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Vor Einführung des Zentralen Notrufs mussten Unfallopfer oft Stunden auf einen Rettungswagen warten.

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Tagesspiegel Plus

Ist die Notfallrettung noch zu retten?: „Es ist ein Wahnsinn in den Leitstellen“

Die Einführung des Notrufs 112 war ein Meilenstein. Doch was 1973 nach zähem Ringen erreicht wurde, sei heute in Gefahr, sagt der Präsident der Björn-Steiger-Stiftung.

Nicht viele werden wissen, dass die zentrale Notrufnummer 112 am heutigen 20. September 50 Jahre alt wird – und dass deren Einführung auf den Unfalltod ihres Bruders Björn Steiger im Jahr 1969 zurückgeht. Was passierte damals?
Der Unfall geschah am 3. Mai 1969, eine Woche vor seinem neunten Geburtstag. Mein älterer Bruder Björn war mit Freunden im Freibad in Winnenden-Höfen. Auf dem Nachhauseweg hat er innerorts eine Straße überquert. In dem Moment setzte ein Platzregen ein. Ein VW Käfer kam die Straße entlang, bremste kurz, weil er den Scheibenwischer anmachte. Mein Bruder dachte aber, dass der Wagen für ihn langsamer wurde. Doch der Fahrer hatte ihn durch die schmutzig-verschmierten Scheiben gar nicht gesehen und gab wieder Gas – und fuhr Björn an.

Hat er ihren Bruder lebensgefährlich verletzt?
Eigentlich nicht, denn das Auto war nicht sehr schnell. Bei der späteren Obduktion kam heraus, dass mein Bruder zwar ein paar Knochenbrüche erlitten hatte, das aber erst mal nicht lebensbedrohend war. Aus heutiger Sicht hätte er nur schnell stabilisiert werden müssen, und er hätte überlebt. Doch es hat eine Stunde gedauert, bis ein Krankenwagen kam. Und das war auch kein Rettungswagen, wie sie heute Standard sind, sondern ein normaler Kombi, der eigentlich nur dazu da war, Menschen in ein Krankenhaus zu bringen. Es fuhr da kein ausgebildeter Rettungssanitäter. Mittel und Geräte für die erste Hilfe gab es in dem Auto auch nicht. Auf dem Transport ins Krankenhaus ist Björn dann an einem Schock verstorben.

Es hat eine Stunde gedauert?
Oft dauerte es sogar zwei oder drei Stunden, bis Hilfe am Unfallort war. Meinen Eltern wurde klar, dass es damals nichts gab, was den Namen Notfallrettung verdient hätte. Pro Jahr gab es über 20.000 Verkehrstote. Man sprach vom Blutzoll der Industrialisierung.

Die Politik lehnte einen einheitlichen Notruf immer wieder mit dem Hinweis ab, das sei zu teuer. Deshalb fragte mein Vater selbst bei der Post nach.

Pierre-Enric Steiger, Präsident der Björn-Steiger-Stiftung
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