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Elton John gibt nach dem Auftritt am 21. Mai 1979 in Leningrad einem Fan ein Autogramm.

© Picture Allaince/ AP/Boris Yurchenko/Bearbeitung Tagesspiegel

Als Elton John den Eisernen Vorhang öffnete: Welcher Popstar würde heute noch in Russland auftreten?

Vor 44 Jahren trat der britische Musiker in der Sowjetunion auf – als einer der ersten westlichen Popstars überhaupt. Heutzutage wäre so etwas kaum denkbar.

1 Wie es kam

Elton John war bereits 1979 ein schräger Vogel. Aber man erkannte es nicht gleich. Statt gefiedert aufzutreten wie jetzt bei seiner Abschiedstournee, in Glitzerkostüm, mit Federboa und überdimensionierter Sonnenbrille, verbarg der damals 32-jährige britische Musiker sein drolliges Temperament unter unförmigen Schiebermützen.

Das Publikum wusste trotzdem nicht, was es von dem Mann halten sollte, als er am 21. Mai 1979 die Bühne der Rossiya-Halle in Leningrad betrat – als einer der ersten westlichen Popstars überhaupt.

Seine Songs ( „Candle In The Wind“) waren auf dieser Seite des Eisernen Vorhangs weitgehend unbekannt. Außerdem war er der Klassenfeind, eine Verfallserscheinung des Kapitalismus, so sehr er sich auch bemühte, als einfacher Kerl rüberzukommen, der nichts weiter als ein Klavier und seine Stimme in die Waagschale warf.

Elton John bei seinem Auftritt im Mai 1979 in Moskau.
Elton John bei seinem Auftritt im Mai 1979 in Moskau.

© imago/ITAR-TASS/IMAGO/Roman Denisov

Also: höflicher Applaus zunächst. Die Kader der KP, aus denen das Publikum überwiegend bestand, waren es nicht gewohnt, dass da einer wirklich meinte, was er sang: „We’ll kill the fatted calf tonight.“ Ein Typ in Satinhosen und hohen Lederstiefeln beschwor einen Kampf mit den Eltern herauf, um zu sehen, „wer richtig liegt und wer falsch“ (wie es im Song „Daniel“ heißt). Nur in den hinteren Reihen gerieten welche außer sich vor Freude. Später dann El-ton-El-ton-Rufe bis tief in die Nacht.

2 Was es bedeutete

Elton John hat mit seinen Auftritten in der damaligen Sowjetunion „das Land erobert“, wie der ihn begleitende Musikkritiker Robert Hilburn meinte. Zur Wahrheit gehört allerdings, dass acht Konzerte in zwei Städten vor insgesamt knapp 40.000 Zuschauern sowie ein Spontanauftritt im Restaurant des Leningrader Hotels nicht geeignet waren, eine Kulturrevolution im Mutterland des Kommunismus auszulösen – nicht ein Jahr vor den Olympischen Spielen von Moskau, die eine kulturelle Öffnung des Landes einleiteten.

Deshalb ließ sich John auch von der wachsenden KGB-Überwachung nicht zügeln. Dass man ihn bat, auf „Back In The U.S.S.R.“ von den Beatles zu verzichten, ließ ihn den Song erst recht spielen. „Es hätte auch furchtbar schiefgehen können“, sagte der Musiker hinterher.

Wichtig war die Sache neben der politischen Symbolik vor allem für John selbst, der den Höhepunkt seiner Karriere überschritten und sich zwei Jahre lang von der Bühne zurückgezogen hatte. „Ich brauchte eine Herausforderung“, erklärte John, „deshalb beschlossen wir: Lass uns es uns mit Russland versuchen.“ Seither ist er 34 mal dort aufgetreten. „Ich liebe das Land“, sagte er 2014, „und ich will den Leuten vermitteln, dass ich mich um sie sorge.“

3 Rückzug aus Russland

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 wurden Konzerte westlicher Bands in Putins Reich reihenweise abgesagt. Auch die Scorpions reisten nicht, wie geplant, in das Land, in dem sie ihre größten Erfolge gefeiert hatten („Wind Of Change“).

Auf seiner „Farewell Yellow Brick Road Tour 2023“ spielte Elton John kürzlich auch in München.
Auf seiner „Farewell Yellow Brick Road Tour 2023“ spielte Elton John kürzlich auch in München.

© dpa/Sven Hoppe

Zunächst hielten sie an ihrem Wunsch mit dem Argument fest, ihre Fans nicht im Stich lassen zu wollen. „Wir erleben Russland anders als in der politischen Berichterstattung, weil wir mit normalen Menschen zusammenkommen und herzlich aufgenommen werden“, meinte Sänger Klaus Meine. Mittlerweile ist klar: In einem Land zu spielen, das Krieg gegen seinen Nachbarn führt, „fühlt sich nicht richtig an“.

Mit Live Nation hat sich einer der größten Konzertveranstalter weltweit vom Russland-Markt zurückgezogen. Sanktioniert sind Auftritte zwar nicht. Aber man müsste es wohl wieder so machen wie Elton John einst: ohne jeden Rückhalt. Um welchen Preis? Kein Popstar des Westens dürfte sich der Diskussion aussetzen wollen, das Regime eines Kriegstreibers zu unterstützen. Pop ist nicht mehr unschuldig.

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