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Ramona Pop, Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe, während einer Pressekonferenz des Berliner Senats im Roten Rathaus.

© picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Tiefenanalyse der Berliner Wirtschaft: Wirtschaftssenatorin Pop rechnet mit mehr als drei Prozent Wachstum

Der Senat zieht Zwischenbilanz der Coronakrise: Es war hart für die Stadt. Aber andernorts war es härter. Jetzt soll das Wachstum zurückkehren.

Es war das verflixte achte Jahr: 2020 endete mit dem Ausbruch der Pandemie der seit 2013 andauernde Aufschwung der Berliner Wirtschaft.

Das lokale Bruttoinlandsprodukt war zuvor seit 2014 sogar deutlich stärker gewachsen als im Schnitt aller deutschen Länder. Berlin löste sich so zunehmend vom Image als Armenhaus der Republik, als rückständige Hauptstadt, die nur durch Millionensubventionen am Laufen gehalten werden kann.

Der Tourismus als Kern des für Berlin enorm wichtigen Dienstleistungssektors, eine florierende Kreativ- und Gründerszene sowie ein wie zu Vorkriegszeiten wachsender Industriesektor mit produzierenden und exportorientierten Unternehmen: So ist Berlins Wirtschaft auch nach den hoffentlich vorerst letzten Lockdown-Maßnahmen aufgestellt.

Aber speziell das Gastgewerbe und fast alle touristischen Einrichtungen bauten trotz Staatshilfen Stellen ab. Die überdurchschnittlich große Rolle des Gesundheitswirtschaft, die im ersten Pandemiejahr sogar leicht wachsen konnte, hat einen tieferen Absturz verhindert.

Beschäftigte in Dienstleistungsbetrieben in Berlin.
Beschäftigte in Dienstleistungsbetrieben in Berlin.

© Rita Böttcher/Tagesspiegel

Das und viel mehr steht im „Wirtschafts- und Innovationsbericht 2020/21“, den die Senatswirtschaftsverwaltung am Dienstag veröffentlicht hat. Auf gut 90 Seiten geht es naturgemäß sehr ins Detail und liest sich an manchen Stellen wohlwollender als neutrale Beobachter die Lage beschreiben würden – so fehlt in dem Papier nicht einmal der Hinweis, dass die landeseigenen Wasserbetriebe „kurzfristig acht zusätzliche Ausbildungsplätze“ angeboten haben.

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Doch auch jenseits der sehr ausführlichen Darstellung sämtlicher Corona-Hilfsprogramme sprechen die objektiven volkswirtschaftlichen Kennzahlen für sich: Berlin stand mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 3,3 Prozent im Jahr 2020 besser da als Deutschland insgesamt (minus 4,6 Prozent). Berlin hat – vor allem wegen der Kurzarbeitergeld-Regelungen des Bundes – kaum an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten verloren.

Tourismus Gastgewerbe in Berlin 2010 bis 2020 SenWiEnBe
Tourismus Gastgewerbe in Berlin 2010 bis 2020 SenWiEnBe

© :Rita Böttcher/Tagesspiegel

Die Wirtschaftspolitik in Berlin sei 2020 und in den Folgemonaten davon geprägt gewesen, die negativen Auswirkungen der Pandemie und der daraus resultierenden Eindämmungsmaßnahmen auf Berliner Unternehmen, deren Inhaber:innen sowie der Belegschaften, abzufedern, erklärt die Verwaltung zusammenfassend.

Bund und Berlin stützten lokale Wirtschaft mit 4,25 Milliarden Euro

„Noch nie wurden Unternehmerinnen und Unternehmern und deren Beschäftigten finanzielle Mittel des Landes und des Bundes in so kurzer Zeit, in einem solchen Umfang und in solcher Breite zur Verfügung gestellt“, erklärte Senatorin Ramona Pop (Grüne). Mit Programmen hätten Berlin und der Bund die lokale Wirtschaft mit 4,25 Milliarden Euro gestützt und 440.000 Arbeitsplätze gesichert. „Und auch die Perspektiven für das laufende Jahr sind positiv, so dass wir mit einem BIP-Wachstum in Höhe von gut drei Prozent rechnen.“

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Laut Bericht ihrer Verwaltung habe sich die Wirtschaftsstruktur in den vergangenen Jahren stabilisiert, sei resilienter und damit weniger krisenanfällig geworden. Starke, zukunftsorientierte Wirtschaftszweige wie die Gesundheitswirtschaft und die Digitalbranche verzeichneten kontinuierlich steigende Umsätze, ebenso das Bauhauptgewerbe.

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Auch die Industrie habe sich nach dem Einbruch im ersten Lockdown stabilisiert und den Umsatz im letzten Jahr um 2,7 Prozent erhöht. Darüber hinaus behaupte Berlin nach wie vor seinen Spitzenplatz als deutsche Gründungsmetropole: Die Zahl der für Start-ups so wichtigen Finanzierungsrunden kletterte in Berlin im vergangenen Jahr um 20 Prozent.

Berlins Wirtschaft gewinnt wieder an Dynamik - wie hier im Abendverkehr am Potsdamer Platz.
Berlins Wirtschaft gewinnt wieder an Dynamik - wie hier im Abendverkehr am Potsdamer Platz.

© picture alliance/dpa

„Unsere Ziele sind klar: Wir werden die Energie- und Mobilitätswende entscheidend mitgestalten, die Vorreiterrolle der Gesundheitswirtschaft ausbauen, die Medien- und Kreativwirtschaft stärken und die Schlüsseltechnologien IKT, Optik und Photonik voranbringen“, schrieb Pop, was fast so klang, als hoffe sie, auch nach dem Wahlen zum Abgeordnetenhaus Ende September und einer Regierungsbildung wieder Verantwortung für die Wirtschaft zu tragen.

Top Ten der Exportländer für das Land Berlin (2020).
Top Ten der Exportländer für das Land Berlin (2020).

© Rita Böttcher/Tagesspiegel

„Heute zahlt sich aus, dass wir gezielt auf Branchen und Technologiefelder gesetzt haben, die nach der Krise weiter an Bedeutung gewinnen werden.“ Berlin sei sehr gut aufgestellt, um schnell wieder das hohe Wirtschaftsniveau, die innovative Energie und die inspirierende Kreativität zurückzuerlangen, „die wir mit viel Engagement in der Vor-Corona-Phase gemeinsam aufgebaut hatten“.

Interessant bei derartigen Berichten ist mitunter auch, was nicht drin steht: So sucht man auf mehr als 90 Seiten vergeblich Worte wie „Schulden“ oder „Verschuldung“. Die stieg während der Pandemie bis Ende März 2021 in Berlin von bereits enorm hohen 55,2 Milliarden auf nunmehr 62 Milliarden Euro. Berlin war somit auch hier mit einem Anwachsen des Schuldenberges um 3,9 Prozent (gemeinsam mit Sachsen-Anhalt): spitze.

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