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Der Verein der Rheinländer in Berlin hat sich zur närrischen Sitzung in den Räumen der "Schlaraffia" in Kreuzberg versammelt.

© Berliner Leben

Fraktur! Berlin-Bilder aus der Kaiserzeit: Rheinischer Frohsinn, preußischer Ernst

Rheinischer Karneval in der kaiserlichen Reichshauptstadt, das fordert den ganzen Jeck. Denn die bierernsten Behörden machen es den Narren nicht leicht.

Karnevalistisch organisierter Frohsinn erfährt im protestantischen Berlin allenfalls nachsichtige Duldung. Man pflegt traditionell Toleranz gegenüber eingeschlepptem Brauchtum. Auch der Rheinländer muss nicht in den Keller gehen, um lachen zu dürfen, nur soll das Vergnügen tunlichst nicht den Verkehr aufhalten.

Die närrische Festgesellschaft, die sich im Dezember 1905 auf Einladung des „Vereins der Rheinländer in Berlin“ im großen Saal der Kreuzberger „Schlaraffia“ zur Karnevalssitzung versammelt hat, wirkt etwas steif. Stimmungsmäßig scheinen die anwesenden Damen und Herren noch nicht den Höhepunkt der Heiterkeit erreicht zu haben. Der Redakteur der Zeitschrift „Berliner Leben“ fremdelt in seinem Kommentar zum Bild ganz unverhohlen mit der Veranstaltung, für ihn eine „in ihrem grotesken Milieu eigenartig wirkende Sitzung“. Es klingt so, als beobachte der Autor Rituale der Hottentotten bei einer Völkerschau im Zoologischen Garten.

Wie weit die Aktivitäten organisierter Karnevalisten im Berlin des 19. Jahrhunderts zurückreichen, vermag selbst der Frohsinnexperte Hans Schubert nicht genau zu sagen, „außer dem Verweis auf einen Karnevalsumzug 1868 ist nicht Näheres bekannt“, schreibt er in seinem Buch „Fastnachtliche Bräuche in Berlin und Brandenburg“. Schubert berichtet von einem Narrenaufzug im Jahr 1876, der wohl ebenfalls in Vergessenheit geraten wäre, hätte es nicht einen mächtigen behördlichen Wirbel um die Veranstaltung gegeben.

Hauptsache, die Parade beleidigt das Auge des Kaisers nicht

Der preußische Innenminister Friedrich Albrecht zu Eulenburg erhebt kurzfristig Einspruch gegen den geplanten Umzugstermin am Karnevalssonntag. Er schlägt stattdessen vor, den Maskenzug durch die Innenstadt am Freitag davor oder am darauffolgenden Faschingsdienstag zu führen – und droht den Karnevalisten für den Fall, dass sie keinen der Ersatztermine akzeptierten, zugleich damit, der Parade eine Strecke vorzuschreiben, auf der „der Kaiser derselben nicht ansichtig wird“. Die Möglichkeit, dass Seine Majestät Wilhelm I. im kritischen Zeitraum des vorbeiziehenden Mummenschanzes gnädig darauf verzichten könnte, aus dem Fenster zu schauen, hat als unvorstellbar zu gelten.

Doch die Narren beharren auf dem Sonntagstermin. Schließlich wird angeordnet, dass der Zug am Dienstag stattfinden könne – auf einer Strecke, die weiträumig um alle katholischen Kirchen herumführt, „weil der Großteil der Masken aus Mönchen besteht“. Die amtlich verordnete Rücksichtnahme auf die religiösen Gefühle der katholischen Minderheit dürfte bei den mehrheitlich katholischen Jecken für zusätzliche Heiterkeit gesorgt haben.

Die Staatsmacht bewahrt eine reservierte bis repressive Haltung gegenüber karnevalistischen Umtrieben. Ausdrücklich begrüßt der Innenminister die 1878 in Münster (damals Hauptstadt der preußischen Provinz Westfalen) erlassene „Polizei-Verordnung“, die Geld- und Haftstrafen für Karnevalisten vorsieht, die „gegen gute Sitten und Religion- und Anstandsgefühl verstießen oder gegen die Obrigkeit beleidigend“ agierten.

Die in Berlin lebenden Rheinländer belassen es da lieber bei gemütlicher Unterhaltung „in taktvollen Grenzen“. „Allen wohl und niemand weh – so lautet der Wahlspruch des Vereins“, heißt es in einem Bericht über die närrische Sitzung in der „Schlaraffia“. Die gute Laune lassen sich die Narren nicht verbieten. Bis in die Morgenstunden wird getanzt, dazu „fließt das kühlende Bier in Strömen“.

Alle Beiträge unserer Serie mit Berlin-Bildern aus der Kaiserzeit unter www.tagesspiegel.de/fraktur

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