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Rosarote Brille. Am Potsdamer Platz geht Berlin das Herz auf.

© Paul Zinken/dpa

Schubert, Licht und harte Eier: Wie das „Festival of Lights“ Berlin mit dem Corona-Sommer versöhnt

Eine unperfekte Mischung aus Konzerten und Ausstellungen: Das Festival entschädigt für Wochen des Verzichts. Vor bunten Fassaden wird geknutscht und gepicknickt.

Wie ein großes blaues Fabergé-Ei leuchtet die Kuppel des Berliner Doms. Die Sonne ist noch nicht ganz untergegangen und die Wolken schimmern hell am Himmel über der Museumsinsel. Auf der Wiese vor dem Dom sitzen ältere Paare, eine Gruppe junger Frauen mit Hijab und Kollegen beim Feierabendbier. Alle haben den Blick auf den Dom gerichtet, der im Rahmen des Festival of Lights mit goldenen, grünen und blauen Ranken beleuchtet wird.

Zwischen den kleinen Grüppchen versuchen Straßenverkäufer, ihre bunt blinkenden Stäbe zu verkaufen. Ein kleiner Junge beobachtet selig das Glitzerding in seinen Händen. Das Farbspiel der Plastikstange scheint ihn stärker zu beeindrucken als das statische Lichtkunstwerk auf dem Gotteshaus.

Dieses Jahr setzt das Festival of Lights verstärkt auf einzelne Lichtbilder. Insgesamt 86 Orte werden noch bis Sonntag jeden Abend von 20 bis 24 Uhr in Lichtfarben getaucht. Videoinstallationen gebe es noch an rund 20 Spielorten, erklärt Festivalleiterin Birgit Zander. Verantwortlich ist wie jedes Jahr ein Team aus nationalen und internationalen Künstlern.

Immer mehr Menschen strömen nun zu den Lichtern auf der Museumsinsel. Zwei Straßenmusiker mit Violine und Keyboard spielen Doris Days „Dream a little Dream of Me“. Ein Paar beginnt hemmungslos zu knutschen. Die Wassertröpfchen des Springbrunnens glitzern grün und golden im Licht des gigantischen Beamers, der den Dom beleuchtet. Als der Kitsch überhand zu nehmen droht, brüllt eine Frau in ihr Handy: „Wo seid ihr? Ich will saufen!“

Ein Potpourri aus dem, was wegen Corona kaum möglich war

Die Straßenmusiker haben die Richtung ihres kleinen Konzertprogramms geändert und spielen nun, passend zum Ort, Schuberts „Ave Maria“. Eine kleine Familie mit Schawarma-Sandwiches in der Hand und eine Ordensschwester hören andächtig zu. „Ja, das ist schon schön hier“, sagt eine junge Frau und gibt den Musikern etwas Kleingeld. Hinter dem Dom ragt der grün angeleuchtete Fernsehturm in die Höhe.

Wie ein großes blaues Fabergé-Ei leuchtet die Kuppel des Berliner Doms.
Wie ein großes blaues Fabergé-Ei leuchtet die Kuppel des Berliner Doms.

© Christophe Gateau/dpa

Die Straßenmusik, die Lichtinstallation und die Straßenverkäufer erzeugen ein unperfektes, aber schönes Potpourri aus all dem, was in diesem Jahr kaum möglich war: Konzerte, Kunstausstellungen, Festivals und Jahrmärkte.

Wenn der Straßenmusiker zum kleinen Kunstwerk in der Nacht wird.
Wenn der Straßenmusiker zum kleinen Kunstwerk in der Nacht wird.

© Christophe Gateau/dpa

Zusammen allein, so könnte das Motto des diesjährigen Festival of Lights lauten. Die Veranstalter entschieden sich für „Zusammen leuchten wir – Together we shine“. Die Lichtkunstwerke sollen ein Zeichen setzen für „Dankbarkeit, Solidarität, Einheit und Zusammenhalt“, heißt es auf der Website des Festivals.

„Die Bilder bewegen sich nicht, da bleibt man nicht so lange“

Etwas weniger sakral geht es am Bebelplatz zu. Auf dem Boden liegen einige leere Schnapsflaschen. Die Staatsoper, die St.-Hedwigs-Kathedrale, das Hotel de Rome und die juristische Fakultät bilden ein 180-Grad-Kunstwerk. Ein Didgeridoo trötet in die Nacht. Von den Gebäuden leuchten ineinander verknotete Hände und orangene Sonnenblumenfelder.

Rundumsicht: Am Bebelplatz sind die Staatsoper, die Hedwigskathedrale, das Hotel de Rome und die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität illuminiert.
Rundumsicht: Am Bebelplatz sind die Staatsoper, die Hedwigskathedrale, das Hotel de Rome und die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität illuminiert.

