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Die Wahl funktioniert, die Wahlbeteiligung bleibt gering.

© dpa / Hauke-Christian Dittrich

Wahlwiederholung in Berlin: Es war kein Fest der Demokratie

Von allem gab es mehr, um diese zweite Wahl zu wuppen. Gleichzeitig, so scheint es, gab es in Berlin selten mehr Unentschlossene und Unzufriedene.

Ein Kommentar von Ann-Kathrin Hipp

Es sollte ein „Fest der Demokratie“ werden. Das hatte Landeswahlleiter Stephan Bröchler Berlin kurz nach seinem Amtsantritt versprochen. „Wir tun alles dafür, was wir können. Alle Beteiligten sind sich, so nehme ich es wahr, der Verantwortung bewusst.“

Ein Mann, wenige Worte: Die Wahl muss funktionieren. Wenn schon nicht im ersten Anlauf, dann wenigstens im zweiten. Und was soll man sagen: Er hat es geschafft. Berlin ist wieder wer. Zumindest wer, der sich im Stande sieht, das demokratische Grundrecht von freien, gleichen, geheimen, allgemeinen und unmittelbaren Wahlen zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass jede Stimme, die abgegeben wird, auch wirklich zählt.

90 Tage hatte Stephan Bröchler als Rund-um-die-Uhr-Ehrenamtlicher und selbsternannter„König ohne Land“, um die als „Herkulesaufgabe“ betitelte Wahlorganisation zu stemmen und Berlins internationalen Ruf wiederherzustellen. 90 Tage hat er genutzt, um vor allem „Ressourcen an Material und Personal“ aufzustocken.

Mehr Erfrischungsgeld, mehr Helfer:innen, mehr Personal in den Wahlvorständen, mehr Kabinen, mehr Stimmzettel, mehr Zeit für die Stimmabgabe. Dass es im Gegenzug nur zwei statt vier Abstimmungen und keinen Berlin-Marathon zu bewältigen gab, hat der Sache sicherlich nicht geschadet. Kleinere Pannen? Sind an diesem Sonntag geschenkt und schnell behoben. Hauptsache nicht strukturell, Hauptsache „möglichst reibungslos“!

„Berlin ist keine Bananenrepublik!“ Das hatte Stephan Bröchler erst kürzlich wieder in einem Interview mit der „Rheinischen Post“ betont. Wenige Tage später, so scheint es am Sonntagabend, lässt sich auch folgende Botschaft guten Gewissens ins Rheinland und die Welt senden: Berlin kann (wieder) Wahlen – ganz ohne Warteschlangen und Wegproviant! Und zeigt diese Wiederholung nicht zuletzt, dass die Demokratie es schafft, Fehler einzugestehen? Aus ihnen zu lernen? Ja, das kann man so sehen.  

Und doch: Ein Fest war das nicht. Der Himmel über Berlin – grau in grau in grau – bleibt am Sonntag Sinnbild der stadtweiten Stimmung. „Die Sonne ist heute fast nicht zu sehen“, liest man auf den gängigen Wetterportalen. Wolkendecke geschlossen, gebietsweise trüb, örtlich Sprühregen möglich, Temperaturen liegen zwischen sechs und acht Grad. Nicht nur wetterbedingt wurde Berlins zweiter Urnengang zur leidigen Pflicht. Warum zur Hölle nochmal wählen? Und wenn ja: Wen verdammt?

Meine wichtigste demokratiepolitische Aufgabe ist es, verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen

Landeswahlleiter Stephan Bröchler nach seinem Amtsantritt

Von allem gab es mehr, um diese Wahl zu wuppen. Gleichzeitig, so scheint es, gab es selten mehr Unentschlossene und Unzufriedene. Die „in der Stadt herrschende Ratlosigkeit“, von der Forsa-Chef Manfred Güllner noch vor wenigen Tagen gesprochen hatte, manifestiert sich in Wechselstimmung - und einer geringeren Wahlbeteiligung.

Kurzer Blick in den Tagesspiegel-Liveblog: „Ruhiger Nachmittag in Tempelhof“, „Gähnende Leere in Pankow“, „Kein Schlangestehen in Reinickendorf“, „Mitte, Stimmbezirk 221, 12.30 Uhr: Wartezeit 0 Minuten.“ Immerhin: Alle freuen sich, dass jemand kommt. Aber wie viele kommen überhaupt? 38 Prozent der Wahlberechtigten haben ihre Stimme nicht abgegeben. Sei es aus Unkenntnis, aus Mangel an Alternativen, aus Trägheit oder einfach nur aus Frust. Es sind rund 13 Prozent mehr als noch 2021.

„Meine wichtigste demokratiepolitische Aufgabe ist es, verlorengegangenes Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger durch eine gut organisierte Vorbereitung und Durchführung der Wahlen zurückzugewinnen“, auch das hatte Stephan Bröchler nach seinem Amtsantritt gesagt.

Dass Vertrauen wachsen muss, ist dabei kein Geheimnis. Dass bis heute keiner politische Verantwortung für das Wahldesaster von 2021 übernommen hat, auch nicht. Allen, egal ob Gewinner oder Verlierer, muss bewusst sein: Gänzlich ungetrübt feiern lässt sich hier heute nicht.

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