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Atomkraftwerk Saporischschja

© Foto: dpa/AP/Uncredited

Atomkraftwerk Saporischschja: „Die meisten Menschen in Enerhodar sind zutiefst besorgt“

Russland beansprucht das Kernkraftwerk Saporischschja weiter für sich. Seit Monaten leben die Menschen in der nahegelegenen Stadt Enerhodar Tür and Tür mit russischen Soldaten. Wie geht das?

Die Energieversorgung ist unterbrochen, Wasser gibt es nur unregelmäßig. Seit fast genau einem Jahr wird Enerhodar im Südosten der Ukraine besetzt. Anfang März vergangenen Jahres nahmen russische Truppen die Satellitenstadt des Kernkraftwerks Saporischschja ein. Auch das Atomkraftwerk ist seitdem unter ihrer Kontrolle.

„Fünf Stunden musste ich einmal in der Kälte für Brot anstehen“, erinnert sich eine Bewohnerin der Stadt im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Erst Ende 2022 gelang es ihr, Enerhodar zu verlassen. Ihren Namen will sie aus Sicherheitsgründen nicht in der Zeitung lesen. „Es gab immer nur wenige Lebensmittel“, erinnert sie sich. Nur bei Milchprodukten hätte es keine Probleme gegeben.

Russische Pässe bleiben in der Ukraine unbeliebt

Auch Wasser und Strom wurden immer wieder knapp. „Die Russen haben die elektrischen Anlagen ausgeschaltet, Transformatoren beschossen“, beschreibt die Ukrainerin. Dabei habe das nahegelegene Kraftwerk Saporischschja immer für eine zuverlässige Versorgung gesorgt.

Doch seitdem die Soldaten die Reaktoren heruntergefahren hätten, habe es kein warmes Wasser mehr gegeben. „Die russischen Truppen sind deshalb in die Nachbardörfer gezogen.“ Und zugleich über die Reaktionen der Menschen vor Ort überrascht gewesen.

Mit Andriy Shevchyk besetzten sie das Bürgermeisteramt schnell Kreml-freundlich. Shevchyk gilt seit den ersten Kriegstagen bei Ukrainern als Überläufer, wohl auch deshalb wurde auf ihn noch im Frühjahr ein Attentat verübt. Nachfolger wurde dann Alexander Wolga – auch er hielt sich nur bis November 2022 auf dem Bürgermeisterposten.

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„Wolga kam zu uns ins Kernkraftwerk“, erinnert sich die Ukrainerin und auch, dass er sich wunderte, dass niemand in Enerhodar russische Pässe haben wollte. „In meinem Freundes- und Kollegenkreis gibt es solche Leute aber nicht. Alle warten auf den Sieg der Ukraine.“

Heute lebt die ehemalige AKW-Mitarbeiterin in einem von der Ukraine kontrollierten Gebiet – und in Sicherheit. Die Erlebnisse aus der Zeit in Enerhodar prägen sie noch immer.

Menschen in Enerhodar „zutiefst besorgt“ über Situation

„Viele Leute hier in Enerhodar dachten, dass es sicher ist. Dass das Kernkraftwerk sie schützen würde.“ Heute seien die meisten Menschen dagegen „zutiefst besorgt“ über die Situation.

Im Herbst besuchte Rafael Grossi, Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO), das durch Moskau kontrollierte Kernkraftwerk und zog ein teilweise positives Fazit. Zwar seien Schäden durch den Beschuss des Kraftwerks offenkundig und inakzeptabel, sagte er bei seiner Rückkehr, doch wichtige Sicherheitselemente würden weiterhin funktionieren.

Im Kraftwerk, so erzählt es die ehemalige Mitarbeiterin, gibt es Bereiche mit hoher Radioaktivität, entsprechend gefährlich ist, wenn sich Mitarbeiter dort ohne Schutzkleidung aufhalten. Doch das russische Militär sei dort äußerst unvorsichtig.

Russische Soldaten halten sich in diesen Bereichen in ihrer Uniform auf und gehen anschließend einfach wieder raus. Werden sie verstrahlt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie auch ihre Freunde verstrahlen.“

Wegen der besonderen Gefahr, die von Kernkraftwerken ausgeht, hat sich die Staatengemeinschaft, und damit auch Russland, in den 70er-Jahren in den Zusatzprotokollen der Genfer Konventionen auf eine besondere Regelung für den Umgang mit Atomkraftwerken im Krieg geeinigt.

Zwar konnte man sich nicht übereinkommen, Kraftwerke grundsätzlich vor Kriegshandlungen zu schützen, doch dürfen die Anlagen nur angegriffen werden, wenn ein militärischer Vorteil eines solchen Angriffs überwiegt.

„Russland hat als Atommacht und Mitglied des UN-Sicherheitsrats gegen alle möglichen Normen des Völkerrechts verstoßen“, erklärt Vira Konstantinova gegenüber dem Tagesspiegel. Sie ist Analystin und bei der Association of Middle East Studies auf Energiebeziehungen und Geopolitik spezialisiert.

„Die Inbesitznahme von Kernkraftwerken ist verboten.“ Für die Ukraine muss es daher besonders wichtig sein, die volle Kontrolle über Saporischschja wiederzuerlangen.

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