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Obwohl die Gräuel der Hamas vom 7. Oktober umfassend dokumentiert sind, werden sie im Netz systematisch geleugnet und verharmlost. 

© Gestaltung: Tagesspiegel/freepik (2)

Drei Monate nach den Massakern des 7. Oktober: Versuchte Geschichtsfälschung im Zeitraffer

Obwohl die Gräuel der Hamas vom 7. Oktober umfassend dokumentiert sind, werden sie im Netz systematisch geleugnet und verharmlost. Das Ausmaß überrascht auch Experten.

Eine Kolumne von Sebastian Leber

Zivilisten? Wurden am 7. Oktober überhaupt keine getötet. Allerhöchstens aus Versehen. Oder weil israelische Soldaten sie erschossen. Oder weil Benjamin Netanjahu es genau so haben wollte...

Was mich an Lügen wie diesen am meisten erschreckt: von wie vielen Menschen sie geglaubt oder jedenfalls widerspruchslos hingenommen werden. Obwohl die Massaker der Hamas gerade drei Monate her und umfassend dokumentiert sind, obwohl die Faktenlage so eindeutig ist.

In den sozialen Netzwerken macht sich ein Nebel aus Desinformation, Desinteresse und schlichter Leugnung breit. Es ist der Versuch einer Geschichtsfälschung im Zeitraffer.

Anteil daran haben anti-israelische Aktivisten und Fake-News-Schleudern wie das Instagram-Projekt „Landpalestine“, das beispielsweise verbreitet, die 364 ermordeten Besucher des Nova-Festivals seien allesamt von israelischen Kampfhubschraubern getötet worden – und die israelische Regierung habe dies inzwischen offiziell eingeräumt. Beides ist grob unwahr, doch Zehntausenden gefällt’s.

Die Freude am Massakrieren Wehrloser

So komplex und verworren der Nahostkonflikt insgesamt sein mag, so furchtbar simpel waren die Ereignisse des 7. Oktober. Tausende Terroristen drangen aus Gaza nach Israel ein, ermordeten 1200 Menschen, großteils Zivilisten, und verschleppten 240 Geiseln. Es gibt keinen Deutungsspielraum, wer hier die Täter waren und wer die Opfer.

An diesem Tag haben die Hamas-Terroristen systematisch Jagd auf Zivilisten gemacht. Es bereitete ihnen Freunde, Zivilisten zu massakrieren. Das weiß man, weil sie sich selbst dabei filmten und die Aufnahmen ihrer GoPros später auf Telegram hochluden, wo diese von anderen gefeiert wurden und werden.

Auf den Videos sieht man die pure Begeisterung in den Gesichtern der Terroristen, während sie auf am Boden liegende, unbewaffnete, bereits verletzte Zivilisten losgehen. Ein Angreifer schlägt immer wieder mit dem Spaten auf den Hals eines bewusstlosen Mannes ein, ruft dabei jedes Mal „Allahu Akbar“. Ein anderer prahlt damit, wie viele Juden er binnen weniger Stunden eigenhändig ermordet habe. Sie jubeln beim Abschlachten Wehrloser, als sei dies der schönste Tag ihres Lebens.

Das sind die Menschen, von denen man jetzt in den sozialen Netzwerken lesen muss, es handle sich um „Freiheitskämpfer“ oder gar um „progressive Kräfte“, die als „Teil einer sozialen Bewegung“ anerkannt werden müssten.

Besonders auffällig ist der Eifer, mit dem Israel-Hasser Vergewaltigungen leugnen. Auch diese sind umfangreich dokumentiert. Dennoch argumentieren im Netz zuhauf Männer, sie glaubten den Berichten der betroffenen Frauen nicht, solange sie keine Filmaufnahmen dieser Vergewaltigungen gesehen hätten. In jedem anderen Kontext würden solche Äußerungen zurecht in Grund und Boden geshitstormt. Hier werden sie als legitime Einschätzungen akzeptiert.

