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Jubiläumsbrunnen an der Dorfkirche.

© Jens Mühling

Unterwegs in Berlins Ortsteilen: Waidmannslust: Wo Franzosen Pudeln gleichen

96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf. NR. 86: Waidmannslust.

Am villengesäumten Waidmannsluster Damm kam ich mit einem Mann ins Gespräch, der an zwei Leinen seine beiden französischen Bulldoggen ausführte. Beim Erzählen gestikulierte er, wie ich es bei Berliner Hundebesitzern inzwischen öfter erlebt habe, mit einem gut gefüllten Hundetütchen.

Wir kamen schnell auf die französische Vergangenheit des Ortsteils zu sprechen – in den nobelsten der Waidmannsluster Villen hatten zu Mauerzeiten der französische Stadtkommandant und der französische Gesandte residiert. Hinzu kam, wie mir der Hundetütchenmann erklärte, jede Menge französisches Fußvolk, auch in seiner Schulklasse habe es ein paar französische Kinder gegeben. „Aber die spielten nie mit uns“, sagte er. „Die hielten sich für was Besseres.“ Überhaupt, fuhr er fort, seien ihm die Berliner Besatzungsfranzosen immer ein bisschen arrogant vorgekommen, ganz anders als die leutseligen Amerikaner in den südwestlichen Ortsteilen. Mit den Engländern wiederum habe es oft Schlägereien gegeben. „Die Engländer waren schon immer kleine Pitbulls“, erklärte er mir.

„Wenn die Engländer Pitbulls waren“, fragte ich, „was für Hunde waren dann die Franzosen?“

Er dachte keine Sekunde nach. „Pudel.“

Bei den Amis verständigten wir uns auf Beagles. Uneins waren wir uns bei den Russen. Ich schlug Huskys vor, wegen der Kälteresistenz, aber der Mann schüttelte entschieden den Kopf. „Die Russen“, sagte er mit plötzlich verfinstertem Gesichtsausdruck, „züchten zwar tolle Owtscharkas – aber das sind viel zu nette Hunde , die würde ich nie mit den Russen vergleichen.“

Zunächst Wirtshaus

Waidmannslust war der Name eines Wirtshauses, bevor es der Name eines Ortsteils wurde. Wo heute der Waidmannsluster Damm verläuft, gründete ein Förster namens Ernst Bondick um 1875 eine mit Jagdtrophäen geschmückte Waldgaststätte, die zum beliebten Ausflugsziel wurde.

Als das nordwestliche Berlin ein paar Jahre später eine Bahnanbindung bekam, ließen sich die ersten Villenbesitzer in Waidmannslust nieder. Bis heute prägen dichte Waldstücke den kleinen, im Norden und Süden von zwei malerischen Fließen eingefassten Ortsteil, dessen Gründungsgeist an jagdaffinen Straßennamen wie Am Ansitz, Hubertus-, Artemis- oder Hochjagdstraße abzulesen ist.

Außerdem bildete ich mir ein, in Waidmannslust auffällig viele Hunde zu sehen – an den Leinen der Spaziergänger, auf den Warnschildern der Villenumzäunungen sowie am Jubiläumsbrunnen vor der Dorfkirche, gebaut 1925 zum 50-jährigen Bestehen des Ortes und gekrönt von einem kleinen steinernen Jäger, an dessen Knie sich ein Terrier schmiegt.

Hochhaussiedlung bis in den Himmel

Südöstlich der S-Bahn-Station enden die Villen abrupt, hier ragt eine Hochhaussiedlung in den Waidmannsluster Himmel. Mit dem noblen Rest des Ortsteils verbanden das Wohngebiet in meinen Augen allein die Hunde, von denen es hier noch mehr zu geben schien. Am Zabel-Krüger-Damm kam ich mit einer jungen Frau mit pink gefärbten Haaren ins Gespräch, die an vier Leinen drei Australian Shepherds und einen kleinen Havanesen ausführte. Sie schüttelte den Kopf, als ich fragte, ob dieser Teil von Waidmannslust ebenfalls von arroganten Pudelfranzosen geprägt gewesen sei. „Hier war schon immer Multikulti“, sagte sie. „Hier wohnen Mischlinge.“

Fläche: 2,3 km² (Platz 88 von 96)

Einwohner: 10 668 (Platz 76 von 96)

Durchschnittsalter: 42,6 (Berlin: 42,7)

Lokalpromis: Ernst Bondick (Förster und Gastwirt), Marianne Sydow (Science-Fiction- Autorin)

Gefühlte Mitte: S-Bahnhof Waidmannslust

Alle Folgen

86 Ortsteile hat Jens Mühling schon besucht. Alle Folgen seiner Kolumne „Mühling kommt rum“ finden Sie auf unserer Internetseite unter: www.tagesspiegel.de/96malberlin

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