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Ein Arbeiter entfernt den illegalen Stromanschluss einer informellen Siedlung in Johannesburg.

© AFP

Bis zu elf Stunden ohne Strom: Südafrika schlittert immer tiefer in die Energiekrise

Am Kap der guten Hoffnung sitzen die Menschen zunehmend im Dunkeln. Mitverantwortlich ist der strauchelnde Staatskonzern Eskom und die reformunwillige Regierung.

Von Johannes Dieterich

Ganz Südafrika atmete auf. Im September bricht am Kap der Frühling an, die Temperaturen steigen, die elektrischen Heizkörper verschwinden im Schrank. Sie hatten in den vergangenen Wintermonaten ohnehin viel zu oft ihren Dienst versagt: wenn das Stromnetz wieder einmal überlastet war und der staatliche Elektrizitätskonzern Eskom sein Produkt rationierte.

„Load shedding“ nennt sich der Vorgang euphemistisch: Gemeint sind Blackouts, die ganze Regionen oder Stadtteile abwechselnd für zwei bis fünf Stunden in die Dunkelheit versetzen. Der kollektive Seufzer der Erleichterung kam allerdings zu früh. Denn in diesem Monat sehen sich die Südafrikaner so oft wie bisher noch nie im Dunkeln sitzen und auf alle mit Strom betriebenenen Geräte verzichten – wenn sie nicht gerade Notstrom-Aggregate haben.

Erst zum zweiten Mal in der 15-jährigen Geschichte der Strom-Tragödie wurde Stufe 6 im Load-shedding-Plan verhängt – das heißt, es gibt nur noch eine Stufe vor dem Totalkollaps des Netzes. Stufe 6 bedeutet elf stromlose Stunden am Tag: Nach dem Aufwachen gilt den meisten Menschen in Südafrika der erste Blick der App mit den aktuellen Load-shedding-Zeiten, die über den weiteren Verlauf des Tags entscheiden.

Staatspräsident Cyril Ramaphosa sah sich angesichts der aktuellen Stromkrise sogar zum Abbruch seiner Reise zur UN-Vollversammlung in New York gezwungen. Schon seit Jahren verspricht der ANC-Politiker das baldige Ende der Krise: In diesem Jahr war sie mit jetzt schon 1500 Stunden Blackout so schlimm wie noch nie.

Der sich weiter verschärfende Notstand kostet die Bevölkerung den letzten Rest Nerven, den regierenden ANC immer mehr Wahlstimmen und die Wirtschaft vier Milliarden Rand am Tag (rund 230 Millionen Euro). Ramaphosa pflegt sein unerfülltes Versprechen mit der Tiefe des nicht absehbaren Abgrunds zu entschuldigen, in den sein Vorgänger Jacob Zuma das Staatsunternehmen gestürzt habe: Seine räuberische Clique hatte Eskom um Milliarden an Euro gebracht.

Energiekonzern steht vor Zusammenbruch

Eskom spürt nun die Folgen jahrelanger Misswirtschaft - ebenso wie die Südafrikaner.

© REUTERS STAFF

Hinzu kam der Verlust an Facharbeitern, der Diebstahl von Kupferkabeln und Elektro-Anlagen, Nachlässigkeit, Inkompetenz und Sabotage. Aus einem der effektivsten Stromkonzerne der Welt wurde eine Industrieruine: Eskom steht inzwischen mit mehr als 400 Milliarden Rand (fast 23 Milliarden Euro) in den Miesen. Seine überalterten und schlecht gewarteten Kraftwerke brechen immer öfter zusammen.

Und selbst die neuen funktionieren nicht richtig, weil sie nachlässig und von Schmiergeld geölt zustande kamen. Innerhalb einer Septemberwoche habe sich insgesamt 47 Mal eines der Kraftwerke automatisch abgeschaltet, teilte Eskom mit: Um den Dauerausfall auszugleichen, verbrennt der Stromerzeuger Diesel. Für dessen Bezahlung brauchte Eskom bereits in der ersten Hälfte des Jahres sein ganzes Budget auf: Der Schuldenberg wächst weiter.

Höchste Zeit die Industrieruine vollends abzuwickeln, sagen Energie-Experten: Wo Eskom seinen Strom ohnehin auf die schmutzigste aller Weisen herstellt. Mehr als 80 Prozent der Leistung (knapp 60 Gigawatt) wird noch immer aus Kohle gewonnen.

In Sachen Wirtschaftskraft auf Platz 36 der Weltrangliste steht Südafrika auf Platz zwölf der Klima-Sünder: Eskoms 13 Kohlekraftwerke blasen jährlich fast 400 Millionen Tonnen CO₂ in die Luft.

Will das Land nicht als globaler Umweltsünder behandelt werden, dessen Exporte mit Strafmaßnahmen belegt werden können, musste seine Stromgewinnung dringend begrünt werden: Schließlich versprach auch Südafrika bis Mitte des Jahrhunderts den Stopp seines Kohlendioxid-Ausstoßes. Für die nötige Energiewende sahen Experten keine Probleme voraus.

