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Eine albanische Kosovarin wartet vor einer Abteilung niederländischer Nato-Soldaten, um zu einem sicheren Ort zu kommen.

© AFP/JOEL ROBINE

25 Jahre Nato-Intervention in Kosovo: Den Krieg beendet, ohne Frieden zu schaffen

Am 24. März 1999 griff die Nato Ziele im zerfallenden Jugoslawien an. Dieser erste Kriegseinsatz, auch der Bundeswehr außerhalb des Bündnisgebiets, war eine Zeitenwende.

Ein Gastbeitrag von Marie-Janine Calic

Am Abend des 24. März 1999 erklärte Bundeskanzler Gerhard Schröder den deutschen Fernsehzuschauern mit ernster Miene, dass die Nato mit Luftschlägen gegen militärische Ziele in Jugoslawien begonnen habe.

„Damit will das Bündnis weitere schwere und systematische Verletzungen der Menschenrechte unterbinden und eine humanitäre Katastrophe im Kosovo verhindern.“ Zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkrieges wurden deutsche Soldaten in einen Kriegseinsatz geschickt – eine Zeitenwende.

Der Konflikt zwischen Serben und Albanern über den Status Kosovos gärte seit vielen Jahrzehnten. Er wurde durch den Zerfall Jugoslawiens 1991 erneut akut. Die albanische Bevölkerungsmehrheit erklärte die Provinz zum unabhängigen Staat, während Belgrad historische und völkerrechtliche Ansprüche auf das Territorium geltend machte.

Es betrachtet Kosovo, das seit 1913 Teil seines Staatsgebiets war, als „Wiege der serbischen Nation“. Seit 1997 trat eine albanische Guerilla, die Kosovo-Befreiungsarmee, in Erscheinung.

Ziel: Ein „zweites Bosnien“ verhindern

Sie versuchte, die Unabhängigkeit Kosovos mit Terroranschlägen und Überfällen gewaltsam durchzusetzen. Serbische Polizei- und Militärkräfte reagierten darauf mit wachsender Brutalität. Berichte über Vertreibungen und Massaker wühlten die Öffentlichkeit auf.

Der Westen entschloss sich, schnell zu handeln, um – wie es hieß – „ein zweites Bosnien“ zu verhindern. In Srebrenica hatte 1995 serbisches Militär unter den Augen von UN-Blauhelmen in wenigen Tagen mehr als 8.300 Bosniaken ermordet.

Am 23. September 1998 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat Resolution 1199 und forderte einen sofortigen Waffenstillstand sowie den Rückzug von serbischer Armee und Sonderpolizei aus der umkämpften Provinz.

,Nie wieder Krieg’ sollte nicht mehr uneingeschränkt gelten. Nun hieß es ,Nie wieder Auschwitz’.

Marie-Janine Calic, Historikerin und Südosteuropa-Expertin

Obwohl die Entschließung keine Drohung mit Gewaltmitteln enthielt, diente sie der Nato als völkerrechtliche Rechtfertigung der Intervention. Als Anfang 1999 letzte Vermittlungsbemühungen im französischen Schloss Rambouillet scheiterten, sah sich das Bündnis legitimiert, einen Luftkrieg anzudrohen.

Einsatz war womöglich völkerrechtswidrig

Belgrad sollte gezwungen werden, eine Selbstregierung Kosovos, abgesichert durch internationale Truppen, zu akzeptieren. Die Stationierung fremder Soldaten auf eigenem Staatsgebiet erschien Belgrad allerdings inakzeptabel.

Die deutsche Öffentlichkeit war in der Frage des Militäreinsatzes gespalten. Krieg als Mittel der internationalen Politik erschien vielen nach den Erfahrungen der Hitler-Herrschaft als Tabu. Zudem verbietet das Grundgesetz Bundeswehreinsätze außerhalb des Nato-Vertragsgebietes.

78
Tage lang bombardierte die Nato 1999 Ziele in Serbien und Kosovo.

Nur von der Uno mandatierte und vom Bundestag genehmigte Missionen waren und sind erlaubt, weshalb die Intervention womöglich das Völkerrecht brach. Angesichts der schweren Menschenrechtsverletzungen im Kosovo wandelte sich jedoch das Meinungsbild.

Die Lehre aus zwei Weltkriegen – „Nie wieder Krieg“ – sollte nicht mehr uneingeschränkt gelten. Nun hieß es „Nie wieder Auschwitz“: Notfalls müsse staatliche Gewalt gegen Zivilisten auch mit militärischen Mitteln verhindert werden.

800.000 Menschen wurden vertrieben oder flohen

Am 16. Dezember 1998 votierte der Bundestag mit breiter Mehrheit für die Beteiligung am Nato-Einsatz im Kosovo. Zweifler wurden mit der Voraussage beruhigt, der Krieg werde spätestens nach drei Tagen vorüber sein.

Tausende Kosovar:innen stehen im April 1999 Schlange in einem von der Nato angelegten Lager, um Essen zu bekommen.
Tausende Kosovar:innen stehen im April 1999 Schlange in einem von der Nato angelegten Lager, um Essen zu bekommen.

© AFP/ERIC FEFERBERG

Am Ende bombardierte die Nato 78 Tage lang militärische Einrichtungen, Infrastruktur und Industrieanlagen in Serbien und Kosovo. Statt die Serben zum Aufgeben zu zwingen, heizte der Luftkrieg ihre Zerstörungswut allerdings erst recht an.

Bis zu 800.000 Menschen mussten innerhalb weniger Tage fliehen oder wurden vertrieben. Eine humanitäre Katastrophe zeichnete sich ab, und keiner hatte sich darauf vorbereitet.

Dass es einen „Hufeisen-Plan“ der jugoslawischen Armee zur „ethnischen Säuberung“ des Kosovo gegeben habe, was westliche Regierungen und Militärs daraufhin behaupteten, erwies sich im Nachhinein als Täuschung.

Erst als der Nato allmählich die Bombenziele ausgingen, kam es zum Kompromiss. Durch deutsche Vermittlung einigte sich die Staatenwelt am 10. Juni 1999 auf UN-Resolution 1244. Um ein Veto Russlands zu umgehen, war sie widersprüchlich.

Nicht die ganze EU erkennt Kosovos Unabhängigkeit an

Denn einerseits versprach man den Albanern Selbstregierung, während man andererseits der Bundesrepublik Jugoslawien beziehungsweise Serbien territoriale Integrität garantierte.

Um Zeit für endgültige Statusverhandlungen zu gewinnen, wurde Kosovo unter internationale Verwaltung gestellt, es rückte eine Nato-geführte Friedenstruppe ein. Im Jahr 2008 erklärte sich das Land schließlich unilateral für unabhängig.

Neben Serbien, Russland und weiteren Staaten haben auch fünf EU-Mitgliedsländer dies bis heute nicht anerkannt. Trotz zahlreicher Bemühungen der EU und der USA, die Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo zu normalisieren, ist der Kosovokonflikt bis heute ungelöst.

Immer wieder kommt es zu Ausschreitungen, zuletzt im April 2023, als Dutzende Protestierende und Kfor-Soldaten verletzt wurden. Die Nato-Intervention hat zwar die militärische Gewalt beenden, jedoch keinen stabilen Frieden erzwingen können.

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