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Bangt um das Leben ihres Kindes: Dorit Canetti (Aninna Butterworth) am Bett von Klara (Anouk Petri), der das neue Medikament mehr schadet als hilft.

© SRF/Sava Hlavacek

Unangepasst und eigenwillig: Warum sich auch dieser „Tatort“ aus Zürich lohnt

Mit Risiken und Nebenwirkungen. Der Zürcher „Tatort“ zeigt die kalte Welt der Pharma-Industrie.

| Update:

Es ist ein ganz spezielles Bild, wie das Einer-Kanu über den weiten Zürichsee dahingleitet, ringsumher keine Boote, die Wasseroberfläche ist glatt, das Panorama paradiesisch. Es ist Kommissarin Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher), die darin sitzt und den Einer am Morgen über den See bringt. Nahezu nichts ist zu hören.

Nur die Geräusche des Wassers. Da klingelt das Smartphone. Am Seeufer ist eine Frauenleiche gefunden worden – sie sei gleich da und zieht den Einer über die Wasseroberfläche. Dieses Bild der kanufahrenden Kommissarin soll sich später noch einmal wiederholen. Es steht im Kontrast zu der kalten seelenlosen Welt, in der sie und ihre Kollegin Tessa Ott (Carol Schuler) in ihrem neuen Zürcher „Tatort“ ermitteln sollen.

„Risiken mit Nebenwirkungen“ – wie zuvor schon „Schattenkinder“ von Regisseurin Christine Repond erneut nach einem Drehbuch von Stefanie Veith und Nina Vukovic in Szene gesetzt – taucht ein in eine profitorientierte Welt der Pharma-Industrie: Die Tote im See ist die Anwältin Corinne Perrault (Sabine Timoteo), die mit ihren Kollegen der großen Edel-Kanzlei Clement & Widmer das Pharma-Unternehmen Argon vertritt.

Argon steht kurz vor dem Launch des Medikaments Volmelia, einem millionenschweren Unterfangen, wenige Schritte nur trennen es noch von seiner Freigabe auf den Markt. Viel hängt davon ab. Gerade auch für die junge aufstrebende Dr. Regula Arnold (Laura de Weck), die mit an der Entwicklung des Medikaments beteiligt ist.

Doch etwas stimmt nicht: Volmelia hat in der Testphase ganz offenbar ganz erhebliche Nebenwirkungen gezeigt, deren Bekanntwerden eine Zulassung vereiteln würde. Die junge Klara Canetti (Anouk Petri) ist eine der Testpersonen. Sie sitzt im Rollstuhl, eine seltene Krankheit schränkt sie sehr ein, Volmelia hat alles verschlimmert. Klaras Mutter, Dorit Canetti (Annina Butterworth), hat Argon daraufhin verklagt.

Ein neuer Fall für Kommissarin Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zürcher) und ihre Kollegin Tessa Ott (Carol Schuler).  Der „Tatort: Risiken mit Nebenwirkungen“ läuft am Sonntag um 20 Uhr 15 in der ARD.
Ein neuer Fall für Kommissarin Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zürcher) und ihre Kollegin Tessa Ott (Carol Schuler). Der „Tatort: Risiken mit Nebenwirkungen“ läuft am Sonntag um 20 Uhr 15 in der ARD.

© SRF/Sava Hlavacek

Die Welt, die Grandjean und Ott hier betreten, ist kühl, leer und stylish. Der Profit und die Gewinnmarge zählt. Allen steht die Gier nach dem Mehr ins Gesicht geschrieben. Mit dem teuren neuen Medikament ließen sich Millionen machen, nichts darf mehr die Zulassung gefährden. Und alle, ob im Konzern oder in der alerten Kanzlei, wollen ihre Anteile, ihre Vorteile sichern. Der Fall Canetti ist dabei der störende Sand im Getriebe.

Kühl und klar und grau gehalten sind entsprechend die Bilder dieses neuen Zürcher „Tatorts“ (Kamera: Simon Guy Fässler). Es gibt keine warmen Töne darin, nichts Helles, nichts Freundliches. Fast.

Der Mutter wird Schweigegeld angeboten

Gebrochen wird diese Atmosphäre einerseits durch die Kanu-Fahrten auf dem See, andererseits durch Grandjeans Annäherung an die junge Klara Canetti, die zu der Kommissarin Vertrauen schöpft und sich in einigen wenigen Momenten öffnet. Denn ihr und ihrer Mutter wurde Geld geboten, sehr viel Geld, damit nichts an die Öffentlichkeit gelangt und das Medikament auf den Markt kommen kann.

In diesen Sequenzen zwischen Ermittlerin Isabelle Grandjean und Testopfer Klara wird ganz en passant auch eine weitere Seite Grandjeans miterzählt, als sie vor der Jugendlichen in deren Zimmer mal eben kurz französischen Rapp zum Besten gibt – was ganz zum Schluss, im letzten Bild, zusammen mit Kollegin Tessa Ott nochmal wiederholt wird. Da kommt, kurz nur, eine ganz andere Seite der sonst so beherrschten Grandjean durch: Ein leichtes, spielerisches Element. Der coolen, weniger beherrschten Kollegin Ott gefällt’s.

„Risiken mit Nebenwirkungen“ lässt lange offen, wer hinter dem Tod der Anwältin steckt und auch, wer im Laufe des Falls noch einen zweiten Mord begeht. War es jemand vom Pharma-Konzern? War es jemand aus der gelackten Edel-Kanzlei? Die Narration entwickelt immer neue Verdächtige, und nicht immer trägt der Spannungsbogen diesen etwas spröden Fall durchgehend.

Aber das macht rein gar nichts. Denn Anna Pieri Zuercher und Carol Schuler in ihren erst im Herbst 2020 in Zürich neu etablierten „Tatorten“ zuzusehen – „Risiken mit Nebenwirkungen“ ist seit dem Auftakt „Züri brännt“ der nunmehr vierte –, das ist es, was zählt: Zürich hat sich binnen kurzer Zeit zu einem der interessantesten, eigenwilligsten und unangepassten Formate entwickelt. Da ist jeder neue Fall sehenswert. Unbedingt.

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