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Selbst in der entscheidenden Phase eines WM-Finales wollte es dem besten Fußballer seiner Zeit nicht gelingen, seine Neigung zum Jähzorn unter Kontrolle zu halten.

© imago images | Bearbeitung: Tagesspiegel

Der Kopfstoß von Berlin: Zinédine Zidane, das Sommermärchen und ein unwürdiger Abgang

Im WM-Finale von Berlin rammte der beste Fußballer seiner Zeit Italiens Innenverteidiger den Schädel gegen die Brust. Nun ist er für Frankreichs Nationalmannschaft im Gespräch.

1 Der Vorfall

Zehn Minuten waren noch zu spielen, als Zinédine Zidane dem Finale der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 die vielleicht entscheidende Wende gab. Dass er auch in diesem Finale eine wichtige Rolle spielen würde, hatte sich abgezeichnet. Zidane, 34 Jahre alt, war schleppend ins Turnier gekommen und dann von Spiel zu Spiel immer besser geworden.

Auch im Finale von Berlin lief es prächtig. Frankreichs Kapitän erzielte per Elfmeter das 1:0 – mit einem Lupfer in die Mitte des italienischen Tores. Frech und erhaben gleichermaßen. Zidane-like.

Zidane-like, wenngleich auf andere Art, war auch das, was in der Verlängerung passierte. Selbst in der entscheidenden Phase eines WM-Finales wollte es dem besten Fußballer seiner Zeit nicht gelingen, seine Neigung zum Jähzorn unter Kontrolle zu halten.

Nachdem Marco Materazzi seine Schwester beleidigt hatte, rammte Zidane Italiens Innenverteidiger den kahlen Schädel gegen die Brust. Kaum jemand im Olympiastadion hatte den Vorfall mitbekommen. Auch der Schiedsrichter nicht. Trotzdem zückte er die Rote Karte.

Der Verdacht, dass der Vierte Offizielle die Szene auf einem Monitor gesehen und den Schiedsrichter informiert hatte, ist nie vollständig ausgeräumt worden.


2 Die Vorgeschichte

Zinédine Zidane wäre demnach das erste Opfer des noch gar nicht existierenden Videobeweises geworden. Aber nicht nur deshalb hat er Geschichte geschrieben. Weltmeister, Europameister, Champions-League-Sieger. „Die Tricks, die wir von ihm im Fernsehen gesehen haben, haben wir auf dem Bolzplatz versucht nachzumachen“, hat Mesut Özil einmal erzählt.

Zidane konnte, was sonst niemand konnte. „Wenn der Ball sprechen könnte, würde er Zidane eine Liebeserklärung machen“, hat der renommierte Trainer Jupp Heynckes kurz nach der WM 2006 gesagt.

In Paris erinnerte vorübergehend eine Skulptur des Künstlers Adel Abdessemed vor dem Centre Pompidou an den berühmten Kopfstoß.
In Paris erinnerte vorübergehend eine Skulptur des Künstlers Adel Abdessemed vor dem Centre Pompidou an den berühmten Kopfstoß.

© imago sportfotodienst

Zidane war ein Straßenfußballer. Mit allen Stärken und Schwächen. Seinem Entdecker Jean Varraud war gleich die Leichtigkeit aufgefallen, mit der Zidane den Ball behandelte. Aber auch seine Schwäche im Kopfballspiel. Wenn der Ball kam, zog Zidane den Kopf ein. Also übte Varraud mit ihm Kopfbälle. Jahrelang.

Am 12. Juli 1998, spät in der Nacht, klingelte bei ihm zu Hause das Telefon. Zidane war dran. „Am wichtigsten Tag habe ich den Kopf benutzt“, sagte er. Es war der Tag, an dem Frankreich Weltmeister geworden war. Im Finale gegen Brasilien hatte Zinédine Zidane zwei Tore erzielt. Beide per Kopf.


3 Das Nachspiel

Der Weg hinunter von der großen Bühne führte Zinédine Zidane am 9. Juli 2006 direkt am goldenen WM-Pokal vorbei. Beim Gang in den Kabinentrakt blickte er noch einmal kurz zur Seite. Es schien, als weinte er.

Bei der WM 2006 sah es lange sehr gut für Zinédine Zidane und sein Team aus, hier ein Foto von ihm aus einem Spiel zu Beginn des Turniers.
Bei der WM 2006 sah es lange sehr gut für Zinédine Zidane und sein Team aus, hier ein Foto von ihm aus einem Spiel zu Beginn des Turniers.

© dpa/dpaweb/Rainer Jensen

So endete an diesem Sonntag, um exakt 22.18 Uhr, eine der glamourösesten Karrieren im internationalen Fußball auf denkbar unglamouröse Weise. Denn dass Zidane nach der WM in Deutschland als Spieler aufhören würde, das hatte er schon vor dem Turnier bekannt gegeben.

Im Olympiastadion tauchte er nach seinem Platzverweis nicht mehr auf, nicht mal bei der Übergabe der silbernen Medaillen für den im Elfmeterschießen unterlegenen Finalisten. Der Präsident des französischen Verbandes sah Zidane später in der Kabine in einer Ecke hocken. Er drückte ihm die Hand, um ihm für alles zu danken, was er für den französischen Fußball getan hatte. Aber womöglich war es das noch nicht.

Seitdem Zidane vor zwei Jahren als Trainer bei seinem früheren Klub Real Madrid aufgehört hat, wird sein Name immer wieder für den Job des französischen Nationaltrainers ins Spiel gebracht. Er selbst scheint nicht abgeneigt zu sein. Vielleicht weil Zinédine Zidane das Gefühl hat, er habe noch etwas geradezurücken.

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