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Der Göttinger "Buback-Nachruf" von 1977. Der umstrittene Artikel (Titel: "Buback - ein Nachruf") in der Studentenzeitung "Göttinger Nachrichten" wurde von einem anonymen linken Studenten verfasst, dersich als sogenannter "Stadtindianer" verstand und sich nach einem Apachenstamm "Ein Göttinger Mescalero" nannte.

© Stengel

RAF-Terror: "Geo Epoche" irritiert mit verzerrtem "Buback-Nachruf"

Kann man sich über den Tod des von der RAF ermordeten Generalbundesanwalt Siegfried Buback wirklich freuen? Das Geschichtsmagazin „Geo Epoche“ verzerrt in einem Artikel den „Buback-Nachruf“ eines linken Studenten.

„Demokratie ist die schlechteste Regierungsform.“ Kein seriöser Journalist würde den früheren britischen Premier Winston Churchill allein mit diesen fünf Wörtern zitieren. Denn der Originalsatz von 1947 ging noch weiter: „... außer all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert wurden“. In Fällen wie diesen gilt: ganz oder gar nicht zitieren.

Nicht alle Medien halten sich an diese Devise. Die Zeitschrift „Geo Epoche“ erwähnt in ihrem neuesten Heft „Rote Armee Fraktion – Deutschland und der Terrorismus“ nebenbei auch den berühmt-berüchtigten „Göttinger Buback-Nachruf“ und zitiert ihn so bruchstückhaft, dass es an Geschichtsklitterung grenzt. Für Spätgeborene: 1977 ermordeten RAF-Terroristen den Generalbundesanwalt Siegfried Buback. Kurz danach schrieb ein linksradikaler Student in der Göttinger AStA-Zeitschrift einen Artikel, der monatelang die Öffentlichkeit und die Justiz in Atem hielt: „Buback – ein Nachruf“. Ein Pamphlet gegen den obersten Strafverfolger und andere Staatsorgane, aber auch gegen RAF-Terror.

226 Zeilen lang war der Text, doch die meisten Medien zitierten daraus immer wieder nur vier Zeilen: „Meine unmittelbare Reaktion, meine ‚Betroffenheit‘ nach dem Abschuß von Buback ist schnell geschildert: ich konnte und wollte (und will) eine klammheimliche Freude nicht verhehlen.“

„Absolut rohe, schäbige Sprache“

Das war nicht die einzige menschenverachtende Formulierung in dem Text. Doch was viele nicht zur Kenntnis nehmen wollten: Der anonyme Verfasser – er sah sich als „Stadtindianer“ und nannte sich nach einem Apachenstamm „Ein Göttinger Mescalero“ – blieb nicht bei seinen spontanen Gefühlsregungen stehen, sondern argumentierte letztlich auch gegen solche Gewalttaten: „Woher könnte ich, gehörte ich den bewaffneten Kämpfern an, meine Kompetenz beziehen, über Leben und Tod zu entscheiden?“ Weiter: „Unser Weg zum Sozialismus (wegen mir: zur Anarchie) kann nicht mit Leichen gepflastert werden.“ Und: „Um der Machtfrage willen (o Gott!), dürfen Linke keine Killer sein, keine Brutalos, keine Vergewaltiger, aber sicher auch keine Heiligen, keine Unschuldslämmer.“

Ähnlich wie die meisten Medien stürzte sich auch die Justiz nur auf die menschen- und staatsverachtenden Passagen, ohne die eigentliche Kernaussage zu berücksichtigen. Die Folge: Zwei verantwortliche AStA-Redakteure wurden wegen Verunglimpfung des Staates und des Andenkens Verstorbener zu jeweils 1800 D-Mark (920 Euro) verurteilt.

Der „Mescalero“ selbst, ein gewisser Klaus H., offenbarte sich erst 2001, als der Grüne Jürgen Trittin fälschlicherweise mit dem Pamphlet in Verbindung gebracht wurde. Da war alles längst verjährt. Klaus H., inzwischen Deutschlehrer für Ausländer, bedauerte die seinerzeit in linken Kreisen übliche „absolut rohe, schäbige Sprache“, beklagte zugleich, dass sein Text damals „verdreht, verstümmelt“ und für eine „SympathisantensumpfKampagne“ missbraucht worden sei.

Ohne Darstellung dieser Motive wirken sie wie Terrorsympathisanten

Fast vier Jahrzehnte sind seit der „Mescalero“-Affäre vergangen. Da sollte ein angesehenes Geschichtsmagazin eigentlich in der Lage sein, abwägend und sachlich über die Vorgänge zu berichten. Doch was macht „Geo Epoche“? Zitiert wieder nur die dahingerotzten Ergüsse gegen Buback und verliert nicht ein Wort über die Quintessenz des Artikels: die Verurteilung solcher Morde. Die Zeitschrift berichtet auch, dass der „Buback-Nachruf“ mehrfach von anderen Studentenzeitungen und sogar von 48 Hochschullehrern und Anwälten nachgedruckt wurde. Aber keine Zeile zu ihren Motiven. Nach eigenem Bekunden wollten die 48 Akademiker dokumentieren, was der „Mescalero“ wirklich geschrieben hatte, und einem „politischen Äußerungsverbot“ entgegentreten. Ohne Darstellung dieser Motive wirken sie wie Terrorsympathisanten. Aber das waren sie genauso wenig wie Churchill ein Demokratieverächter.

Sicher alles nur ein Versehen, oder? Nein, ist es nicht. Auf Nachfrage des Tagesspiegels schreibt der Geschäftsführende Redakteur: „Wir haben uns bewusst und in voller Kenntnis der Sachlage für die beiden von Ihnen beklagten ‚Auslassungen‘ entschieden.“ Denn die schlussendliche Gewaltdistanzierung des „Mescalero“ erscheine „angesichts der eindeutigen Formulierungen im vorderen Teil als Alibi-Erklärung“, zumal sie mit vielen Einschränkungen versehen und „recht konfus formuliert“ sei. „Sie nicht zu erwähnen, betrachten wir als legitime journalistische Gewichtung.“

Und das verschwiegene Motiv der Nachdrucker? „Auch hier gilt, dass wir uns das Recht vorbehalten, als irrelevant betrachtete Details nicht zu erwähnen.“

Der Autor arbeitete zu Zeiten des „Buback-Nachrufs“ als freier Journalist in Göttingen, auch für den Tagesspiegel.

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