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Der Piraten-Politiker Gerwald Claus-Brunner war im Januar 2026 leblos in seiner Wohnung in Steglitz aufgefunden worden – zusammen mit der Leiche eines anderen Mannes.

© Gestaltung: Tagesspiegel; imago/IPON

Berliner Mordfall Gerwald Claus-Brunner: „Auf Veranstaltungen hatte er ein Kantholz dabei“

Vor acht Jahren tötete der Berliner Piraten-Politiker einen anderen Mann und sich selbst. Jetzt spricht sein einstiger Parteifreund Christopher Lauer über den Fall.

Am 19. September 2016 findet die Polizei in der Wohnung des Piraten-Politikers Gerwald Claus-Brunner dessen Leiche sowie die eines zunächst unbekannten Mannes. Die Öffentlichkeit spekuliert über einen gemeinsamen Suizid, zudem kursiert das Gerücht, das 44-jährige Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses sei unheilbar krank gewesen. Tatsächlich wissen die Ermittler bald, dass Claus-Brunner ein schweres Verbrechen begangen hat.

In einer neuen Folge des Tagesspiegel-Podcasts „Tatort Berlin“ spricht sein ehemaliger Parteifreund Christopher Lauer über den Fall und wie er selbst ihn erlebte.

Herr Lauer, in ersten Nachrufen wird Claus-Brunner damals als „sanfter Riese“ gewürdigt. Was dachten Sie, als Sie dies lasen?
Ich fand das schwer erträglich. Ich habe auch weder an eine unheilbare Erkrankung geglaubt, noch an gemeinsamen Suizid. Aber in so einem Moment kannst du dich ja nicht auf Twitter hinstellen und sagen: „Hey Leute, ich habe da jetzt zwar nur so ein Gefühl, aber eigentlich war es ganz anders.“

Sie kannten Claus-Brunner aus der gemeinsamen Arbeit in der Piraten-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Wie hatten Sie ihn dort erlebt?
Ganz sicher nicht als sanften Riesen, sondern als einen, der sich gegenüber seinen Mitmenschen immer wieder unmöglich verhalten hat und übergriffig wurde. Auf Twitter verbreitete er Unwahrheiten, im realen Leben beleidigte und drohte er. Auch mit Gewalt. Auf diversen Veranstaltungen hatte er ein Kantholz dabei. Von daher wollte ich nach seinem Tod nicht, dass dieser Mann jetzt noch in irgendeiner Form verklärt wird.

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Claus-Brunner soll über die Jahre auch mehrere Männer aus dem Umfeld der Partei gestalkt haben.
Ich wurde einmal von ihm verbal attackiert, weil ich es gewagt hatte, einen Parteifreund im Mietwagen von Nordrhein-Westfalen nach Berlin mitzunehmen – einen Mann, in den sich Claus-Brunner verliebt hatte und von dem er offenbar geradezu besessen war. Er schrieb mir deshalb Direktnachrichten auf Twitter, das waren üble Beschimpfungen. Da habe ich ihn geblockt. Es gab damals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die regelrecht Angst vor ihm hatten.

Gab es Bemühungen, Claus-Brunner zu stoppen?
Zahlreiche. Wir haben sein Verhalten immer wieder thematisiert, und er hat stets Besserung gelobt. Ich bin ein Freund davon, Menschen im Zweifelsfall auch eine zweite Chance zu geben und sie auf ihrem Weg zu unterstützen. Deshalb habe ich ihm 2013 sehr gute psychologische Hilfe bei Fachleuten besorgt. Aber dort ist er einmal hin und dann nie wieder. Mit der Zeit wurde uns klar, dass er sich nicht helfen lässt. Dann haben wir versucht, ihn aus der Fraktion auszuschließen. Auch, um andere vor ihm zu schützen.

Dieser Versuch scheiterte. Weshalb?
Weil sich ein paar Knalltüten in der Fraktion bei der entscheidenden Abstimmung enthalten haben. Das war, um es diplomatisch zu formulieren, extrem ärgerlich. Von 15 Abgeordneten hätten zwei Drittel für seinen Ausschluss stimmen müssen. Am Ende scheiterte es an einer oder zwei Stimmen. Leider waren manche in der Piratenfraktion einfach nicht die hellsten Kerzen auf der Torte.

