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Beamte der europäischen Grenzschutzagentur Frontex an der bulgarisch-türkischen Grenze (Archivbild)

© epa/dpa/Vassil Donev

Frontex schlägt Alarm: Wie viele Menschen reisen wirklich in die EU ein?

Die EU-Grenzschützer melden den höchsten Stand irregulärer Grenzübertritte seit 2016. Doch aus der Wissenschaft kommt Einspruch gegen die Zahlen.

In diesem Jahr sind deutlich mehr Flüchtlinge und Migranten ohne Erlaubnis in die Europäische Union gekommen als noch 2021. Nach Angaben der EU-Grenzschutzagentur Frontex wurden zwischen Januar und November rund 308 000 Grenzübertritte registriert. Das sei ein Zuwachs um 68 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, teilte Frontex in dieser Woche mit.

Die Behörde, die ihren Sitz in Warschau hat, erklärte, dies sei der höchste Wert seit dem Jahr 2016. Obwohl viele Länder ihre Maßnahmen gegen Einwanderer verstärkten, gingen die Zahlen wieder nach oben. Sie war in den beiden Pandemiejahren fast zum Erliegen gekommen.

Mehr registrierte Versuche, also auch mehr Flüchtlinge und Migrant:innen, die ohne ausdrückliche Erlaubnis nach Europa kommen? Franck Düvell widerspricht. Der Forscher am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück weist darauf hin, dass sich die Zahlen von Frontex auf Versuche beziehen, die Grenze zu übertreten, nicht darauf, ob das tatsächlich gelang.

„Wenn demnach also eine Person zehn Versuche unternimmt, dann müsste man alle Frontex-Zahlen durch 10 teilen“, so Düvell zum Tagesspiegel. „Auch wichtig: Je mehr Kontrollen und damit Zurückweisungen es gibt, desto höher sind Frontex’ Zahlen, selbst wenn die Zahl der Personen an den Grenzen sinkt.“

„Frontex-Daten zu Grenzschutz, nicht zu Migration“

Düvell, dessen Institut die Grenzbewegungen eng beobachtet, meint: „Die Zahlen von Frontex dienen dem Zweck, eine Aussage über die Aktivität der Grenzschutzorgane zu machen, aber nicht, um Migration analysieren.“

Tatsächlich heißt es in einer Presseerklärung von Frontex vom Montag dieser Woche: „Für die hohe Zahl illegaler Grenzübertritte auf der Westbalkan-Route sind mehrfache Versuche von Migranten verantwortlich, die sich bereits in der Region befinden, außerdem der Missbrauch visafreier Zugänge.“

2000
Menschen sind zwischen Januar und Ende November bereits beim Versuch ums Leben gekommen, übers Mittelmeer nach Europa zu kommen. Die Zahl hat die UN-Organisation für Migration IOM erhoben.

Man schicke aktuell Ländern, die „starkem Migrationsdruck und anderen Herausforderungen an ihren Grenzen ausgesetzt sind“, 2100 weitere Grenzbeamte und verschiedenste Ausrüstung.

Warschauer Behörde steht unter Druck

Haushalt und Personal der EU-Behörde sind in den letzten Jahren massiv gewachsen, besonders nach den Jahren der europäischen Flüchtlingskrise 2015/2016. Gleichzeitig steht Frontex massiv unter Druck.

Menschenrechtsorganisationen hatten der Agentur Beteiligung an der illegalen Zurückweisung von Schutzsuchenden (Pushback) vorgeworfen und dies mit Videomaterial und Zeugenaussagen untermauert. Frontex-Chef Fabrice Leggeri musste in diesem Jahr deswegen zurücktreten. Er soll illegale Aktionen seiner Leute vertuscht haben.

Laut den Frontex-Zahlen wurden auf dem westlichen Balkan die meisten Übertrittsversuche registriert, 140.000 bis Ende November. Dies seien zweieinhalbmal so viele wie noch 2021 und der höchste Wert seit der Flüchtlingskrise des Jahres 2015. Es folgen die zentrale Mittelmeerroute, die in Italien endet, und diejenige durchs östliche Mittelmeer nach Griechenland und Zypern.

Flüchtlinge vor allem aus Syrien und Afghanistan

Gerade der Weg durchs zentrale Mittelmeer ist hochgefährlich. Nach Angaben der UN-Organisation für Migration (IOM) starben in diesem Jahr fast 2000 Migranten auf Überfahrten im Mittelmeer, fast 1400 allein auf dem Weg von der nordafrikanischen Küste nach Italien.

Die meisten Menschen, die den Weg in die EU suchen, stammen laut Frontex auf praktisch allen Routen aus dem Bürgerkriegsland Syrien, gefolgt von Afghan:innen. In Afghanistan übernahmen im letzten Jahr die islamistischen Taliban wieder die Macht.

Über die Balkanroute waren Türk:innen unter den am meisten vertretenen Nationalitäten. In der Türkei unter Erdogan sitzen inzwischen mehr als 40.000 Menschen allein aus politischen Gründen in Haft. Auch Kongo, Tunesien, Senegal, Irak, Belarus und die Ukraine gehören zu den wichtigen Herkunftsländern.

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