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Frank Stauss, SPD-Wahlkampfmanager, bei Maybritt Illner

© picture alliance / zb/Karlheinz Schindler

SPD-Wahlkampflegende rechnet ab: „Die Selbstpulverisierung der Berliner SPD“

Frank Stauss ist der bekannteste SPD-Wahlkampfmanager in Deutschland. Franziska Giffeys Entscheidung für die Koalition mit der CDU schaffe die SPD in der Hauptstadt ab, meint er.

Ein Gastbeitrag von Frank Stauss

Das Ergebnis der SPD Berlin am 26. September 2021 war schon eine Katastrophe und blieb deutlich unter den Hoffnungen. Am Wahltag lag Giffey nach den Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen in der Direktwahl bei 39 Prozent – aber selbst ihr Vorgänger Michael Müller lag 2016 noch bei 54 Prozent. Das Ergebnis bei der Wiederholungswahl 2023 war noch schlimmer und die Direktwahl-Quote von Franziska Giffey lag diesmal noch unter der von 2021 – bei 32 Prozent. Ein Amtsmalus. 

Die Berliner:innen fremdelten mit Franziska Giffey und Franziska Giffey mit Berlin. Die drängendsten Probleme, damals wie heute, waren der Miet- und Wohnungsmarkt und die Verkehrswende – aber in dieser Kandidatin sahen sie keine Zukunftskompetenz.

Schwach blieb die Regierende Bürgermeisterin auch in der Aufarbeitung der Wahlunregelmäßigkeiten 2021, die zwar nicht von ihr, aber von einem ihrer Senatoren zu verantworten waren. Der ehemalige Innensenator Andreas Geisel durfte bleiben. Ein konsequentes Durchgreifen blieb aus.

Sichtlich angeschlagen: Am Wahlabend war die Stimmung bei den SPD-Parteivorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh schlecht. Beide hatten auch ihre Wahlkreise verloren.
Sichtlich angeschlagen: Am Wahlabend war die Stimmung bei den SPD-Parteivorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh schlecht. Beide hatten auch ihre Wahlkreise verloren.

© imago/serienlicht

Es blieb – und bleibt – überhaupt so vieles aus. Vor allem die Aufarbeitung der beiden Wahlklatschen 2021 und 2023. Giffey und ihr Co-Vorsitzender Saleh gingen und gehen wohl davon aus, dass die Berliner:innen eine konservative Wende gewählt hätten. Das ist objektiv nicht der Fall und zu diesem Schluss kann man nur kommen, wenn man sich selbst aus der Verantwortung nehmen will.

Tatsächlich haben die Berliner:innen – wie schon so oft – eine satte progressive parlamentarische Mehrheit (90 von 159 Mandaten) in der Stadt gewählt – ohne progressive Politik zu bekommen. Sie haben die SPD eher nicht gewählt, weil sie ihnen zu wenig fortschrittlich war. Weil sie das Gefühl vermittelt bekamen, dass diese SPD dem Fortschritt regelrecht im Wege stehe. Dabei geht es nicht immer darum, ob es so war – sondern ob es so schien. Und den Eindruck der SPD als Bremserin in dieser Koalition konnte man durchaus bekommen.

Die CDU profitierte 2023 von einem Mobilisierungserfolg – auch auf Kosten der FDP übrigens – und vor allem auch von einem Mobilisierungsdefizit der SPD. Hervorgerufen auch durch die SPD – „Kompetenzverluste im Bereich ‚Wohnungsmarkt‘“ – so die Forschungsgruppe Wahlen in ihrer Analyse. Was für ein Wunder, wenn man sich beim Enteignungsvolksentscheid gegen 60 Prozent der Bevölkerung stellt.

Mit besserer Kandidatin hätten die Grünen schon 2021 gewonnen

Dabei gab es auch viele Fehler der anderen – allen voran die überflüssige Friedrichstraßenaktion der Grünen. Eine Symbolpolitik rund um eine trostlos verbaute Straße. Wenn man schon Verkehr beruhigen will, warum nicht da, wo Menschen leben? An der Nummer war alles falsch, sie hat die Grünen auch Stimmen gekostet – aber das löst nicht das Problem der SPD. Ohne ihren Friedrichstraßenmurks wären die Grünen deutlich vor der SPD gelandet. Mit einer überzeugenderen Spitzenkandidatur sowieso – auch schon 2021.

Der SPD ist es 2023 nicht gelungen, sich von den Grünen durch progressive und programmatische Kompetenz abzusetzen. Olaf Scholz vermittelte 2021 mehr Progressivität als die SPD-Spitze in der größten Metropole Deutschlands.

SPD darf sich nicht bei der CDU anbiedern

Die SPD trägt bei vielen Wähler:innen immer noch die Grundvermutung in sich, dass sie sich bei progressiven Mehrheiten auch für einen fortschrittlichen Kurs entscheiden wird. Vor allem in einer Stadt wie Berlin. Es war in diesem Wahlkampf daher nicht leicht, die Wähler:innen davon zu überzeugen, nach all den Jahren und all den Pannen, diesmal doch noch einmal SPD zu wählen. Das beste Argument war immer, die CDU zu verhindern. Es war auch oft das letzte Argument.

Sollte die SPD nun geradezu anbiedernd ihr Heil in den Armen der CDU suchen, machte sie sich in dieser Stadt endgültig überflüssig. Eine schwächere Verhandlungsposition kann man sich ja gar nicht schaffen. Es ist ein strategisch völlig falscher Schritt auf Basis einer völlig falschen Analyse. Die SPD muss natürlich auch gar nicht regieren, sondern könnte auch mal versuchen, sich in der Opposition neu zu sammeln. Auch dann mit neuem Köpfen und neuen Inhalten.

Aber eine Große Koalition ohne Not? Die SPD hat noch nicht einmal ein demokratietheoretisches Argument auf ihrer Seite, sich der CDU anzudienen. Es gilt nicht, einen Rechtsruck mit der AfD oder sonst etwas Dramatisches zu verhindern. Mit ihrem Schritt in Richtung CDU verhindert die SPD nur sich selbst. Also einen Senat unter SPD Führung, der gerade – wenn auch knapp – bestätigt wurde. Wie absurd ist das denn?

Dieser Rot-Grün-Rote Senat ist trotz widriger Umstände wiedergewählt worden. Die stärksten – wenn auch überschaubaren – Verluste im progressiven Lager, hat dabei die SPD erlitten. Dieser Senat – einschließlich seiner Chefin – hat also vom Volk die Chance bekommen, es besser zu machen als im ersten Anlauf. Das Bündnis verfügt über 90 von 159 Sitzen – Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün über 86. Was gibt es daran nicht zu verstehen?

Nicht auf der Bremse stehen

Wäre es jetzt für die SPD nicht Zeit, es mit einem wirklich progressiven Senat zu versuchen? Nicht auf der Bremse zu stehen, sondern vorneweg ein progressives Bündnis anzuführen, das die Mehrheit der Berliner:innen 2021 gewählt und 2023 im Amt bestätigt haben? Es wäre die Chance auf den ersten progressiven Senat unter SPD-Führung seit Jahren.

Der Politikberater und Autor Frank Stauss hat die Wahlkämpfe der SPD in Berlin 2001, 2006, 2011 und 2016 sowie mehrere Bundestagswahlkämpfe der SPD betreut und ist Autor des Spiegel-Bestsellers „Höllenritt Wahlkampf – ein Insider-Bericht“. Dieser Gastbeitrag ist eine gekürzte Version eines Blog-Eintrages des Autoren.

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