Mich störten die mitfühlenden Erklärungsversuche, wie ein Mensch zu solch einer Tat fähig sein konnte. 

Christopher Lauer über den Fall Gerwald Claus-Brunner

Drei Monate vor seinem Tod hielt Gerwald Claus-Brunner seine letzte Rede im Abgeordnetenhaus. Er sprach über ein Gesetz, das die Planetarien und Sternwarten in eine Stiftung zusammenführen sollte. Dabei fiel der Satz: „Und ihr werdet auch in der laufenden Legislatur für mich am Anfang irgendeiner Plenarsitzung mal aufstehen dürfen und eine Minute stillschweigen.“
Ich habe das nur so halb mitbekommen. Im Plenarsaal passiert während einer Sitzung ja relativ viel, und wenn eine Rede nicht so interessant ist, nutzt man die Zeit und tauscht sich zum Beispiel mit Mitgliedern anderer Fraktionen aus. Jedenfalls bemerkte ich, dass einige Abgeordnete nach seiner Rede zu ihm hingegangen sind. Also erkundigte ich mich, was vorgefallen war, tat seinen Kommentar dann allerdings als Theatralik ab. Das war so ein wiederkehrendes Muster bei Claus-Brunner: Er teilte aus, benahm sich grob daneben, und sobald es Kritik gab, opferte er herum. Er behauptete dann gern, wir würden ihn in seiner Arbeit behindern, was natürlich nicht stimmte.

Im Podcast sprechen wir darüber, wie die Ermittler nach dem Auffinden der Leichen bald feststellten, dass Claus-Brunner ein schweres Verbrechen begangen hatte: Er ermordete einen Bekannten, der sich seit längerem von Claus-Brunner bedroht gefühlt hatte, und nahm sich anschließend selbst das Leben. Wie reagierten Sie auf diese Nachricht?
Genau das hatte ich ja vermutet. Deshalb hatte mich der mitfühlende Ton der Nachrufe so massiv gestört. Und nun störten mich die wiederum mitfühlenden Erklärungsversuche, wie ein Mensch zu solch einer Tat fähig sein konnte. Ich denke, da gibt es nichts nachzuvollziehen. Das war eine komplett sinnlose Tat. Wir reden hier von einem Mörder. 

Christopher Lauer wollte nicht, dass Claus-Brunner nach seinem Tod als „sanfter Riese“ verklärt wird.
Christopher Lauer wollte nicht, dass Claus-Brunner nach seinem Tod als „sanfter Riese“ verklärt wird.

© Gestaltung: Tagesspiegel; IMAGO / Future Image

Der Ex-Pirat Stephan Urbach twitterte damals: „Schuld sind übrigens die, die ihn seit Jahren gedeckt haben und noch immer decken.“ Hat er recht?
Ich will nicht behaupten, dass Parteifreunde kausal für den Mord verantwortlich sind. Das wäre ja kompletter Quatsch. Für den Mord ist allein der Mörder verantwortlich. Aber das Klima in der Piratenfraktion war eben nicht so, dass wir sein unmögliches Verhalten effektiv sanktionieren konnten. Als dann im Januar 2016 sein Ausschluss scheiterte, war dies für ihn sicher ein Signal, nämlich: Ich kann mich daneben benehmen, wie ich will. Es hat für mich keinerlei Konsequenzen.

Sie klingen verbittert, wenn Sie über Ihre Zeit bei den Piraten sprechen.
Diese Phase meines Lebens hat mich schon einigermaßen traumatisiert. Man sitzt ja in einem Parlament, um Politik zu machen. Und wenn einem dann 50 Prozent der Energie von Knallchargen aus der eigenen Fraktion geraubt werden, die wieder irgendeinen Mist veranstaltet haben, und man gucken muss, wie man die Kuh vom Eis kriegt, das frustriert sehr. Es gab bei uns ja diverse Skandale und Skandälchen, und das, was an die Öffentlichkeit drang, war nur die Spitze des Eisbergs. Aber es gibt zum Glück auch eine ganz andere Seite.

