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Lehrerinnen dürfen nicht mehr wegen ihres Kopftuchs abgewiesen werden. 

© Getty Images/MixMedia

Update

Unterrichten mit Kopftuch: Die Berliner Bildungsbehörde beugt sich der Justiz

Lehrerinnen dürfen an Berliner Grund- und Oberschulen nicht mehr wegen ihres Kopftuchs abgewiesen werden. Die ersten Schulleitungen kritisieren das bereits.

Rund 3000 Lehrkräfte muss Berlin zum Sommer neu einstellen – und erstmals dürfen auch Lehrerinnen mit Kopftuch an den Grund- und Oberschulen dabei sein. Das hat die Senatsverwaltung für Bildung mit einem Rundschreiben an alle Schulen deutlich gemacht. Sie zieht damit die Konsequenz aus entsprechenden Gerichtsurteilen. Grünen-Politiker lobten den Schritt. Hingegen warten am Dienstag die ersten Schulleitungen vor den Folgen für das Schulleben, wenn das Neutralitätsgesetz anders als bisher nicht mehr dazu dienen kann, religiöse Zeichen aus der Schule fernzuhalten.

„Das Neutralitätsgesetz war letztlich ein Filter, um eine mögliche direkte Einflussnahme durch weibliche Lehrkräfte mit sichtbarem muslimischem Kleidungsstil abzuwehren“, lautet die Einschätzung des Neuköllner Schulleiters Detlef Pawollek. Er gehört zum Vorstand der Vereinigung der Schulleitungen in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Pawollek hält die Entscheidung, das Rundschreiben gerade jetzt – noch vor dem Ende der Koalitionsverhandlungen – zu versenden „für falsch“.

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„Das offensive Tragen religiöser Symbole gibt der Religion in der Schule eine Bedeutung, die per se den Schulfrieden gefährdet“, findet gar Ronald Rahmig, der für die Schulleitungen berufsbildender Schulen spricht. Diese Symbole seien Teil einer nonverbalen Kommunikation. Für Schülerinnen und Schüler werde auf diese Weise „Ehrbarkeit unzulässig mit Religiosität konnotiert“. Dieser Wirkungsmechanismus sei „schleichend“. Rahmig erinnerte daran, dass „im Iran gerade Frauen und Männer für die Befreiung vom Kopftuch kämpfen und sterben“.

 Eine Überführung ‚religiöser Brandstifter´ ist letztlich nur eine abstrakte Größe und in der Realität nicht leistbar.

Detlef Pawollek, Vorstand der GEW-Schulleitervereinigung

Auch die Bildungsverwaltung hatte sich jahrelang dagegen ausgesprochen, dass sichtbare religiöse Symbole gezeigt werden. In die gleiche Richtung geht das Neutralitätsgesetz. Allerdings verlor die Verwaltung sämtliche Prozesse von Lehrerinnen, die mit Kopftuch in die Schule wollten.

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Es geht um den „Schulfrieden“

Das Bundesverfassungsgericht hatte in einem früheren Spruch deutlich gemacht, dass das Tragen der Symbole nur dann verboten werden dürfe, wenn der Schulfrieden konkret gefährdet sei. Seither tobte die Diskussion darüber, wie denn die „konkrete Gefährdung“ messbar sei. Eine Überführung „religiöser Brandstifter“ sei in der Realität „nicht leistbar“, wehrt auch Pawollek die Herangehensweise des Bundesverfassungsgerichts ab. Im Übrigen gebe es ausreichend schulische Beispiele für „religiöse Machtdemonstrationen durch Schüler“.

Die Bildungsverwaltung betont in ihrem Schreiben, sie sei an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden. Daher rücke sie „von ihrer bisherigen wortgetreuen Anwendung des Neutralitätsgesetzes ab“. Nur in den Fällen, in denen sich konkret die Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität abzeichne, sei das Tragen religiös geprägter Kleidungsstücke und Symbole zu untersagen.

Zudem hätten die Erfahrungen anderer Bundesländer gezeigt, dass das Tragen religiöser Kleidung nicht zu erheblichen Konflikten an Schulen geführt habe. Es gehöre nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Aufgabe der Schulen, Toleranz auch gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen zu vermitteln. Dieses Ideal müsse im Interesse einer ausgleichenden, effektiven Grundrechtsverwirklichung gelebt werden dürfen.

Die Schulaufsicht soll helfen

Die Bildungsverwaltung macht in dem Rundschreiben, das dem Tagesspiegel vorliegt, deutlich, dass die Schwelle für die Annahme einer konkreten Störung oder Gefährdung des Schulfriedens hoch ist. Es müsse nachweisbar sein, dass der jeweilige beanstandete Konflikt „durch Sichtbarkeit religiöser Überzeugungen und Bekleidungspraktiken erzeugt oder geschürt wird.“

Nicht nur in Zeiten des Lehrkräftemangels sind diese Lehrerinnen ein großer Gewinn für unsere Schulen.

Louis Krüger, schulpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion

Die Grünen-Abgeordnete Tuba Bozkurt kritisierte diese Passage um den möglicherweise gefährdeten Schulfrieden als „Hintertürchen“ für abermalige Verbote. Es müsse aus dem Rundschreiben verschwinden. Sie lobte aber ebenso wie ihr Fraktionskollege Louis Krüger, dass Lehrerinnen mit Kopftuch nun eine Perspektive im Berliner Schuldienst geboten werde. Nicht nur in Zeiten des Lehrkräftemangels seien diese Lehrerinnen „ein großer Gewinn für unsere Schulen“, so Krüger.

Bislang durften religiöse Symbole nur von Beschäftigten an Berufsschulen getragen werden, weil die Bildungsbehörde davon ausging, dass die älteren Schülerinnen und Schüler weniger durch ihre Lehrkräfte beeinflusst werden als jüngere. Das hatte die Vereinigung der Berufsschulleiter stets kritisiert: „Wir bemerken in vielen Situationen, dass auch an unseren Schulen die Lehrkräfte immer noch als Vorbilder vieler Jugendlicher herangezogen werden“, betont Rahmig. Dies gelte insbesondere unter dem Einfluss nonverbaler Kommunikationsmittel wie etwa der Kleidung.

Rahmigs Kollegen haben zudem beobachtet, dass ein demonstratives religiöses Bekenntnis an den Berufsschulen „zu einer religiös motivierten Gruppenbildung führt“. Zudem würden bestimmte Rollenbilder gestärkt, welche mitunter den Erziehungszielen der Berliner Schule klar entgegenstünden. Daher hatte die Berufsschulleitervereinigung gefordert, das Neutralitätsgesetz auf ihre Schulform auszuweiten.

Die Menschenrechtsorganisation „Terre des femmes“ sieht das ähnlich: „Aus der Praxis und aus der Wissenschaft wissen wir, dass Mädchen muslimischen Glaubens religiöses Mobbing erleiden können, wenn sie kein ‚Kinderkopftuch’ tragen“, heißt es in einer Stellungnahme zur Bedeutung des Neutralitästgesetz.es. In Extremfällen würden sie als „Schlampen“ und „unreine Huren“ bezeichnet.

Andere trügen ein Kopftuch, um soziale Anerkennung ihrer MitschülerInnen zu erhalten, wenngleich sie selbst aus säkularen Familien stammten. „Lehrerinnen mit Kopftuch befrieden das Thema religiöses Mobbing und Druck um soziale Anerkennung nicht“, steht für die Organisation fest.

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