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Kolumne: Elena Senft schaltet nie ab: Wie ich zum Postamt wurde

Unsere Kolumnistin kennt alle Paketzusteller ihrer Straße, denn ständig muss sie für ihre Nachbarn Päckchen entgegen nehmen. Doch seit sie regelmäßig joggen geht, hängt der Haussegen schief.

In aufdringlicher Fernsehreklame werben Unternehmen dafür, ihre Produkte unkompliziert und schnell online zu bestellen und sie dann – im Falle des Missfallens – noch schneller und noch unkomplizierter, da versandkostenfrei, wieder loszuwerden. Kein Problem also, wenn man erst zu Hause bemerkt, dass das günstig erstandene Tassenset deswegen so günstig war, weil es für Puppen gemacht ist und nicht für Menschen. Diese Rechnung geht nicht auf. Denn jeder weiß, der komplizierte Teil beim Zurücksenden von Waren besteht nicht in der Frankierung des Pakets, sondern darin, dass man kein Klebeband zu Hause hat, um das in wonniger Vorfreude ungestüm aufgerissene Paket wieder zu verschließen – und im Gang zum Postamt.

Da ich aus diesen Gründen fast nie etwas online bestelle, bekomme ich auch so gut wie nie ein Paket, seitdem ich neben einem Buchladen wohne nicht mal mehr Büchersendungen. Auch das stimmt so nicht. Denn ich bekomme so gut wie jeden Tag Pakete geliefert, sie sind nur nie für mich, sondern für meine Nachbarn, zu denen eine schwergradig Kaufsüchtige und ein Ebay-Power- Buyer zählen. Alle Nachbarn sind berufstätig. Nur ich arbeite von zu Hause. Das führt dazu, dass alle Pakete, die einen Bewohner dieses Hauses erreichen sollen, bei mir landen.

Ich bin ein Postamt. Ich habe ein Sideboard meines Flurs freigeräumt, um dort die eingehenden Pakete zu lagern und zu ordnen. Klingelt der berufstätige Nachbar abends, öffne ich grimmig, nicke wissend und schlurfe dann ins Hinterzimmer wie eine Postangestellte und krame unmotiviert nach dem Paket. Dieses händige ich dem Nachbarn wortlos und mit erneutem Kopfnicken aus und schließe die Tür. Freunde wundern sich oft, dass ich die Paketzusteller meiner Straße kenne und mich einige von ihnen mit Handschlag grüßen.

Nun hat der Luxus meiner Nachbarn ein Ende. Denn ich gehe seit zwei Wochen mittags joggen, weil ich zu dieser Zeit für gewöhnlich meinen konditionellen Höhe- und meinen Konzentrationstiefpunkt erreiche. Außerdem kann ich seit Kurzem mit meinem Handy die zurückgelegte Strecke messen und mich von einer Computerstimme motivieren lassen, was etwas albern ist, aber meine Motivation beflügelt.

Leider sind nicht alle so begeistert vom neuen Trainingsprogramm wie ich. Elf Mietparteien sind sogar richtig sauer darüber, dass ich jetzt Sport mache. Ich sehe die Nachbarn, wie sie morgens das Haus früher verlassen, um zur Post zu hetzen, oder was sie spät abends gebückt nach Hause schleppen, nach einem zermürbenden Schlangestehen im Postamt. Ich rechne täglich mit einer Unterschriftenaktion, die mich zwingt, mein unvergütetes Gewerbe wieder aufzunehmen, damit die Mieterschaft weiter alles im Internet kaufen kann.

Mein Stimmungsumschwung kam letzte Woche. Ich tätigte einen Kleiderkauf im Internet, da ich eine lang bewunderte Tunika einer sehr edlen Marke fand, die zu einem Bruchteil ihres ursprünglichen Preises verkauft wurde. Feixend erstand ich das undehnbare, feststoffige Stück. Als es ankam, zog ich es mit dem verbissenen Befehl über, dass es passen müsse – gegen Widerstände von Busen und Bauch. Es war schwierig, aber es klappte. Als ich mich ansah, saß es, als hätte man mich hineingeschossen. Ich begann zu schwitzen und Beklemmungspanik zu bekommen. Und es bestand nicht die geringste Chance, das Kleidungsstück wieder über den Kopf zu ziehen.

Es wäre ein Debakel gewesen, wäre mir das in einer Umkleidekabine passiert. In der Anonymität des Internetshoppings schnitt ich mich mit der Küchenschere aus meiner Tunika. Zurückschicken ging danach natürlich auch nicht mehr. Dabei hätte ich Klebeband gehabt.

An dieser Stelle wechseln sich ab: Elena Senft, Moritz Rinke, Christine Lemke-Matwey und Jens Mühling.

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