© Christophe Gateau/dpa

Eine Ordnerin sitzt auf einem Steinpoller und beobachtet das Geschehen: „Hier ist es relativ entspannt. Ich musste die Besucher noch nicht auf den Mindestabstand hinweisen.“ Viele würden sich nicht allzu lange vor dem imposanten Lichtbild aufhalten. „Die Bilder bewegen sich hier ja nicht, da bleibt man nicht so lange“, sagt sie. Ihre Kollegen am Brandenburger Tor hätten mehr zu tun.

[Kein Sommer, wie er früher einmal war: Wie die Corona-Pandemie das Berliner Lebensgefühl verändert hat, lesen Sie bei Tagesspiegel Plus.]

Auf dem Gehweg vor dem Bebelplatz hat sich eine kleine Menschentraube gebildet. Fünf Jugendliche demonstrieren ihre Hip-Hop-Tanzkünste. Im Handstand macht einer Push-ups im Takt der Musik.

Ein kleiner Junge mit Jordans-Kappe, ein Mann mit Schlips und eine alte Frau mit Brille erscheinen auf der Wand des Auswärtigen Amts. Sie sind Teil eines Fotoprojekts anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020.

Mit diesem Fotoprojekt beteiligt sich das Auswärtige Amt am Werderschen Markt am Festival of Lights.
Mit diesem Fotoprojekt beteiligt sich das Auswärtige Amt am Werderschen Markt am Festival of Lights.

© Christophe Gateau/dpa

Eine Senioren-Gruppe fährt vorbei. Sie hätten sich vorgenommen, verschiedene Stationen des Festival of Lights mit dem Fahrrad abzufahren. Vor dieser Lichtinstallation bleiben sie nur kurz stehen. „Das beeindruckt mich jetzt nicht so“, sagt eine und steigt wieder auf ihr Rad.

James Blunt und die babylonischen Gärten

Von der Fassade des Adlon leuchtet der Bär, der auf der Straße steppt. Je näher man dem Brandenburger Tor kommt, desto voller werden die Gehwege. An den Ampeln Unter den Linden können die Mindestabstände kaum eingehalten werden. Die Polizei sagt auf Nachfrage, sie könne nicht beantworten, ob und wie oft Mindestabstände durchgesetzt werden müssen.

Ein Gruß aus Berlin: das Brandenburger Tor.
Ein Gruß aus Berlin: das Brandenburger Tor.

© REUTERS/Joachim Herrmann

Direkt vor dem Triumphtor lichtet sich die Menschenmenge wieder. Einige tragen Masken. Viele sind mit dem Rad gekommen. Auf der Fassade des Brandenburger Tors verwandelt sich ein Urwald in die babylonischen Gärten. Von der Attika zwinkert Nofretete der Menschenmenge zu und verschwindet wieder.

Auf den Säulen erscheinen Musikinstrumente und blinkende Muster, die an Computerplatinen erinnern. Musikalisch haben sich die Straßenmusiker am Brandenburger Tor für Popmusik der letzten Jahre entscheiden. Coverversionen von James Blunts Liedern und „I follow rivers“ tönen über den Platz. Ab und an unterbrochen von Rikschas, die statt Passagieren Musikboxen herumkutschieren.

Picknick am Schloss Charlottenburg

Unterhalb der Quadriga drehen sich drei futuristische Köpfe, um schließlich die Fassade des Tors frei zu geben für eine riesige Postkarte: „From Berlin with Love“. Etwas Liebe oder eher Versöhnung mit diesem Corona-Sommer ist unter den Zuschauern zu spüren. Ein letztes Bier bei sommerlichen Temperaturen unter freiem Himmel mit vielen anderen Menschen.

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Aus dem Tiergarten weht kalter Wind auf die Straße. Ein Radfahrer stoppt abrupt, als er von der Siegessäule mit „Hallo Berlin!“ begrüßt wird. Etwa zehn Leute bewundern am Großen Stern die dreiminütige Lichtshow, bevor sie sich wieder auf ihre Räder setzen und in die Nacht fahren. Aus den Straßenzügen leuchten immer wieder kleine Kunstwerke hervor.

Dieses Jahr werden auch die Kieze stärker mit Lichtinstallationen geschmückt. Am Schloss Charlottenburg tut sich eine leuchtende Kreuzung auf. Einige Besucher haben sich hingesetzt, sie haben Picknickkörbe dabei. Darin befinden sich, je nach Gruppe: Wein, Chips, etwas Marihuana oder auch hart gekochte Eier.

Felicia Klinger

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