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Etwa eine Million Menschen sind nach Rafah geflüchtet.

© Reuters/Mohammed Salem/ Bearbeitung Tagesspiegel

Israel verstärkt Angriffe auf Rafah : Was heißt das für die Geflüchteten im Gazastreifen?

Der israelische Großangriff auf die Stadt an der Grenze zu Ägypten hat begonnen. Drei Experten erklären, was das für die 1,3 Millionen Menschen dort bedeutet.

Seit Donnerstagnacht greift Israels Armee vermehrt Ziele in Rafah an. Medienberichten zufolge wird die Großstadt im Süden des abgeriegelten Gazastreifens von Panzern beschossen, laut der Zeitung „The Times of Israel“ gab es auch intensive Bombardements aus der Luft.

US-Präsident Joe Biden reagierte scharf und kritisierte Israels Offensive als „überzogen“. Auch die deutsche Außenministerin, Annalena Baerbock, warnte auf X vor einer „humanitäre Katastrophe mit Ansage“.

Trotz internationaler Kritik am militärischen Vorgehen, erteilte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seiner Armee am Freitag den Befehl, eine größere Offensive vorzubereiten.

Das Militär soll der Deutschen Presse-Agentur zufolge zudem eine Evakuierung der Bevölkerung Rafahs vorbereiten. Man werde der Zivilbevölkerung einen „sicheren Korridor gewähren, damit sie das Gebiet verlassen kann“, sagte Netanjahu in einem Interview des US-Senders „ABC News“, aus dem der Sender vorab in Auszügen berichtete – ohne jedoch zu sagen, wohin.

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Ein Einmarsch scheint unmittelbar bevorzustehen – und gilt dennoch als hochproblematisch. In Rafah halten sich derzeit mindestens 1,3 Millionen Menschen auf, das ist mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung des Gazastreifens. Etwa eine Million von ihnen flüchteten nach den Kämpfen im Norden des Küstenstreifens Richtung Süden, zum Teil auf Aufforderung des israelischen Militärs.

Was bedeuten die neuen Angriffe für die Geflüchteten? Drei Expertinnen schätzen die Lage ein. Alle Folge unserer Serie „3 auf 1“ finden Sie hier.


Evakuierungsbefehle allein reichen nicht

Die verstärkten Angriffe der israelischen Armee auf Rafah stellen eine weitere dramatische Wende in diesem Krieg dar. In den vergangenen Monaten sind bereits mehr als 27.000 Menschen, vor allem Zivilisten, getötet worden. Der Gazastreifen ist unbewohnbar. Menschen, die in Rafah Zuflucht gesucht haben, weil sie zuvor von Israel aufgefordert wurden, andere Gebiete zu verlassen, sind nun erneut vom Tod bedroht. Oder müssen wieder umziehen.

Doch die Frage ist: wohin? Im Gazastreifen gibt es keinen sicheren Ort mehr, der Rest des Landes ist zerstört. Nach dem humanitären Völkerrecht ist Israel verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um die Zivilbevölkerung vor seinen Kampfhandlungen zu schützen. Das bloße Abwerfen von Flugblättern oder Evakuierungsaufforderungen reichen eindeutig nicht aus. Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass Israels Armee zivile Gebiete unverhältnismäßig angreift. Wenn sich das in Rafah wiederholt, könnte dies zu einem Massaker führen. 


Die Menschen brauchen jetzt Sicherheit

Die Ausweitung der Kampfhandlungen in Rafah ist katastrophal und sollte sofort gestoppt werden. Die Situation für die mehr als eine Million Menschen, die an den südlichsten Punkt des Gazastreifens geflohen sind, ist bereits jetzt desolat. Sie haben keine Möglichkeit, den Angriffen zu entfliehen.

275.000
Menschen lebten 2023 in Rafah – jetzt sind es etwa 1,3 Millionen.

Hinzu kommt, dass Rafah einer der wenigen Zugangspunkte für humanitäre Lieferungen ist – würde der Grenzübergang ganz geschlossen, wäre das ein Desaster für die Versorgung der Menschen. Meine Kolleg:innen vor Ort sehen die drastischen Folgen des anhaltenden Krieges. Wir behandeln etwa Patient:innen mit schwer infizierten Wunden oder Verbrennungen und führen Operationen durch. Es fehlt an Schmerzmitteln, Anästhetika und Betten. Aufgrund des Mangels an sauberem Wasser nehmen Durchfallerkrankungen, Atemwegsinfektionen und Hepatitis-A-Infektionen zu.

Viele der Menschen, gerade die Kinder, sind schwer traumatisiert. Das, was die Menschen und alle humanitären Helfer:innen am dringendsten benötigen, ist Sicherheit. Wir fordern daher einen sofortigen Waffenstillstand, um die medizinische Versorgung für die Menschen zu gewährleisten.


Kinder sind durch Bomben besonders gefährdet

Mehr als eine Million Menschen sind in den vergangenen vier Monaten nach Rafah geflohen, rund 610.000 von ihnen sind Kinder. Sie alle sind auf der Suche nach Schutz und haben sich auf Anordnung des israelischen Militärs dorthin begeben. 1,3 Millionen Menschen sind zusammengepfercht auf 62 Quadratkilometern – das ist ungefähr so groß wie der Berliner Bezirk Charlottenburg-Wimersdorf. Für all diese Menschen gibt es kein Entkommen, keinen sicheren Ort mehr. Überall wird gekämpft, ihre Häuser sind zerstört, und der Grenzübergang nach Ägypten bleibt verschlossen. 

Eine Offensive auf Rafah wäre das verheerende nächste Kapitel eines Konflikts, der ohnehin schon zivile Opfer in beispielloser Zahl gefordert hat. Kinder sind durch Bomben und andere Explosivwaffen besonders gefährdet: Ihre Körper sind kleiner, ihre Knochen brechen leichter und sie verbluten schneller.

Der Grenzübergang Rafah ist außerdem der wichtigste Zugang für humanitäre Hilfe für den gesamten Gazastreifen. Eine Militäroffensive würde auch diese Hilfe komplett zum Erliegen bringen. Statt weiterer Kämpfe braucht es einen endgültigen Waffenstillstand und es braucht ihn jetzt! Das Leben von mehr als 610.000 Kindern hängt davon ab. 

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