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Pride Parade in Taipeh (Archivbild).

© imago images/ZUMA Wire

„Heiraten ist ein politischer Akt“: Queer in Taiwan – so einfach ist es nicht

Taiwan ist das einzige Land Asiens, in dem es die Ehe für alle gibt. Doch die Gesellschaft ist konservativ. Queere Menschen müssen weiter um Anerkennung kämpfen.

So viele Regenbögen waren in Taipei lange nicht zu sehen. An einem kleinen Stand verkauft sie eine Frau auf Fahnen, Buttons, Schlüsselanhängern und T-Shirts. Auf der Straße verteilt eine andere Regenbogen-Kondome und auch ein großer Sportschuh-Konzern lässt sich nicht lumpen: Er hat zwei Gänse organisiert, die Regenbogen-Schärpen tragen.

Neben der Bühne stehen Stände von Unternehmen, die ihre Klamotten verkaufen, ausnahmsweise nur in weiß oder schwarz. Der Platz vor der Taipei City Hall ist an diesem regnerischen Samstag voll mit Menschen, die in ihren Regencapes darauf warten, dass es losgeht.

Einige von ihnen tragen unter den Jacken nur einen Slip, andere dafür Hundemasken und Leinen. Es ist die erste Pride-Parade seit Ausbruch der Corona-Pandemie, die Stimmung könnte trotz des Wetters nicht besser sein. Die ersten Wagen mit gut gebauten Männern setzen sich unter lautem Gejohle der Menge in Bewegung. Händchen haltende Paare folgen der Technomusik. Ein Mann verteilt aus einem fahrenden Wagen heraus Rum-Shots an alle, die den Mund weit genug aufmachen. Die Dose Cola wird nachgereicht.

Die Pride ist etwas Besonderes - denn Taiwan ist in weiten Teilen konservativ

So eingespielt und kommerzialisiert diese Pride auch wirkt: Sie ist für Taiwan etwas Besonderes. Denn die Gesellschaft des kleinen Inselstaats ist in weiten Teilen konservativ.

Doch davon weiß man im Ausland meist nichts. Denn wenn über Taiwan gesprochen wird, dann meinst anerkennend, weil hier seit 2019 gleichgeschlechtliche Paare heiraten dürfen – einzigartig in Asien. Bis heute haben mehr als 7900 gleichgeschlechtliche Paare geheiratet. Man würde meinen, dass die Gesellschaft Taiwans hinter der Ehe für alle steht.

Doch Männer- oder Frauenpaare sucht man im Alltag vergeblich. Viele, auch junge Menschen erzählen, dass sie ihre sexuelle Identität vor ihren Familien und Freunden geheim halten. In den Kinderzimmern fehlen die Regenbogenflaggen vergeblich. Manche Menschen fürchten eine Benachteiligung im Beruf und erzählen deswegen nichts aus ihrem Privatleben.

Ich will keine Feinde an der Uni, deswegen sage ich lieber nichts.

Chu Chun-Lin, Student in Taiwan

Warum? Und was bedeutet das für die Zukunft homosexueller Menschen in Asiens einzigem Land mit legaler gleichgeschlechtlicher Ehe? Wie hat sich die Gesellschaft seit der Legalisierung verändert?

„Ich will keine Feinde an der Uni, deswegen sage ich lieber nichts.“ Chu Chun-Lin schaufelt sich bunte Taro-Bälle in den Mund, eine beliebte Süßigkeit in Taiwan. Der 21-Jährige aus dem Süden Taiwans studiert Accounting und hatte kein Coming Out, weder an der Uni noch in seiner Familie.

Chu sagt: „Ich vertraue meinem Umfeld nicht“. Taiwans Gesellschaft ist gespalten. Das Land litt 50 Jahre lang unter japanischer Kolonialherrschaft und danach fast 40 weitere Jahre unter der Diktatur des chinesischen Generalissimo Chiang Kai-shek. Viele Erlebnisse der letzten Jahrzehnte wurden öffentlich nie thematisiert.