Wie die Geiseln verhöhnt werden

Die freigelassenen israelischen Geiseln werden im Netz verhöhnt. Einer Frau, die im Fernsehen über ihre schlimmen Erfahrungen in Gefangenschaft berichtet, werden „Krokodilstränen“ vorgeworfen – und dass sie mit ihren Schilderungen als „weiße Frau“ öffentlich Furcht vor „nicht-weißen Männern“ schüren wolle. Andere unterstellen ihr, dass sie eigentlich vergewaltigt werden wollte.

Über eine verängstigte Neunjährige, die durch 50 Tage Geiselhaft in Händen der Hamas schwer traumatisiert wurde, wird auf X behauptet, dem Kind seien in Gefangenschaft „arabische Kultur und Gastfreundschaft“ beigebracht worden. Dieser abscheuliche Kommentar stammt nicht etwa von einem anonymen Internettroll, sondern von Ramsis Kilani, dem Sprecher der BDS-Truppe „Palästina Spricht“. Kilanis Gruppe hält den 7. Oktober für einen Tag, der gefeiert gehöre.

Man muss den Hamas-Oberen nur zuhören

Um die Terroristen zu aufrechten Freiheitskämpfern umzudeuten, ist es auch zwingend nötig, deren eigene Äußerungen nicht ernstzunehmen. Denn die Hamas-Oberen machen aus ihrer Barbarei und ihrem Todeskult ja gar kein Geheimnis. Sie sprechen offen aus, dass Juden in ihren Augen „dreckige Tiere“ sind, deren Existenz mit Waffengewalt ausgelöscht werden muss. Dass die Hamas weitere Massaker wie die vom 7. Oktober durchführen will, so lange, bis Israel nicht mehr existiert. Auch dass sich die Hamas überhaupt nicht für den Schutz der Zivilisten von Gaza zuständig fühlt. Dass der Tod palästinensischer Zivilisten, vor allem der von Frauen, Kindern und Alten, sogar hilfreich für den Kampf der Hamas ist. Und dass die Hamas den Tod von Millionen Palästinensern einkalkuliert und akzeptabel findet, um die eigenen Ziele zu erreichen.

Wenn Geschichte so schnell umgeschrieben werden kann, ist nichts sicher.

 Deborah Lippstadt, Antisemitismusbeauftragte des US-Außenministeriums

Antisemiten nicht ernst zu nehmen, deren eigene Worte zu ignorieren oder so zu verdrehen, dass man sie irgendwie entschuldigen kann, ist eine geübte Praxis unter Israel-Hassern. Die Berliner BDS-Aktivistin Eva Meier erklärte schon vor Jahren in einem Interview, man dürfe Menschen, die „Juden sind scheiße“ oder „Ich hasse Juden“ rufen, nicht gleich Antisemitismus unterstellen. Man müsse schauen, ob sie nicht eigentlich bloß die Politik Israels ablehnten und ob ihnen dafür das richtige Vokabular fehle.

Der Versuch der Hamas-Verharmloser, die Massaker vom 7. Oktober schönzureden, mag bei einigen am inneren Zwang liegen, die lange gehegten Täter-Opfer-Schemata aufrechtzuerhalten. Vor allem aber verfolgt er einen strategischen Zweck. Denn gäbe es die Gräueltaten des 7. Oktober nicht, wäre Israel grundlos in Gaza einmarschiert. Dann ließe sich der jüdische Staat mal wieder als unterdrückerischer Aggressor dämonisieren.

Dass die Leugnung der Massaker in so kurzer Zeit so weite Kreise zieht, hat auch Experten überrascht. Manche warnen, es könnte sich hierbei um einen Präzedenzfall handeln. Die Historikerin Deborah Lippstadt, die Antisemitismusbeauftragte des US-Außenministeriums, sagt: „Wenn Geschichte so schnell umgeschrieben werden kann, ist nichts sicher.“

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