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Ungewohnt mystische Atmosphäre für einen „Polizeiruf“: Ärztin Peggy Sasse (Yvonne Johna) leitet die Trauerzeremonie für die Ermordete.

© MDR/filmpool fiction/Conny Klein

Wenn der „Polizeiruf 110“ im Harz spielt : Hexen-Mythos und Männer-Wahn

Claudia Michelsen ermittelt im „Polizeiruf 110“ zu Halloween vor mystischer Kulisse am Fuße des Brockens.

Am Abend vor dem Abend vor Allerheiligen lässt auch die ARD die Hexen los. Die Magdeburger „Polizeiruf“-Kommissarin Doreen Brasch (Claudia Michelsen) verschlägt es wegen eines grausamen Mordes in den Harz, an den Fuß des Brockens. Hexen sind hier zwar aus touristischen Gründen an den Tagen rund um die Walpurgisnacht (30. April) oder auch an Halloween ausgesprochen willkommen.

In der Episode „Hexen brennen“ treffen sich einige Frauen im fiktiven Thalrode allerdings jeden Freitagmorgen zu einem heidnisch-esoterischen Ritual. Die dabei heraufbeschworene „weibliche Urkraft“ scheint die örtliche Männerwelt gehörig in Aufruhr zu versetzen. Eine der „Hexen“, Tanja Edler, deren Mutter Stefanie (Gabriela Maria Schmeide) mehrere Hotels und Restaurants in Thalrode betreibt, wurde gefoltert, getötet und anschließend verbrannt.

Dass selbstbewusste, starke Frauen auch noch im 21. Jahrhundert auf einem Scheiterhaufen landen können, war schon im September im SWR-„Tatort – Das Verhör“ das traurige Leitmotiv. Im Harz gibt es dazu den passenden Ort, und so kann das Szenenbild (Frank Polosek) aufbieten, was die Hexen-Folklore so hergibt: Zeichen schwarzer Magie an Fachwerkhauswänden etwa, die aussehen wie eine verunglückte Wanderweg-Beschilderung. Oder rätselhafte Bastelarbeiten aus Zweigen, Schnüren und Federn, die das keltische Samhain-Fest schmücken – Ursprung des von irischen Einwanderern in den USA gepflegten Halloween-Brauchs.

Der „Spanische Stiefel“ im „Hexenladen“

Ein wunderbar schummriger Ort voller Eigentümlichkeiten ist insbesondere der „Hexenladen“ von Paul Kopp (Helgi Schmid). Der schlaksige junge Mann hat das Erbe seines dementen Vaters Georg (Hermann Beyer) angetreten und kann den Folterspuren an Tanja Edlers Leiche auch sogleich das entsprechende Instrument zuordnen. Einen „Spanischen Stiefel“ entdeckt Kommissarin Brasch später auch im Laden-Fundus. Ob das Kopp nun besonders verdächtig oder im Gegenteil eher unverdächtig macht, sei dahingestellt.

Das schauspielerische Glanzlicht setzt die vielseitige Gabriela Maria Schmeide („Tina mobil“, „Systemsprenger“, „Mittagsstunde“), die die trauernde Mutter des Opfers mit enormer Intensität spielt. Stefanie Edler ist verzweifelt und verbittert, auch hart sich selbst gegenüber – eine derart unglückliche Frau, dass sie den Verbrennungsschmerz, den ausgedrückte Zigaretten verursachen, gar nicht mehr spürt. Tochter Tanja sollte ihr Erbe antreten.

Nun ist da nur noch Reiko (Pit Bukowski) übrig, der ungeliebte erstgeborene Sohn, der nach Ansicht der Mutter nicht nur in der Küche des Hotel-Restaurants versagt. Aber in einem sind sich beide einig: Der Mörder muss ein Tourist sein. „Hier gibt’s keinen, der so was macht“, sagt Reiko. „Den gibt’s nirgendwo“, kontert die Kommissarin sarkastisch.

Doreen Brasch erweist sich auch auf dem ungewohnten Harzer Hexen-Terrain als sattelfest. Einerseits erdet sie als auswärtige Ermittlerin den Film mit seiner ungewohnt mystisch aufgeladenen Atmosphäre (Kamera: Eeva Fleig). Sie glaube nicht an Hexen, sagt Brasch nüchtern, „aber ich glaube an jemanden, der an Hexen glaubt“.

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Andererseits ist es charmant, wenn die Kommissarin dann doch mal übersinnliche Unterstützung erfährt – sozusagen weibliche Solidarität von zwei geheimnisvollen Mädchen, die durch die Gegend streifen, als wären sie Verwandte von Bibi Blocksberg, nur ohne Besen. Dieser Anflug magischer Leichtigkeit tut der Inszenierung von Regisseurin Ute Wieland nach einem Drehbuch von Wolfgang Stauch gut.

„Der Ort hat eine merkwürdige Energie“, spürt auch Braschs Vorgesetzter, Kriminalrat Uwe Lemp (Felix Wörtler), nachdem er nach einem zweiten Mord zur Verstärkung in Thalrode eingerückt ist. Diesmal wird die Ärztin Peggy Sasse (Yvonne Johna), die furchtlose Anführerin des Samhain-Kreises, getötet. Bei der Trauerfeier für Tanja Edler gab sie der jungen Pastorin (Kathleen Morgeneyer) beherzt Contra und nannte Gott einen „Waschlappen“. Glaubenskrieg? Oder doch Geschlechterkampf?

Während Sasses Wartezimmer voll war, wartete Kollege Hans Petersen (Michael Schweighöfer) vergeblich auf Patienten. Geschieht ihm recht, denn Petersen ist der unangenehm laute Männer-Typ, der um seine Privilegien fürchtet und (nicht nur) am Stammtisch gegen Frauen hetzt – eine treffend boshafte Karikatur. Den alten Hexen-Mythos und den real existierenden Männer-Wahn miteinander zu verknüpfen, ist natürlich keine wirklich neue Idee, hat aber leider immer noch seine Berechtigung. „Polizeiruf 110 – Hexen brennen“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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