Die Pride Parade in diesem Herbst in Taipeh.  Es war die erste seit Ausbruch der Corona-Pandemie.
Die Pride Parade in diesem Herbst in Taipeh. Es war die erste seit Ausbruch der Corona-Pandemie.

© IMAGO/ZUMA Wire

Das Schweigen reicht bis in die Familien – auch in Chus. Seine Eltern arbeiten beide im öffentlichen Dienst. Chu beschreibt sie als sehr streng und konservativ. „Sie haben mich und meine Schwester oft geschlagen“.

Eines Tages erzählt ihm seine Schwestern auf der Straße unvermittelt, dass sie lesbisch sei. Die Geschwister teilen dieses Geheimnis. Aber darüber sprechen, können auch sie nicht. Chus Schwester lebt mittlerweile ein Leben in Taipei jenseits des Zugriffs ihrer Eltern. Dass er schwul ist, weiß Chu schon seit dem Kindergarten. „Damals dachte ich, dass es jedem anderen Kind auch so geht“, erinnert er sich und lacht.

2017 entschied das Verfassungsgericht für die gleichgeschlechtliche Ehe

Um die Situation homosexueller Menschen in Taiwan zu verstehen, muss man die Geschichte der Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe kennen. Denn die Ehe für alle wurde nicht durch die Zivilbevölkerung erstritten, sondern war das Ergebnis einer Verfassungsklage.

Das Gericht entschied 2017, dass die Ungleichbehandlung homosexueller Paare nicht mit dem in der Verfassung der Republik China gesicherten Recht auf Gleichheit und Freiheit vereinbar sei. Die Regierung hatte daraufhin zwei Jahre Zeit, um die gleichgeschlechtliche Ehe gesetzlich zu verankern. Einige konservative und religiöse Gruppierungen setzten in dieser Zeit ein Referendum durch, in dem die Meinung der Bevölkerung zur gleichgeschlechtlichen Ehe und zu LGBTQI+-Aufklärung in Schulen abgefragt wurde – mit eindeutigem Ergebnis dagegen.

Sticker, die 2018 für die gleichgeschlechtliche Ehe bei einem Referendum warben. Damals wurde gegen die Ehe für alle entschieden. Das Votum war aber nicht bindend, das Parlament öffnete die Ehe schließlich im Jahr 2019.
Sticker, die 2018 für die gleichgeschlechtliche Ehe bei einem Referendum warben. Damals wurde gegen die Ehe für alle entschieden. Das Votum war aber nicht bindend, das Parlament öffnete die Ehe schließlich im Jahr 2019.

© imago/AFLO

Zwar war das Ergebnis des Referendums nicht bindend, zeichnete aber ein deutliches gesellschaftliches Meinungsbild. Was heißt das für homosexuelle Menschen? Ist Taiwan ein Land mit einem politischen Überbau, der von der Gesellschaft nicht eingeholt wird?

„Die Referenden zeigten kein glaubwürdiges Meinungsbild“, sagt Marcin Jerzewski. Der Direktor des European Values Centers Taipei forscht seit Jahren zur LGBTQI+-Community in Taiwan und sagt: „Es ist nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint.“

Die Fragen des Referendums seien suggestiv gestellt gewesen, die Ergebnisse deswegen nicht aussagekräftig. „Die Umfragen in den Jahren davor zeigten eine stetig wachsende gesellschaftliche Zustimmung zur gleichgeschlechtlichen Ehe.“

Wie erklärt er sich dann die Geschichten vieler Homosexueller? Für Jerzewski sind sie nichts Neues. „Es ist eine Sache, ob Menschen generell offen gegenüber Homosexualität sind“, sagt er, „aber eine andere, wenn es um ihre eigenen Kinder geht.“ Die Gesellschaft Taiwans sei immer noch stark konfuzianisch geprägt. Das heißt: Der Kontinuität der Familienlinie werde viel Bedeutung beigemessen. Es werde noch einige Jahre dauern, bis sich die gesellschaftlichen Werte auch in der Familien wandeln. Es würde zum Beispiel helfen, wenn sich mehr Personen des öffentlichen Lebens ihrer Homosexualität auch öffentlich machen würden.

