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© Mike Wolff

Finanzsenator: Ulrich Nußbaum: Smart, aber hart

Im seinem ersten Jahr bemühte sich Senator Nußbaum um Erfolge bei der Sanierung der Finanzen, um Bürgernähe und ein eigenes Profil. Wird er 2011 vielleicht SPD-Spitzenkandidat?

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

In seinem ersten Jahr in Berlin, das jetzt zu Ende geht, hat Ulrich Nußbaum bleibenden Eindruck hinterlassen. Nicht nur deshalb, weil der Finanzsenator seit dem Amtsantritt am 2. Mai 2009 keine gravierenden Fehler machte und mit dem Landeshaushalt für die kommenden zwei Jahre die erste Feuerprobe bestand. Sondern vor allem wegen der Art und Weise, wie der Unternehmer aus Bremerhaven seinen politischen Job versteht – und wie er auf die Menschen zugeht. Nußbaum ist einer, der auch zuhören kann und dem Gegenüber zumindest den Eindruck vermittelt, auf gleicher Augenhöhe zu sein. Äußerst selbstbewusst, jovial, ein bisschen schnoddrig und spitzbübisch, charmant und eine Attraktion für Frauen mittleren Alters. Ganz anders als sein Vorgänger Thilo Sarrazin, aus dessen Schatten Nußbaum längst herausgetreten ist.

Eine durchaus typische Szene: Im Kasino des Abgeordnetenhauses bitten die Grünen-Abgeordneten Anja Kofbinger und Canan Bayram den Finanzsenator um ein Gespräch. Die beiden Frauen fordern streng, dass bei der Neubesetzung der BVG-Spitze weibliche Bewerber berücksichtigt werden. Als Aufsichtsratschef der Berliner Verkehrsbetriebe ist Nußbaum der maßgebliche Entscheidungsträger. Da sitzt er nun, am Abend des 10. Dezember während der Haushaltsberatungen im Landesparlament, mit den beiden Politikerinnen am Tisch und wickelt sie mit einer Charmeoffensive ein. Die Grünen-Politikerinnen tauen auf, man lacht, man plaudert, aus den Augen des Senators blitzt gelegentlich der Schalk. Die drei sind sich am Ende nicht vollends einig, aber verabschieden sich freundlich voneinander.

Wer daraus den Schluss zieht, Nußbaum sei einfach nur ein netter Mensch, der irrt jedoch gewaltig. Sonst hätte er nicht schon als junger Geschäftsmann in der schwierigen Branche der Hochseefischerei sein erstes Geld verdient, und zwar nicht wenig. Ein Profi in der Kunst des harten Verhandelns und der Durchsetzung eigener Interessen. Früher muss er, so hört man, ein brutaler Trickser gewesen sein. Mit den Jahren hat sich das wohl abgeschliffen. Nun sitzt – im vierten Stock der Klosterstraße in Berlin-Mitte – ein Finanzsenator am Schreibtisch, der seine finanzpolitische Linie beharrlich, aber konziliant vertritt. Und allmählich versteht Nußbaum, wie Berlin tickt. Auch das hilft.

Nehmen wir zum Beispiel das Internationale Congress-Centrum (ICC), das den West-Berlinern so lieb ist, aber eben auch teuer. Vor wenigen Wochen entschied sich Nußbaum, die horrenden Finanzrisiken, die eine Sanierung des asbestverseuchten Gebäudes in sich birgt, öffentlich anzuprangern. Und einen Abriss nicht auszuschließen. Dafür bezog der parteilose Finanzsenator Prügel in der SPD-Fraktion, aber der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) stand ihm zur Seite. Jetzt wird noch einmal spitz nachgerechnet, das ist ein kleiner Erfolg für Nußbaum.

Auch andere Baustellen, die der Vorgänger Sarrazin hinterließ, wurden energisch in Angriff genommen. So hat Nußbaum beispielsweise die ausufernden Investitionspläne der Gesundheitskonzerne Charité und Vivantes teilweise eingestampft. Das Management der Verkehrsbetriebe wird neu geordnet, der BVG-Chef Andreas Sturmowski muss gehen. Der Stellenpool im öffentlichen Dienst wurde mithilfe aller Parlamentsfraktionen reformiert, und angesichts der Lage am Immobilienmarkt entschied Nußbaum, den Verkauf der Risikoimmobilien der ehemaligen Bankgesellschaft Berlin zu stoppen. Bei der Finanzplanung bis 2013 setzte der Senator seine Linie durch: Die Ausgaben dürfen nur noch um 0,3 Prozent jährlich steigen. Sarrazins Linie von 1,3 Prozent wurde damit deutlich korrigiert.

Als Erfolg kann Nußbaum auch für sich verbuchen, die kostspieligen Verbesserungen der Kitabetreuung nicht über neue Schulden, sondern im Rahmen des Landeshaushalts zu finanzieren. Und während Ex-Senator Sarrazin sich gern auf kriegerische Gefechte mit den zwölf Bezirken einließ, setzte Nußbaum auf eine neue Befriedungsstrategie. Die Bezirke erhielten 82 Millionen Euro zusätzlich. Unerlässliche kommunale Aufgaben, so lautet das Credo des Finanzsenators, müssten auch auskömmlich finanziert werden. Mit solchen Aktionen, und mit deutlicher Kritik an der Steuer- und Haushaltspolitik der schwarz-gelben Bundesregierung, hat er sich sogar in die Herzen der SPD-Linken gespielt, die Nußbaums „wohltuende und deutliche“ finanzpolitischen Akzente loben.

