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Mit aller Wucht. Eine riesige Schlammfontäne stieg bei der Sprengung neben der Heilig-Geist-Kirche in den Himmel. Foto: Nestor Bachmann/dpa

© dpa

Berlin: Sogar die Seismografen schlugen aus

250-Kilo-Blindgänger in Potsdam gesprengt. Staubfontäne stieg fast 100 Meter hoch in den Himmel

Von Peer Straube

Potsdam - Der alte Mann winkt ab. „Das ist doch nur eine 250-Kilo-Bombe“, sagt der Bewohner des Potsdamer Heilig-Geist-Seniorenstifts, während er darauf wartet, vorübergehend ausquartiert zu werden. „Die Luftminen im Zweiten Weltkrieg haben eine Tonne gewogen.“ 7000 Menschen müssen ihre Wohnungen oder Büros verlassen, weil in ihrer Nachbarschaft ein Blindgänger aus dem Krieg beseitigt werden muss. Zum ersten Mal wird in Potsdam eine Bombe gesprengt, die im Wasser liegt. Bei einer Kampfmittelsuche in der Nuthe hatten Experten sie entdeckt. Entschärft werden konnte die Fliegerbombe nicht, weil der Aufschlagzünder stark verrostet war.

300 Mitarbeiter der Stadtverwaltung, 200 Polizisten und 60 Feuerwehrleute stellen am Donnerstagmorgen sicher, dass der Sperrkreis, den die Behörden um die Bombe gezogen haben, auch eingehalten wird. Das Zentrum Potsdams ist praktisch lahmgelegt, der Bahnhof auch. Die S-Bahnen aus Berlin enden schon in Babelsberg, Regionalzüge nehmen eine Umleitung. Während die Helfer von Haus zu Haus gehen, um zu sichern, dass niemand in der Gefahrenzone bleibt, bereitet Sprengmeister Manuel Kunzendorf die Detonation vor vor. Ein Taucher hat eine Sprengladung an der Bombe angebracht. Helfer decken den Fundort mit einer 60 Zentimeter dicken, auf dem Wasser schwimmenden Schicht aus Stroh ab. Das Floß soll die Splitter auffangen. Ein Bauer aus Uetz kann sich freuen: Für 1000 Euro hat ihm die Stadt neun Tonnen Stroh abgekauft.

Um 10.15 Uhr haben die meisten Anwohner den Sperrkreis verlassen. Wer den Vormittag nicht bei Freunden oder Verwandten verbringen kann, vertreibt sich in der der Aula des Humboldt-Gymnasiums, dem Sammelpunkt, die Zeit mit Lesen oder Kreuzworträtsel lösen. Menschen, die nicht gehen konnten, sind von den Helfern vorsorglich ins Bergmann-Klinikum gebracht worden. Kurz vor halb zwölf erscheint Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) an der nahegelegenen Feuerwache. Er erklimmt den Schlauchturm, um die Sprengung zu beobachten. „Man sieht ja gar nichts“, sagt er enttäuscht mit Blick auf die Bäume am Ufer. Feuerwehr-Chef Wolfgang Hülsebeck hält derweil Kontakt zum Sprengmeister. Jetzt könnte es eigentlich losgehen, doch erst ist jemand aus dem Sperrkreis zu expedieren, der hier nicht hingehört. Kurz vor 12 Uhr ist dann alles bereit. Um 12.04 Uhr zerreißt ein Knall die Stille. Eine fast 100 Meter hohe Staubfontäne schießt in den Himmel, Fensterscheiben in der Umgebung vibrieren. Im Geo- Forschungs-Zentrum auf dem Telegrafenberg schlagen die Seismografen aus. „Coole Sache“, sagt der Feuerwehrchef.

Im Konvoi mit Blaulicht rast Rathaus- chef Jakobs hinüber zu Sprengmeister Kunzendorf. Jemand überreicht den Fachmann den üblichen Präsentkorb – diesmal mit Schnorchel und Taucherbrille. „Das hat Nerven gekostet“, sagt Kunzendorf. Dann geht’s zum Ort der Explosion. Stroh hängt überall in den Bäumen, ein paar gesplitterte Äste liegen herum, in der Erde klafft ein Riss. Alles ganz normal, sagt Kunzendorf. Gezündet hat er selbst – vom Bahnhof aus, in sicherer Entfernung. „So etwas gibt man nicht aus der Hand“, sagt er.

Potsdams Behördenvertreter wirken zufrieden, als um 12.23 Uhr der Verkehr wieder rollen kann. Denn 85 Prozent aller öffentlichen Areale sind inzwischen auf Kampfmittel im Boden untersucht worden. Noch zwei Jahre, dann könnten es 100 Prozent sein.

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