Sonne und Wind gibt es mehr als genug in Südafrika

In Südafrika scheint rund 2500 Stunden im Jahr die Sonne, fast 1000 Stunden länger als in Deutschland. Außerdem bläst zumindest am Kap das ganze Jahr über ein böiger Wind: Unter solchen Umständen kann der Umstieg auf erneuerbare Energien eigentlich kein Problem sein.

Die Glühbirnen bleiben in Südafrika auch immer häufiger während der Dunkelheit aus - Stromausfälle sind an der Tagesordnung.

© REUTERS

Andererseits kann sich Südafrikas Regierung auch nicht nur Gedanken um die Klimakrise machen. Bei kaum existentem Wirtschaftswachstum, einer Arbeitslosenquote von fast 50 Prozent und wachsender Armut müssen in dem Schwellenland auch die sozialen Folgen der Energiewende bedacht sein.

In den Kohleminen des Landes sind mehr als 100.000 Kumpels beschäftigt: Das Land erzielt mit seinen Kohleexporten nach China – neuerdings auch verstärkt in die EU – Einnahmen von mehr als 20 Milliarden Euro im Jahr. Arbeitsplätze und Exporteinnahmen gibt man nicht so einfach auf, das weiß keiner besser als Energieminister Gwede Mantashe. Er arbeitete selbst in einr Mine und war später Chef der Minengewerkschaft NUM.

Der ANC-Politiker weiß außerdem, dass der Energiebereich in einem Schwellenstaat wie Südafrika eine zur Entwicklung der Bevölkerung zentrale Rolle spielt – und nicht nur den Gesetzen des Marktes überlassen werden kann.

Schon seit Jahren fordert die von Weißen dominierte Demokratische Allianz ein Ende des Eskom-Monopols bei der Energie-Erzeugung: Würde die ANC-Regierung endlich unabhängige private Stromproduzenten zulassen, wäre die Elektrizitätskrise längst überwunden, meinen die neoliberalen Oppositionspolitiker.

Energiewende würde fast 50 Milliarden Euro kosten

Dagegen lehnt Mantashe die Lizenzierung alternativer Energieanbieter bisher notorisch ab: Sie käme einer schleichenden Privatisierung des Energiemarkts gleich, klagt das einstige Mitglied der kommunistischen Partei.

Auch der Vorschlag von Ökologen, wertvolle Rohstoffe im Boden zu lassen, die neben Kraftwerken auch den dringend nötigen wirtschaftlichen Aufschwung antreiben könnten, hört sich für den afrikanischen Gewerkschafter fast unanständig an. Haben es die Industrienationen nicht mit genau jenen Methoden zu ihrem Wohlstand gebracht, die sie jetzt anderen verbieten wollen?

Afrikas Anteil an den globalen Emissionen beträgt weniger als vier Prozent. Um einen mit den Industrienationen vergleichbaren ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen, könnte der Kontinent noch für Jahrzehnte seine Kohle verbrennen.

„Wir haben jedes Recht dazu, unsere fossilen Bodenschätze auszuschöpfen“, sagt Lwazi Ngubevana, Direktor des Afrikanischen Zentrums für Führungskräfte im Energiesektor an der Johannesburger Witwatersrand-Universität.

Geschäfte müssen ihre Öffnungszeiten wegen Stromausfällen zum Teil stark verkürzen.

© REUTERS

Hinzu kommt, dass die Energiewende auch in Südafrika nicht zum Nulltarif kommt. Experten schätzen die Kosten für die fossile Entziehungskur auf insgesamt fast 50 Milliarden Euro – Mittel, die dem sich immer höher verschuldenden Staat nicht zur Verfügung stehen. Helfen sollen deshalb jene Staaten, die für die Klimakrise verantwortlich sind: Westliche Industriestaaten wie die USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland.

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Sie haben im vergangenen Jahr während des Klimagipfels in Glasgow tatsächlich Hilfe versprochen: Südafrika soll mit 8,5 Milliarden Euro unterstützt werden. Der Deal könnte ein Präzedenzfall für die Finanzierung der Energiewende auch in anderen Schwellenstaaten werden, heißt es.

Zuletzt haben sich in Pretoria Experten aus den erwähnten Industrienationen aufgehalten, um mit der südafrikanischen Regierung die Details der Abmachung auszuhandeln. Dabei stellte sich heraus, dass es sich bei den zugesagten Milliarden keineswegs um Zuschüsse handelt: Der Löwenanteil sind zwar günstige, aber zurückzuzahlende Kredite. Umstritten sind auch die Projekte und Bereiche, denen die Gelder zukommen sollen.

Sowie die Frage, in welchem Ausmaß Unternehmen aus den Industrienationen profitieren können, deren Technologien auf dem Markt der erneuerbaren Energien große Vorsprünge haben.

Es sei außerordentlich schwer, sich mit den Repräsentanten der verschiedenen Nationen zu einigen, klagt ein südafrikanischer Gesprächsteilnehmer: Noch ist unklar, ob Südafrika den Deal überhaupt unterzeichnet. Schlechte Aussichten für Südafrikas Stromverbraucherinnen: Der bevorstehende Sommer droht tagsüber heiß, dunkel und energielos zu werden.

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