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Über 80 Jahre arbeitete hier der Bezirksbürgermeister von Tiergarten beziehungsweise Mitte.

© Doris Spiekermann-Klaas

Bezirkschef zieht in ein neues Büro: Von Dassel macht Platz für Geschichte

Im Rathaus Tiergarten eröffnen zwei neue Ausstellungen. Eine davon haben Schüler gestaltet.

Wenn Geschichte erdrückend sein kann, dann in diesem Raum: Die Wände aus dunklem Nußbaum, von der Decke ragt ein Eisenleuchter in Form eines Wagenrads. Über 80 Jahre war dies der Sitz der Bezirksbürgermeister von Tiergarten, später von Mitte. Seit heute ist es ein Museum.

Im April hatte der aktuelle Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel (Grüne), verkündet, dass er in einem Büro aus der NS-Zeit nicht arbeiten möchte. Das Zimmer ist jedoch denkmalgeschützt und kann somit nicht renoviert werden. Leer stehen sollte es aber auch nicht. So widmete sich das Mitte Museum, das sich mit der Regionalgeschichte in Mitte, Tiergarten und Wedding auseinandersetzt, den vier Wänden.

Die Geschichte des Rathauses, erbaut von 1935 bis 1937, ist wenig ruhmreich. „Es ist der erste Rathaus-Neubau der NS-Zeit in Berlin“, sagt Sigrid Schulze, Kunsthistorikerin am Mitte Museum. Der Berliner Architekt Richard Ermisch gestaltete es ganz in der Formensprache der Nationalsozialisten: die Fassade ist mit Naturstein vertäfelt, der Grundriss ist in Form eines „H“ geformt, über dem Eingang ragt ein „Führerbalkon“. Es sei noch ein früher Nazi-Bau, ergänzt Schulze. Von der Monumentalität der späteren Bauten des Architekten Albert Speer sei das Rathaus noch weit entfernt gewesen.

Daher überwältigt das Büro des Bezirksbürgermeisters auch nicht. Es ist eher ein biederer, dunkler Raum. Dessen erster Nutzer der überzeugte Nationalsozialist Paul Schuder war. Wie genau Schuder und seine Mitarbeiter in die Verbrechen der Nationalsozialisten involviert waren, ist bislang noch kaum erforscht. Fest stehe nur, dass die Verwaltung von NS-Funktionären besetzt gewesen sei, so Sigrid Schulze. Eine Aufgabe der neuen Ausstellung und künftiger Forschungen ist es, diese Lücke aufzuarbeiten.

So kommt die Ausstellung erst einmal mit schlichten Schautafeln aus, einziges – begehbares – Exponat ist das Zimmer des Bezirksbürgermeisters selbst.

Schüler verarbeiten ihre Gedenkstättenfahrten im Rathauszimmer

Während dieser Teil der Ausstellung ganz klassisch die Geschichte des Rathauses nacherzählt, geht es in einem zweiten Teil darum, wie Schüler Geschichte erleben. Genauer sind es Schüler der AG Erinnern der Theodor-Heuss-Gemeinschaftsschule. Sie haben die Ausstellung „Hier Dort Damals Heute“ gestaltet.

Die 15- bis 18-jährigen Schüler thematisieren dort ihre Gedenkstättenfahrten der letzten drei Jahre nach Israel, Frankreich, Spanien und Polen. Ihre Familien stammen aus der Türkei, dem Libanon, aus dem Irak oder aus Palästina. „Also eigentlich aus Familien, die eine antijüdische Einstellung haben“, erklärt Sabeth Schmidthals. Sie ist Lehrerin an der Gemeinschaftsschule und leitet die AG Erinnern. Auf selbst erstellten Texten, Fotografien und Tonaufnahmen setzen sich die Schüler mit ihren Reisen und auch ein stückweit mit ihrer eigenen Identität auseinander. Wie findet man einen Zugang zur Geschichte eines Landes, der sie sich angehörig fühlen können, aber nicht müssen?

Die Schüler behandeln auch einen Vorfall aus ihrer Reise nach Polen im Sommer: Dort wurden die überwiegend muslimischen Schüler beleidigt, bedroht und einmal sogar angespuckt. Der Fall sorgte für mediale Aufmerksamkeit „Das hat sie sehr beschäftigt“, sagt Magdalena Zagorski, Studentin des Kommunikationsdesigns und Kuratorin der Ausstellung. In Tagebucheinträgen berichten die Schüler davon.

Bis Ende Februar sind die Ausstellungen im Rathaus Tiergarten noch zu sehen. Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel hat sich derweil in einem neuem Büro eingerichtet. Das liegt im gleichen Stockwerk und ist um die Hälfte kleiner als das alte. Mit seinem Umzug hat er also Platz für ein Stück Geschichte gemacht.

Die Ausstellungen „Das Rathaus Tiergarten 1935-1954. Spuren der Geschichte“ und „Hier Dort Damals Heute. Jugendliche aus Moabit erinnern“ sind von heute an bis 23. Februar im Rathaus Tiergarten zu sehen. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag, 10 bis 17 Uhr, Eintritt frei, Vernissage heute 17 Uhr.

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