Chu will am liebsten wegziehen - nach Spanien, Deutschland oder Kanada

Dass er sich zeitnah outen wird, hält Chu für unwahrscheinlich. „Ich fühle mich nicht sicher“, sagt er. Den einzigen Menschen, denen Chu sich offenbart, sind internationale Studierende, die nur für eine kurze Zeit in Taiwan sind. Wie der Spanier, in den er sich vor kurzem verliebt hat. Der erwiderte seine Gefühle zwar nicht, aber sie blieben Freunde. Chu arbeitet neben der Uni, um Geld für das Ausland zu sparen. Sobald er genug hat will er wegziehen. Am liebsten nach Spanien, Deutschland oder Kanada.

Der Wandel hin zu einer offeneren Gesellschaft kann nicht in der Verantwortung der LGBTQI+-Community liegen, betont Jerzewski.. „Wir sind verantwortlich dafür Räume zu schaffen, in denen sich Menschen sicher fühlen“, Das gelte besonders am Arbeitsplatz, wo homosexuelle Menschen je nach Berufszweig immer noch Benachteiligung erfahren können.

Die Hochzeit als Wendepunkt

Für Zeng Yu-Ting war die Hochzeit ein Wendepunkt. „Bevor ich verheiratet war, habe ich es niemandem auf der Arbeit gesagt.“ Seit der Name ihrer Frau auf ihrem Personalausweis steht, spricht sie auf der Arbeit über ihre sexuelle Identität. „Davor hatte ich Angst.“

Als Zeng und ihre Frau Wang Yu Hsuan sich am 10.10.2019 das Ja-Wort gaben, war das keine Hochzeit, sondern eine politische Veranstaltung. Die beiden Frauen Ende 30 leben zusammen mit ihrer Katze in einer gemütlichen Wohnung im Osten Taipeis und betreiben gemeinsam den Instagram-Account Redisukurabu, einem digitalen Versammlungsort für die lesbische Community.

Heiraten ist für uns heute ein politischer Akt.

Wang Yu Hsuan

Eigentlich wollten die beiden nie heiraten. Doch seit die Ehe für alle in Taiwan legalisiert wurde, haben sie ihre Meinung geändert. „Heiraten ist für uns heute ein politischer Akt“, sagt Wang. Sie zeigt die Hochzeitseinladung, die sie zusammen mit Fotos eingerahmt hat.

Eins der Fotos zeigt ihre Ehefrau zusammen mit einem lesbischen Pornstar. Besonders prominent: Der Brief von Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen, die zur Hochzeit gratuliert. Zeng und Wang haben beide zu ihrer Hochzeit eingeladen, die in einem öffentlich zugänglichen Raum stattfand und eigentlich aus politischen Reden der Gäste bestand. „Ich wollte die Sichtbarkeit von lesbischen Paaren erhöhen“, sagt Wang.

Zengs Familie weiß nach wie vor nichts von ihrer Homosexualität. „Meine Eltern wollten eine perfekte Tochter, doch ich war nie girly, sondern immer anders als die anderen Mädchen“, sagt Zeng. „Ich weiß, dass sie es nicht verstehen werden“. Nach dem letzten Neujahr haben ihre Eltern den Kontakt zu ihr abgebrochen, weil sie ihren Vater kritisiert hat. „Mein größter Wunsch für das chinesische Neujahr ist McDonalds“, sagt sie und lacht.

Wang hat sich für ihre Homosexualität nie geschämt und sie nie versteckt – auch auf der Arbeit nicht. Sie ist Bauzeichnerin in einem Ingenieurbüro, einem „extrem konservativen Ort“. Dort bekomme sie häufig dumme Sprüche von Kollegen. Doch das stört sie nicht. „Ich will normale Dinge teilen“, sagt Wang. „Wenn meine Kollegin erzählt, dass ihr Mann gerade krank ist, will ich das auch“.

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