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SA marschiert in der Serie „Babylon Berlin“

© dpa / Foto: Frederic Batier

Mehr und mehr 20er-Jahre-Stoffe im TV: Zwischenkriegsparty

„Babylon Berlin“, Runde vier: soziokulturelles Historytainment – oder ein Versuch, Deutsche besser darzustellen, als sie waren

Es ist Herbst, das Laub fällt, die Inzidenz steigt, draußen wird es nicht nur klimatisch, sondern politisch kälter. Und was macht das Pay-TV Sky? Geht rein ins Warme und feiert Silvester, als sei die Welt vorm Festsaal in Ordnung! Trotz Armut, Nazis, Inflation tanzen die oberen Zehntausend nach 15 Minuten der vierten Staffel „Babylon Berlin“ ins Jahr 1931 und Folge drei ist kaum älter, da steigt schon die nächste Party. Besser: ein Rave der unteren Millionen. Ekstase im Dauerkrisenmodus. So zelebrieren Sky und das Erste seit 2017 mit opulenter Hingabe die Weimarer Republik.

Berlin: arm, aber sexy verelendet

Während Berlin auch da schon arm, aber sexy verelendet, zoomt die Kamera ins Moka Efti, wo Polizistin Ritter (Liv Lisa Fries) an einem Tanzmarathon teilnimmt, während Kollege Rath (Volker Bruch) mit der SA marschiert. Epische Einstellungen lang bebt das Berghain der Zwischenkriegszeit zum retrofuturistischen Swing einer heutigen Band namens Meute. Wenn der Conférencier (Peter Jordan) „Willkommen im Sündenpfuhl“ in jene entfesselt Tanzenden hineinruft, meint er also nicht nur den Spaßtempel der ersten drei Staffeln, sondern gleich die Epoche im Ganzen.

Denn das Deutsche Reich der halb realen Epoche, es hat uns etwas Wichtiges zu sagen: Wir waren, wir sind gar nicht so! So sittenstreng autoritätshörig nämlich, so knobelbechergrob tugendhaft, so obrigkeitsstaatlich uniformiert, von antisemitisch, nationalistisch, bellizistisch ganz zu schweigen. Im Grunde, das suggerieren solche Milieufiktionen seit Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“, sei der gefügige Anstand unserer Großeltern bloß ein Kind widriger Umstände. Zwei Weltbränden etwa, die „Babylon Berlin“ auch weiterhin als Schraubzwingen der Fernsteuerung dienen.

Um nicht missverstanden zu werden: Was Tom Tykwer, Achim von Borries, Hendrik Handloegten abermals aus Volker Kutschers Literatur machen, ist für hiesige Verhältnisse absolutes Highend-Historytainment – dafür sorgt ja schon ein Personal, das X-Filme, Beta, Sky, Degeto bis in die kleinsten Gewerke hinein erstklassig besetzen. Abseits einiger Ausnahmen wie „Bad Banks“ oder „4 Blocks“ ist diese Art Look & Feel hierzulande noch immer so selten wie Zeitgeschichte der Nuller ohne Veronica Ferres oder Heino Ferch.

„Eldorado KaDeWe - Jetzt ist unsere Zeit“. Jugend ohne Gott, aber im Rausch der Zeit.
„Eldorado KaDeWe - Jetzt ist unsere Zeit“. Jugend ohne Gott, aber im Rausch der Zeit.

© obs / Foto: David Lukacs

Wer „Babylon Berlin“ in 140 Ländern sieht, der wird also hervorragend unterhalten. Aber wird er auch gut informiert? Das Studienfach (massen-)medial vermittelter Feierabendbildung nennt sich „Public History“ und wird zwar nicht an Universitäten gelehrt, klopft die inneren Werte retrospektiver Fiktionen aber auch inoffiziell sorgsam auf Akkuratesse ab. Revisionistische Opfer-Täter-Wechsel, wie sie Guido Knopp zwischen Wende und Sommermärchen mit einer Handvoll Nazis im Millionenheer Widerstandskämpfer salonfähig machte, ist heutzutage schwer vermittelbar. Bei „Babylon Berlin“ war sich die linksliberale Friedrich-Ebert-Stiftung mit der stockkonservativen „NZZ“ daher einig: über den Inhalt könne man streiten, aber Kostüm, Kulisse, Kontext seien geschichtswissenschaftlich plausibel und ideologisch neutral. Doch das erklärt den Sog dieser – als goldig verklärten – Jahre so wenig wie der publikumswirksame Mix aus Karneval und Krimi, mit dem schon Marvin Krens Sat1-Spektakel „Mordkommission Berlin 1“ Ende 2015 als Testballon für „Babylon Berlin“ in den Quotenhimmel stieg.

Für endgültige Anziehungskraft sorgt vom Börsencrash bis zur Machtübernahme ein feuchtfröhlicher Hedonismus, mit dem wir uns der eigenen – leider, leider – oft abgewürgten Freiheitsliebe versichern. Von wegen toxische Sekundärtugenden als Steigbügelhalter für Hitlers Helfer: eigentlich, lautet der Subtext solcher Serien, wollten auch Deutsche doch nur ein bisschen von jenem Spaß, den uns erst Wilhelm, dann Adolf verwehrt haben! Selbst 1931, als die nationalsozialistische Allmachtsfantasie längst Besitz vom babylonischen Berlin ergreift, schwofen sich bis aufs anschwellende Braunhemdenheer viele schnell noch mal Herz, Hirn, die Seele aus dem Leib. Und wie sie das tun!

Auch in den ersten 28 Episoden blieb das Schattige, Dreckige, Kriminelle der Roaring Twenties zwar alles andere als unterbelichtet. Am Ende aber diente all dies doch nur als Bühnenbild einer opulenten Sause. Und wer dazu noch all die anderen Realfiktionen der jüngeren Zeit betrachtet, könnte die zwölf diabolischen Jahre danach, statt der zwölf wilden zuvor als Kontinuitätsbruch definieren. Ende 2021 reduzierte das expressionistische ARD-Drama „Eldorado KaDeWe“ seinen Standort schließlich zur subkulturellen LGBTQ-Zone, die das „Haus der Träume“ bei RTL+ vor drei Wochen sogar ganz ohne Antisemitismus bejubeln ließ.

Vorigen Montag dann zog die realfiktionale Love Parade weiter ins „Weiße Haus am Rhein“. Ein gut belegtes Luxushotel, in dem die Bösen 1918ff abgesehen von einer Handvoll deutscher Alibi-Rassisten vornehmlich französische Besatzer waren. Bevor Erstere den Spieß 20 Jahre später umdrehen, feiern sie alle aber noch der düsteren Zukunft entgegen und laden - noch so ein Fetisch aus Grimms Weimarer Märchen – die LGBTQ-Gemeinde zum Tanz oder verpaaren deutsche Mädels mit schwarzen Jazzern.

Auch das hat es gegeben, gewiss. Allerdings am äußeren Rand einer Gesellschaft, die in den Zwanzigern eher um warme Mahlzeiten als Endorphinschübe kämpfen musste. Während das Fernsehen dafür bloß Dokumentarplätze übrig hat, macht „Babylon Berlin“ leichtgläubigen selbst 1931 noch weiß, wie elegant, lässig und cool wir alle doch wären, wenn Hitlers (wenige) Helfer uns nicht so fies dazwischengefunkt hätten.

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