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Soziale Kümmerin. Tommy (Jonathan Berlin) wehrt sich gegen Marthas (Senta Berger) gut gemeinte Einmischung.

© NDR/Andrea Hansen/Jan Raiber

ARD-Film mit Senta Berger: Prügel und Piano

Soziale Kümmerin trifft erloschenen Boxtrainer. Das ARD-Drama „Martha & Tommy“ mit Senta Berger spekuliert auf die Magie der Gegensätze.

Vermisstentreffen pensionierter Serienstars. Da ist sie: Senta Berger. Willkommen. Dieser allwissende Augenaufschlag, wie wir ihn aus der wunderbaren Beamten-Jagd-Reihe „Unter Verdacht“ kennen. Willkommen, diese vornehme Verbitterung. Willkommen, dieser Heldenkampf gegen Altersmüdigkeit. Doch, schluck. Es fehlt was. Senta Bergers Wehrhaftigkeit. Das „Martha & Tommy“-Buch von Holger Karsten Schmidt und die Regie von Petra K. Wagner verzichten auf die Waffen der Ironie, die diese Schauspielerin wie kaum eine andere führen kann, besonders wenn es gegen Amigo-Schweinereien geht.

Und Uwe Kokisch, der abgeschaffte Serienmagnet Commissario Brunetti, muss als Boxerstallbesitzer Max auf St. Pauli im Trainingsanzug auftreten, ohne Sonnenbrille, ohne virile Eleganz. Am Schweißstrom seiner Schützlinge statt auf venezianischen Kanälen. Kein intelligenter Dialog, der über Alterserschöpfung hinweghilft. Soziale Kümmerin trifft erloschenen Boxtrainer – viel zu dürftig für Schauspielstars wie diese („Martha und Tommy“, Mittwoch, ARD, 20 Uhr 15).

Dabei hätte „Martha und Tommy“ wegen seiner höchst spekulativen Story mehr von der Kunst der Alten gebrauchen können. Senta Berger hat in „Unter Verdacht“ wunderbar diskret die Tragödie einer Mutter gezeigt, die sich am Unfalltod ihres Kindes schuldig fühlt.

Hier gibt es eine vergleichbare Konstellation. Marthas Tochter hat sich das Leben genommen, aber jene nicht genug schauspielerischen Raum für die Verzweiflung eines alten Menschen, mit echter oder vermeintlicher Schuld fertigzuwerden.

„Martha und Tommy“ tischt lieber abgehangenen Ödipus auf. Die Kummerkastenwohltäterin Martha, pensionierte Ärztin, begegnet Tommy Skagen (Jonathan Berlin) samt dessen kleinem Bruder Winnie (Emile Cherif). Dieser Brudervater Tommy ist eine kummerstolze Figur. Wie aus dem James-Dean-Museum. Allergisch gegenüber allen, die sich wie Martha ihm und Winnie mütterlich nähern wollen. Kein Wunder, er wurde Opfer väterlicher Gewalt.

Der Vater forscht dessen Lebensumstände aus

Sein hochberühmter, aber grenzenlos ehrgeiziger Pianistenvater (Peter Lohmeyer) hat ihn am Klavier gnadenlos gedrillt. Dann wurde der grausame Alte gegen die Mutter gewalttätig und im Suff irgendwie am Tod seiner Frau schuldig. Er hat eine Haftstrafe wegen Totschlags abgesessen. Bruder nahm unterdessen Brüderchen bei der Hand. Sie zogen in die Welt, allerdings in kein Märchen.

Der entlassene Pianotyrann will das Sorgerecht für seinen jüngeren Sohn von seinem älteren Sohn Tommy zurückklagen. Der Vater forscht dessen Lebensumstände aus. Die überdrechselte Story kommt so richtig in Wallung.

Der Brudervater Tommy verdient – was auch Kümmerin Martha zuerst gar nicht gemerkt hat – sein Geld mit illegalen Martial-Arts-Kämpfen, mit allem, was der Körper zum Verletzen des Gegners bietet. Das Kinostück „Fight Club“ mit Brad Pitt hat von dieser Viecherei erzählt wie der Dortmunder „Tatort: Tod und Spiele“. „Martha und Tommy“ (Kamera: Peter Polsak) kann gar nicht genug kriegen von der Keilerei in Kaschemmenkäfigen, saftigen Bildern von Blut, von geplatzten Lippen, von perversen Zuschauern.

Nur so schält sich für das TV-Stück der Gegensatz heraus, auf den es ihm ankommt. Hie die Gewalt, die Körperlichkeit, die alles preisgibt, die nicht lügen kann, die klärende Macht des einen entscheidenden Schlags, dort die Täuschung des schönen Scheins der Musik, der Pianozauber, den Tommy zur Überraschung und Rührung von Martha noch immer hervorrufen kann.

Das Vateropfer Tommy glaubt an die Gewalt, Martha nicht. Sie darf seiner faschistoiden Begeisterung mit begriffslosen Muttergefühlen begegnen, nicht mit luzider Ironie. Dabei sind Schläge nicht ehrlicher als Noten. Wer je Beethovens „Mondscheinsonate“ zu Ende gehört hat, entdeckt: Hinter dem melancholischen Zauber des Anfangs offenbart sich zum Finale große Wut. Musik ist kein Narkotikum. Umgekehrt löst Gewalt nichts. Die Bilder von Blut und Nähe wirken in diesem vorcoronal entstandenen Film erst recht wie ein unreifer und abschreckender Atavismus.

Tommy wendet sich dem Klavier zu, Martha akzeptiert den Tod der Tochter und ihr Freund kann nur noch von Venedig träumen.

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