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Ermittelt im Alleingang: Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler)

© NDR/Christine Schroeder

Interview mit Maria Furtwängler: „Wir hatten auch unsere Krisen“

Schauspielerin Maria Furtwängler über die Charlotte Lindholm, Wikipedia, Fingerspitzengefühle, Femizide und 20 Jahre „Tatort“

Frau Furtwängler, Ihr Jubiläums-„Tatort“ nach 20 Jahren im niedersächsischen Fernsehpolizeidienst scheint sich bewusst auf dünnem Eis zu bewegen.
Ah, ja?

Es geht um Frauenmorde und Geflüchtete als Verdächtige. Haben Stefan Krohmer und Daniel Nocke das in Zeiten rechtspopulistischer Spaltung bewusst gewählt?
Im Sinne von: Weil sie die Spaltung vertiefen wollen, sicher nein. Das hätte niemand von uns mitgemacht, da können Sie sicher sein. Was die Ausarbeitung und Umsetzung betrifft, müssten Sie Stefan Krohmer und Daniel Nocke direkt fragen. Ausgangspunkt für die NDR- Redaktion war ein realer Fall, der diesem „Tatort“ zugrunde liegt.

2016 in Freiburg.
Als Ausgangspunkt. Wichtig ist, mit wieviel Fingerspitzengefühl man potentielle Vereinnahmung von der falschen Seite angeht. Das war uns allen jederzeit bewusst. Auch weil es fatal wäre, den Eindruck zu erwecken, diese Art Verbrechen sei erst durch andere Kulturen nach Deutschland gekommen oder verstärkt worden. Vergewaltigung und Mord an Frauen sind in unserer Gesellschaft schon immer präsent, und die Täter sind primär im sozialen Umfeld verortet. Alle zweieinhalb Tage wird hierzulande eine Frau vom Partner oder Ex umgebracht.

Die Soziologie spricht von Femizid.
Und der ist nicht importiert, sondern ein dramatisches Nebenprodukt patriarchaler Strukturen, die es bei uns ebenso gibt wie überall sonst in der Welt. Machen wir uns also nichts vor: Von Millionen Geflüchteten sind die allermeisten achtbare Menschen. Aber genauso wie zu uns Biodeutschen eben auch Verbrecher jedweder Couleur gehören, gibt’s die auch unter denen, die vor Krieg, Hunger oder dem Klimawandel fliehen.

Ein Opfer ihres 30. „Tatort“ sagt dazu, jede Kultur bringt ihre Arschlöcher hervor.
Und das auszusparen wäre ähnlich falsch, wie unsere Willkommenskultur zu diskreditieren.

Arbeitet „Die Rache an der Welt“ Versäumnisse von 2015 auf, als über syrische Flüchtlinge im Angesicht rechtspopulistischer Abwehr vor allem positiv berichtet wurde?
Nein. Das ist nicht die Aufgabe eines Sonntagabendkrimis. Davon abgesehen hat sich die Berichterstattung über Geflüchtete ab 2016 bereits stark ins Negative verschoben. Und in diesem Kontext von Versäumnissen zu sprechen, scheint mir generell nicht passend.

Haben Sie bei der Auswahl Ihrer Rollen generell das Bedürfnis, auch etwas gesellschaftlich Relevantes zum Ausdruck zu bringen?
„Tatorte“ sollen, dürfen und wollen keine Debattenbeiträge sein. Klar haben wir die Chance, aktuelle Ereignisse aufzugreifen, aber doch nicht als politisches Statement, sondern als Bezugsrahmen. Für die Inhalte sind zwar Redaktion, Buch und Regie verantwortlich, ich hatte jedoch im Vorfeld durchaus Diskussionen mit dem NDR über das Narrativ, also warum wir schon wieder aus der Perspektive männlicher Täter statt der des weiblichen Opfers erzählen.

Mit welchem Ergebnis?
Dass wir nächstes Jahr ein Fernsehspiel machen, in dem genau das zum Tragen kommt. Man muss nicht in jedem „Tatort“ jede Perspektive erzählen, aber in Summe müssen diverse Perspektiven eröffnet werden. Nicht zuletzt dafür setze ich mich auch mit meiner Stiftung ein.

In der Sie mit Ihrer Tochter Lisa Gleichberechtigung fördern. Sind Sie als Schauspielerin immer MaLisa-Botschafterin?
Dagegen spricht schon unser Lindenberg-„Tatort“, ein Riesenspaß ohne Message. Dennoch bin ich mir der Wirkmacht von Bildern bewusst und versuche, Einfluss zu nehmen. Und das nicht nur, wenn es um die Darstellung von Gewalt geht, sondern Geschlechterfragen generell. Insofern: Ja, Fiktion kann vieles zu einer neuen Sichtweise beitragen, aber nicht aus eigener Kraft Probleme lösen. Und das gilt auch für Charlotte Lindholm.

