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Win when you’re swimming. Beim Bachelor geht es um Effizienz. Foto: dapd

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Studium: Zweifel auf den letzten Metern

Unsere Autorin bereitet sich auf ihren Bachelor vor. Ein gutes Gefühl hat sie dabei nicht.

Im Nachhinein betrachtet, ist der Bachelor gar nicht so schwer: knapp 14 Kilo. Sechs dicke Ordner, ein kniehoher Stapel Bücher, elf Reader und ein Schuhkarton voller Karteikarten sind übrig geblieben von sechs Semestern Kommunikationswissenschaften und Publizistik, mit den Nebenfächern Psychologie und Politikwissenschaften. Zwei Semester habe ich gebraucht, um den Namen des Studiengangs stotterfrei vorzutragen. Danach ging alles recht schnell: Modul für Modul tröpfelte auf mein Studienkonto, ein paar mehr oder weniger sinnvolle Praktika, zwei Auslandssemester. Dann war das Studienkonto plötzlich voll.

Dieses Sommersemester, das ab der nächsten Woche beginnt, ist mein letztes. Wenn ich mich dafür entscheide, mir direkt nach dem Studium einen Job zu suchen, stünde nur noch die ungeschriebene Bachelor-Arbeit zwischen mir und dem Berufseintritt. Vermutlich ist dieses Gefühl jedem bekannt, der eine Lebensphase abschließt – als ich die knapp 14 Kilo Studium in Kartons räume, möchte ich rufen: „Wirklich jetzt schon?“ Kaum ist das Studium richtig losgegangen, kommen die Unterlagen schon in den Keller.

Ich fühle mich nicht zu jung für das Berufsleben. Ich bin 24. Meine Freunde, die eine Ausbildung gemacht haben, arbeiten schon seit sechs Jahren. In den USA und in Russland hat man mit 21 den ersten berufsqualifizierenden Studienabschluss. Ich verstehe Kommilitonen nicht, die den letzten Diplomdinosauriern in den Uni-Fluren sehnsüchtig hinterher blicken. Oder vernebelte Augen bekommen, wenn ihre Eltern davon erzählen, dass sie erst mit 28 die Uni verließen und deshalb viel Zeit hatten, Zeitungen von vorne bis hinten zu lesen und über Bourdieu zu diskutieren. Ich bin ziemlich sicher: Diese Eltern hätten die Weltreisen und transkontinentalen Praktika unserer Zeit gern gegen verkiffte Abende in der WG-Küche getauscht.

Und trotzdem: Wenn ich meine Studienunterlagen durchblättere, frage ich mich, ob ich vielleicht nicht doch zu pragmatisch gewesen bin. In meinem Ordner aus dem ersten Semester sind noch Kopien der Zusatzliteratur abgeheftet, aufgeschriebene Gedanken über den Stoff, Bildchen und ergänzende Ausdrucke aus dem Internet – einfach weil es mich interessiert hat. Später wurde solcher Schnickschnack weniger, weil ich gemerkt habe, dass die zusätzlichen Mühen sich nicht in besseren Noten niederschlugen. Sie waren sogar schädlich, denn dadurch hatte man weniger Zeit, die Powerpoint-Folien mit den vielen Pfeilen und Stichpunkten auswendig zu pauken. Je länger ich an der Uni war, desto minimalistischer studierte ich. Die Ratio von Investition zu Ertrag wurde immer besser. Im letzten Semester habe ich mir nicht mal die Reader gekauft.

Manchmal habe ich das Gefühl, dieser Effizienzgedanke hat auch unser Leben außerhalb der Uni infiltriert. Die Zeit für geistige Schnörkel ist uns zu schade. Selten machen wir Sachen „einfach so“. Kurzfilme drehen? In der Suppenküche aushelfen? Einen Workshop für kreatives Schreiben belegen? Klar. Wenn man sich das im Bereich „Allgemeine Berufsvorbereitung“ anrechnen lassen kann. Ein Freund würde gern „Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace lesen. Aber 1648 Seiten schwere Kost, ohne sie verwerten zu können? Er lese nur zwei Sorten Bücher, sagt er: solche zur Unterhaltung und solche, die er mit Post-its bearbeitet.