Welche?
Ich habe mich ja 2009 den Piraten angeschlossen, nachdem ich ein Jahr lang in China studiert und dort erlebt hatte, wie gut Diktatur und Kapitalismus zusammen funktionieren. Ich habe auch die dortige Internetzensur erlebt. Das hat mich politisiert. Da war für mich klar: Zurück in Deutschland wirst du dich engagieren.

Weshalb bei den Piraten?
Von den anderen Parteien fühlte ich mich nicht repräsentiert. Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie die Lebensrealität meiner Generation abbildeten. Die Piraten sind zum Beispiel gegen Vorratsdatenspeicherung vorgegangen. Sie verfolgten erste Ansätze zum bedingungslosen Grundeinkommen, forderten die Entkriminalisierung von Drogen, wollten den fahrscheinlosen ÖPNV. Mit manchen ihrer Forderungen waren sie der Zeit damals voraus, und das waren und sind alles sinnvolle Dinge. Es sei denn, man hat ein komplett asoziales Weltbild und ist als Politiker der Meinung, man müsse Menschen ständig bestrafen. Jedenfalls war ich begeistert, dass die Piraten meine politische Ohnmacht in ein Gefühl von Wirkmächtigkeit umdrehten. Das war zwar eine obskure Kleinstpartei, aber immerhin war es meine obskure Kleinstpartei. Leider wurde es dann schnell sehr anstrengend.

Das war zwar eine obskure Kleinstpartei, aber immerhin war es meine obskure Kleinstpartei. Leider wurde es dann schnell sehr anstrengend. 

Christopher Lauer über die Piraten

Inwiefern?
Überall, wo mehr als drei Leute zusammenkommen und Ressourcen verteilt werden, gibt es Machtkämpfe und Rangeleien. Das ist normal. Leider waren wir Piraten nicht in der Lage, Bedingungen und Räume zu finden, um diese innerparteilichen Konflikte formalisiert auszutragen.

Stattdessen haben Sie sich öffentlich auf Twitter gestritten.
So entstand das Bild einer Chaospartei, bei der jeder gegen jeden kämpft. Dazu kam, dass diese Partei für viele Mitglieder ihre erste Gruppensozialisation darstellte. Ich selbst war davor zumindest schon Messdiener und in der katholischen Jugendgemeinschaft aktiv gewesen, viele andere hatten vor der Piratenpartei überhaupt keine Erfahrungen über Prozesse in Gruppen. Denen hat der politische Erfolg der Partei schlichtweg Angst gemacht.

Wieso Angst?
Nach dem Philosophen Robert Pfaller ist ja das Schlimmste, was einem passieren kann, die Erfüllung der eigenen Wünsche. Das macht obskure Kleinstparteien so attraktiv: Man kann alles fordern und läuft nie in Gefahr, tatsächlich etwas umsetzen oder gestalten zu müssen. Viele Piraten wollten die Vereinsmeierei, die Folklore und das Reden über gemeinsame Interessen und Forderungen, aber eben nicht wirklich politisch wirksam werden. Die wollten Außenseiter und Nerds bleiben. Und plötzlich saßen sie in Parlamenten und hatten echte Einflussmöglichkeiten. Das klarzukriegen, hat die praktische Arbeit sehr erschwert. Das haben einige von uns, nein viele, nicht hinbekommen.

Wie war das bei Ihnen?
Mir hat es unglaublichen Spaß gemacht. Abgeordneter zu sein, ist im Grunde auch immer noch mein Traumberuf. Die Themen ändern sich häufig, du musst schnell reagieren. Und du kannst etwas bewegen. Trotz der Widrigkeiten, die dieser Job mit sich bringt, hat er doch eine sehr befriedigende Seite. Klar, damals habe ich mich über manches im Parlamentsbetrieb aufgeregt, aber über irgendetwas rege ich mich sowieso immer auf, das geht gar nicht anders.

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