Im kommenden Jahr will sich Nußbaum auf die weitere Sanierung der landeseigenen Betriebe und auf die Finanzierung der Bildungseinrichtungen konzentrieren, die vom Bund angeblich mehr Geld erhalten sollen. Auch 2010 wird ein sehr schwieriges Jahr für das arme Berlin, da ist jeder Finanzsenator zum Erfolg verdammt. Das heißt nicht, dass der Hoffnungsträger aus dem kühlen Norden in den rot-roten Reihen unangefochten wäre. Mit despektierlichen Äußerungen über Senatskollegen, etwa den Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) und die Gesundheitssenatorin Lompscher (Linke), machte sich Nußbaum im Sommer dieses Jahres zeitweilig unbeliebt. Die Linke fand auch einen ziemlich arroganten Auftritt des Senators in ihrer Fraktion zu Beginn der Haushaltsberatungen nicht komisch. Anfangs meckerten auch einige SPD-Linke, weil der Neue kein sozialdemokratisches Parteibuch hat. Mit Christian Sundermann holte Nußbaum im Juli einen Staatssekretär aus Sachsen-Anhalt nach Berlin. Ein kluger, unabhängig denkender Kopf. Heimische Anwärter auf den interessanten Posten, wie der SPD-Haushaltsexperte Stefan Zackenfels, fühlten sich übergangen. Auch Nußbaums Büroleiter Jan Köhler kommt aus fremdem Stall. Der ausgewiesene Finanzfachmann saß in Bremen im Landesvorstand der Grünen.

Aber Rot-Rot hat sich mit der Zeit an das unkonventionelle Regierungsmitglied gewöhnt. Zumal Nußbaum in den Meinungsumfragen relativ weit oben auf der Beliebtheitsskala steht. Von solcher Popularität konnte Sarrazin nur träumen, wenn es ihn denn überhaupt interessierte. Sarrazin bemüht sich ja auch als Bundesbanker noch sehr darum, dem Image als sozial- und migrationspolitischer Hardliner gerecht zu werden. Viele Sozialdemokraten haben sich längst innerlich von ihrem Ex-Senator verabschiedet. Das zeigt sich auch daran, dass die Vorstände der SPD Spandau und Alt-Pankow gegen die Entscheidung des SPD-Kreisschiedsgerichts Charlottenburg-Wilmersdorf, dass Sarrazin Parteimitglied bleiben darf, am Freitag Berufung eingelegt haben. Was seinem Vorgänger nie wichtig war, versucht Nußbaum mit gezielten Kampagnen zu erreichen: den Eindruck, bürgernah zu sein. Bei den Märchentagen las er vor, er tingelte durch die Bezirke, schaute sich in Marzahn-Hellersdorf altersgerechte Wohnungen an und in Steglitz-Zehlendorf das Schwimmbad Finckensteinallee. Er sprach auf dem Betriebshof mit BVG-Mitarbeitern und im Polizeiabschnitt 52 mit Kreuzberger Polizisten. Er eröffnete im Finanzamt Spandau einen Eltern-Kind-Arbeitsplatz und stellte sich im Oberstufenzentrum den Schülerfragen. Alle, die von Nußbaum etwas wissen wollen, können auf der Internetplattform direktzu.berlin.de/nussbaum mit ihm in Verbindung treten.

Nußbaum ist auch gern gesehener Gast bei Kammern und Unternehmensverbänden. Und kürzlich sprach er auf einem Forum der Freien Universität über sein Lieblingsthema: „Der Unternehmer als Politiker“. Manchmal helfen auch glückliche Umstände, um das eigene Profil zu schärfen. So übernimmt Nußbaum am 1. Januar 2010 turnusmäßig den Vorsitz der Finanzministerkonferenz von Bund und Ländern. Ein schönes Podium, um sich öffentlichkeitswirksam zur Steuer- und Haushaltspolitik des Bundes, zur Schuldenbremse und anderen Themen zu äußern, die bundespolitisch relevant sind. Der häufige Auftritt in den überregionalen Medien ist dem Finanzsenator sicher. Selbst wenn er seine Drohung, gegen die Steuerpolitik von CDU und FDP vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, vorerst nicht wahrmacht.

Der Mann hat Ehrgeiz – und findet sich selber richtig gut. Wer Nußbaum näher kennenlernt, kann sich kaum vorstellen, dass ihm das Amt des Finanzsenators auf Dauer genügt. Im Herbst 2011 sind Wahlen in Berlin. Hier und da wird gemunkelt: Sollten die Sozialdemokraten, in welcher Konstellation auch immer, an der Regierungsmacht bleiben, könnte Nußbaum ins Wirtschaftsressort wechseln. Das wäre die kleine Lösung. Aber es ist ja noch nicht ausgemacht, dass Klaus Wowereit ein drittes Mal als Spitzenkandidat antritt. Zurzeit äußert er sich dazu ausweichend. Sollte Wowereit tatsächlich etwas Besseres vorhaben, kämen nach derzeitigem Stand nur zwei Politiker infrage, die in die Lücke springen könnten: der Berliner SPD-Landeschef Michael Müller. Oder Nußbaum, der sich diese Ehre wohl mit dem Eintritt in die SPD erkaufen müsste.

Allerdings ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass 2011 die Grünen stärkste Partei in Berlin werden. In diesem Fall könnte, um die SPD als Juniorpartner in eine Koalition zu locken, ein parteiloser Kompromisskandidat für das Rote Rathaus von Vorteil sein. Nußbaum versteht sich mit den Grünen gut.

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