Dabei wurde uns das Studium als die Zeit der klugen Bücher und Menschwerdung verkauft. Meine Mutter hat immer gesagt, dass Bildung der Beheimatung in der Welt dienen sollte. Vielleicht braucht man Powerpoint ja tatsächlich, um sich in der heutigen Welt zu Hause zu fühlen. Aber manchmal kommt mir das Bachelor-Studium vor wie ein Schwimmbecken mit Gegenstromanlage: Der Strom führt an den wichtigen Lebensstationen vorbei und spuckt einen vor dem Berufsleben aus. In diesem Strom hat man zwar gut schwimmen gelernt – vermutlich sogar besser als in einem kleinen Teich. Aber jetzt steht man nass am Zwischenziel, ganz der exzellente Schwimmer, und fragt sich: In welche Richtung soll ich nun schwimmen? 

Man könnte theoretisch ja zurück ins Schwimmbecken und zum Beispiel noch einen Master machen. Doch diese Option steht nicht allen offen – Masterstudienplätze sind nur für die Hälfte der Bachelor-Studenten vorgesehen. Die Tradition, nach dem ersten Abschluss ein paar Jahre zu arbeiten und dann an die Uni zurückzukehren, ist hierzulande nicht so verbreitet wie in den USA. Die Arbeitgeber gucken uns Jünglinge sowieso mit zusammengekniffenen Augen an. Sie gehören schließlich zu denen, die bis 28 in WG-Küchen saßen. Dass wir mit Anfang 20 zwei Sprachen mehr sprechen und sieben Länder mehr bereist haben als sie im selben Alter, schindet bei unseren Arbeitgebern keinen Eindruck. Bei ihnen gelten wir als Generation, die viel gesehen, aber wenig verstanden hat. Vielleicht nicht ganz zu unrecht.

Als sie damals ihr Studium anfingen, war das Fach nicht so wichtig. Man belegte ein paar Semester Psychologie, setzte sich aus Interesse in eine Vorlesung über schwarze Löcher, schrieb in ein paar Nachtschichten die Diplomarbeit. Ein Studienwechsel war kein großes Drama. Gemütlich tuckerte man dem Abschluss entgegen, konnte umsatteln oder für ein paar Semester aussteigen und kellnern.

Mein Studium war ein Direktflug. Aussteigen war nur was für ganz Mutige, eine Art Fallschirmsprung. Sitzt du einmal im Flieger, ziehst du’s auch durch. Manchmal finde ich es gruselig, dass mein 20-jähriges Ich entschieden hat, was ich für den Rest meines Lebens machen soll. Ich habe damals meine Haare mit Wasserstoff blondiert und wollte ein Steißbein-Tattoo. Der Computer im Arbeitsamt prophezeite mir eine Zukunft als Landschaftsgärtnerin – vermutlich weil ich angab, gern im Freien zu sein. Was ist, wenn ich damals auf ihn gehört hätte?

Als der letzte Uni-Hefter im Karton verstaut ist, bleibt nur noch ein Ordner aus der Schulzeit im Regal: Artikel, die ich damals für die Lokalzeitung geschrieben habe. Ganz oben ist ein Text aus dem Jahr 2007, kurz nach dem Abi-Ball: „Was sollen wir nur wollen?“, heißt er. Die Unterzeile: „Die Oberstufe lehrt viel. Aber nicht, Entscheidungen zu treffen.“ Auf dem Foto hält ein wasserstoffblondes Mädchen eine Kiste mit aussortiertem Abi-Krempel in die Kamera. Und zwischen prätentiös-nostalgischen Zeilen, die man nur mit 20 schreiben kann, versteckt sich dieser Satz: „Wir haben den Abschluss in der Hand. Jawohl, jetzt haben wir es geschafft, denken wir, atmen erleichtert auf und merken dann, dass wir längst nicht am Ziel sind. Der Zettel ist nur die Fahrkarte in den nächsten Lebensabschnitt. Fahrtziel: Unbekannt.“

Vor der Entscheidung ist nach der Entscheidung. Und egal, wie viel Zeit man hat, um sie zu treffen: Sie scheint immer zu knapp.

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