Deren Wikipedia-Eintrag vier Seiten hat…
Nicht wirklich! Was steht denn da alles drin?

Eine Menge von Diebstählen als Kind bis zur Heirat eines weit älteren Mannes. Ist das aus den Fällen entstanden?
Das hat sich jemand früh ausgedacht, spielte aber bislang keine Rolle. Angeblich soll sie Jahrgang 1968 sein. Da Kommissarinnen mit 63 in Rente gehen, hab‘ ich noch ein paar Jahre mit ihr. Schließlich haben wir längst heimlich geheiratet (lacht). Ich erinnere mich, mit Euphorie, aber auch Naivität in den ersten Fall gestolpert zu sein und mir wer-weiß-was ausgedacht zu haben, was Charlotte alles kennzeichnet.

Da verstehe ich mich als Anwältin der Figur. 

Maria Furtwängler

Zum Beispiel?
Ach, dass sie außen ein bisschen trottelig ist und innen helle, so mit Miss-Marple-Hut. Der lag lange in der Requisite, aber die Regisseure meinten, Maria, lass den bitte liegen (lacht). Zum Glück! Eine Marotte von mir hat sich allerdings durchgesetzt: Dass sie stets ihr eigenes Kopfkissen ins Hotel bringt, das mach ich auch. Ansonsten ergibt sich meiste aus den Fällen, sollte schlüssig sein und nichts suggerieren, was sie nie täte – da verstehe ich mich als Anwältin der Figur.

Nur Anwältin oder auch Freundin?
Beides. Ein Zeichen dafür ist, dass wir dieselben, ausgelatschten Stiefeletten von Miu Miu tragen, die ich selbst mal mit zum Set gebracht habe, weil die so gut zu ihrer Jeans passen. Endlich reden wir mal über Fashion (lacht). Immer, wenn ich zuhause in Marias Regal gucke, stehen da also Charlottes Boots. Trotzdem hat sie ein Eigenleben, das von mir unabhängig ist. Etwa, dass sie überhaupt keine Teamplayerin ist.

Sie schon?
Unbedingt.

Geht sie Ihnen da manchmal auf den Wecker?
Klar. Wir hatten auch unsere Krisen. Aber nicht wegen der Figur an sich, sondern weil ich es nicht mag, mich zu wiederholen. Das führte hier jedoch nicht zur Trennung, sondern zu mehr Sorgfalt mit ihrer Darstellung und der Reduktion auf einen Fall pro Jahr. Seither liebe ich sie umso mehr.

Hat sich da in 20 Jahren einer der 30 Fälle besonders eingebrannt?
Zwei sogar. Einmal „Der Fall Holdt“, als sie selbst Opfer von Gewalt wurde.

… und 2019 zum Wechsel nach Göttingen führte.
Der war toll, weil ihr Leben aus dem Ruder läuft und offenlegt, wie brüchig ihre toughe Fassade ist. Eine Eigenschaft, die so genannte, ich hasse den Begriff, starke Frauen im Fernsehen selten zeigen dürfen. Und dann natürlich die Doppelfolge „Wegwerfmädchen“ und „Das goldene Band“.

Wieder Männergewalt gegen Frauen.
Das ich selber eingebracht hatte und entsprechend stolz drauf bin, wie eindringlich die Umsetzung und wie erfolgreich die Filme waren.

Lässt Sie so ein harter Missbrauchsstoff nach Drehschluss schnell wieder los?
Schwer, schon weil das Spielen ein intimer Prozess ist, auf den ich mich intensiv vorbereite und nach einer realen Emotionalität in mir selbst suche, was ich der Rolle persönlich geben kann. Aber „Wegwerfmädchen“ habe ich auch so lange rumgeschleppt, weil sie keine Abstraktion waren, sondern wirklich existieren.

Ist Ihre Stiftung vier Jahre später aus Arbeiten wie dieser entstanden?
Nein, der Impuls kam von meiner Tochter, nachdem wir mit den German Doctors, für die ich schon lange tätig bin, ein Schutzhaus für zwangsprostituierte Mädchen auf den Philippinen eröffnet hatten. Ich bin ihr sehr dankbar dafür, auch, weil sie zwei Generationen mit zwei Perspektiven auf Ungleichheit in diesem Land zusammenführt.

Sind Sie hauptberuflich denn eigentlich Schauspielerin oder Gleichberechtigungsaktivistin?
Ich spiele in Filmen, produziere sie, und ich blicke mit sehr wachen Augen auf Missstände und was sich dagegen unternehmen lässt. Ich bin, wenn sie so wollen, von Beruf vielseitig.

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