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Friedhelm Julius Beucher ist der Präsident des Deutschen Behindertensportverbands.

© IMAGO/Zoonar

DBS-Präsident Beucher im Interview: „Wir haben eine desaströse Lage“

Friedhelm Julius Beucher über das mangelhafte Angebot für Behindertensportler, Nachwuchsprobleme und die Gleichstellung der Para-Athleten.

Von Benjamin Apitius

20-jähriges Jubiläum bei den Spielen in Paris: Die „Paralympics Zeitung“ ist seit 2004 ein Gemeinschaftsprojekt von Tagesspiegel und DGUV. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit entstand auch folgender Text anlässlich des Internationalen Tages für Menschen mit Behinderungen.


Herr Beucher, vor kurzem haben Sie Alarm geschlagen: Das Angebot für Menschen mit Behinderung in deutschen Sportvereinen sei zu gering.

Aus dem aktuellen Sportentwicklungsbericht des Bundesinstituts für Sportwissenschaft von 2020 bis 2022 geht hervor, dass nur 6300 der rund 87.000 deutschen Sportvereine Angebote für Menschen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten machen. Das sind gerade einmal sieben Prozent! Und das ist natürlich eine alarmierende Zahl – schon alleine deshalb, weil wir ja mit den 6300 Vereinen flächenmäßig die Republik gar nicht abdecken können.

Ist das sogleich die Erklärung für die 55 Prozent der Menschen mit Behinderung, die laut Teilhabebericht keinen Sport treiben?

Wir haben statistisch nicht erfassen können, warum diese Zahl keinen Sport treibt, wir wissen es aber von Rückmeldungen aus den Landesverbänden. Bei den Mitgründen, warum Menschen mit Behinderung keinen Sport treiben oder keinen Sport treiben können, geht es auch um unerreichbare Entfernungen.

Dann kommt noch der Stadt-Land-Faktor dazu, dass der abendliche ÖPNV ausgedünnt ist, abgesehen von der fehlenden Barrierefreiheit in vielen Fahrzeugen des Öffentlichen Personennahverkehrs. Und so haben wir quasi eine desaströse Lage.

Was sind die Maßnahmen des Behindertensportverbands?

Wir werben insbesondere auch bei den Regelsportvereinen, dass sie sich den Menschen mit Behinderung öffnen, dass sie inklusive Sportangebote machen oder dass sie Behindertensportabteilungen gründen bzw. Behindertensport eben halt nicht inklusiv sondern exklusiv anbieten. In Bergneustadt, wo ich lebe, findet das vorbildlich so statt. Die Republik ist voller Positivbeispiele, nur haben wir eben ein quantitatives Problem. Wir brauchen dringend mehr Breitensportangebote.

Manche Regelsportvereine haben weniger Hallenzeiten als sie brauchen – da können wir nicht kommen und eine zusätzliche Abteilung aufmachen wollen.

Friedhelm Julius Beucher

Die Corona-Pandemie hat die Situation verschlimmert?

Wir haben 2020/2021 über 100.000 Mitglieder verloren. Das waren nicht alles Sportlerinnen und Sportler, sondern auch Familienangehörige. Es lag zum Teil daran, dass Vereine ihr Sportangebot nicht mehr anbieten konnten oder die Aktiven den Risikogruppen zugeordnet sind. Etliche Vereine haben die Zeit nicht durchgestanden.

Weniger Vereine, weniger Mitglieder, weniger Nachwuchs?

Wir haben gemerkt, dass es im Laufe der Zeit bei uns immer weniger im Nachwuchs wurde. Dieser Entwicklung arbeiten wir mittlerweile entgegen, indem wir Scouts durchs Land schicken.

Was machen die?

Die suchen Schulen auf, suchen Eltern auf, machen auf unsere Angebote wie Schnuppertage oder Talenttage aufmerksam. Das sind aber, wenn Kinder oder Jugendliche den Weg zu uns finden, auch Zufallsprodukte.

Sehen Sie richtig schwarz?

Da bin ich ein bisschen gespalten: Ich habe ja bereits vor Peking gesagt, wir haben immer weniger Nachwuchs – und dann holen da die 15-Jährige, die 18-Jährige und der 22-Jährige die Medaillen (lacht). Das war eine sensationelle Ausnahme!

Die (damals) 15-Jährige: Linn Kazmaier holte bei den Paralympics in Peking fünf Medaillen.

© dpa

Herr Beucher, heute ist der Tag für Menschen mit Behinderung. Ein besonderer Tag für Sie?

Das ist ein ganz wichtiger Tag, weil wir da noch einmal den Fokus auf die Menschen mit Behinderung legen und auf das, was wir als selbstverständlich betrachten: Sport auf Augenhöhe. In der Leistungssportreform des Bundes ist das festgeschrieben. Im Laufe der Zeit sind die Nachteile Stück für Stück aufgehoben worden, weil diese Gleichstellung erkämpft wurde. Es gibt jetzt die gleiche Prämie für einen Paralympischen wie für einen Olympischen Medaillengewinner.

Und die Gleichstellung im Breitensport?

Dieser Prozess geht länger. Ich muss die Lage vor Ort bewerten. Manche Vereine haben weniger Hallenzeiten als sie brauchen – da können wir nicht kommen und eine zusätzliche Abteilung aufmachen wollen. Aber es gibt auch Standorte, wo das halt möglich ist.

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