von der Leyen zwar Spitzenkandidatin der Konservativen bei der Europawahl und damit erste Anwärterin auf den Chefposten bei der Kommission. Doch im Hintergrund wetzen ihre Gegner selbst im eigenen politischen Lager bereits die Messer.

CDU kämpft bis zur letzten Rede gegen das Verbrenner-Aus

So sind bis zuletzt etwa die Forderungen in den Reihen der CDU/CSU nach der Abschaffung des EU-weiten Verbrenner-Verbots ab 2035 wesentlich lauter als die Lobpreisungen der eigenen Spitzenkandidatin für ihre Arbeit der vergangenen fünf Jahre.

Dann nahte das Ende der Plenarwoche und in der letzten Sitzung bedankte sich Parlamentspräsidentin Roberta Metsola ganz unfeierlich mit einem schlichten „Thank you very much“. Es war der finale Vorhang und damit war die Legislaturperiode für die 705 Abgeordneten beendet.

Fünf Jahre, die geprägt waren von einer Pandemie, einem Krieg in Europa, einem großen Korruptionsskandal im EU-Parlament und der Gewissheit, dass es vielleicht noch nie so wichtig war, die Demokratie zu verteidigen.

Egal, ob die Feinde der Demokratie mit Panzern in der Ukraine stehen, den europäischen Markt mit Dumpingprodukten schwemmen oder direkt in den Parlamenten Europas sitzen.

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